Die Zeiten sind wirtschaftlich zu schlecht, um eine Produktionsfirma zu gründen? Nicht nach Auffassung von RTL-Deutschland-Boss Stephan Schmitter. Mit 500.000 Euro in der Hand würde er es durchaus wagen, so hat er es an diesem Donnerstag beim Deutschen Produzententag in Berlin gesagt. Mit der richtigen Mischung aus Mut und Kreativität könne man auch künftig viel bewegen. Wäre Iris Bettray, die für RTL das samstägliche Magazin "Life!" produziert, persönlich zugegen gewesen: Sie hätte Schmitter vermutlich heftig zugestimmt.
Ihre eigene Firma, die Sagamedia Film- und Fernsehproduktion, gründete sie im Februar vor 20 Jahren. Nächste Woche steigt in Köln die große Geburtstagsparty. Vorab gefragt, ob sie mit dem Wissen von heute noch einmal gründen würde, antwortet Iris Bettray wie aus der Pistole geschossen:
"Ja, unbedingt!" Auch wenn es mit viel Arbeit verbunden sei und man mit einer 40-Stunden-Woche never ever auskomme, möchte die 61-Jährige den jungen Menschen zurufen (okay, da ist Schmitter raus):
"Traut euch! Gründet!"
Woher Iris Bettray diesen offenbar unerschütterlichen Optimismus nimmt, wo doch 80 Prozent der 375 Mitgliedsunternehmen in der Produktionsallianz angeben, dass es ihnen wirtschaftlich schlecht gehe, muss hier dringend besprochen werden. Zumal die Sagamedia der von Björn Böhning geführten Interessenvertretung angeschlossen ist; Bettray sitzt sogar der NRW-Sektion vor.
Als ihre Kolleginnen und Mitstreiter in der Hauptstadt tagen, ist sie allerdings noch dabei, in ihrem zweiten Wohlfühlhabitat Garmisch die Entbehrung zu zelebrieren. Ballast abzuwerfen. Den Stoffwechsel zurückzusetzen. Sich von ungesunden Essgewohnheiten zu befreien. Zu entschleunigen. Zu erholen.
Die Produzentin heilfastet in den Bergen wie jedes Jahr um diese Zeit, um die Energie zu tanken, die sie fürs Jahr braucht. Ihre Warnung, das Heilfasten mache sie "etwas denkfaul", ist unbegründet. Zwischen der letzten Anwendung und der nächsten kargen Kost sprudelt es im Gespräch aus ihr nur so heraus.
Ja, schon, 2024 sei auch für die Sagamedia nicht einfach gewesen, gibt sie zu. Jede Woche ein Magazin wie "Life!" produzieren zu dürfen, habe in der Durststrecke schon sehr geholfen. Der Dokumentarfilm, um den sich ihre Mit-Gründerin und Ko-Gesellschafterin Jutta Pinzler in der Firma kümmert, zu Themen wie Klimarettung oder Seuchenbekämpfung, feiere zwar "gerade fröhliche Urständ", sei stärker und sichtbarer geworden auch bei den Streamern und mit größeren Budgets für einzelne Produktionen ausgestattet. Aber das Produktionsvolumen insgesamt nehme ab, der Kuchen werde kleiner.
Ein Hoch auf die Doku-Serie
Trotzdem ist Bettray hoffnungsvoll gestimmt. "Gott sei Dank hat die Doku-Serie Einzug gehalten", sagt die gläubige Katholikin, die schon dreimal mit den Maltesern nach Lourdes gepilgert ist. Es werde auch im Dokumentarischen häufiger seriell erzählt. Durch die Streamer und die Mediatheken sei man freier in der Formatierung geworden, nicht mehr auf die archaischen 45 oder 90 Minuten festgelegt. Die Öffentlich-Rechtlichen öffneten sich zudem für Factual Entertainment und sogar für Reality. So konnten sie beim SWR das mit einem Deutschen Fernsehpreis nominierte Dating-Format "Stadt + Land = Liebe" mit zwei Staffeln platzieren (über die dritte ist noch nicht entschieden).
Und dann sei es ja grundsätzlich so: "Die Welt ist verrückt. Wir alle werden ein wenig verrückt. Deshalb braucht es dringend Klarheit und Orientierung. Und das kann das dokumentarische Fernsehen sehr gut leisten." Ob ernst oder entertainig: Es gebe mannigfache Erzählweisen und Möglichkeiten, in die Vergangenheit zu schauen, aber auch die Zukunft zu begrüßen. "Ich bin überzeugt, dass wir von großer Relevanz für die Gesellschaft sind."
Amen. Wenn das kein flammendes Plädoyer ist, das jeden Zweifler und jede Zauderin überzeugt, ins Doku-Business einzusteigen?
Als Iris Bettray 2005 die Sagamedia gründete, waren die wirtschaftlichen Umstände für die Produzentenbranche auch nicht gerade rosig. Es gab eine Auftragsdelle (wenn auch nur vorübergehend), Firmen mussten schließen oder orientierten sich um, der Markt konsolidierte sich. In dieser Lage hatte Iris Bettray also die Traute fürs eigene Start-Up. Vielleicht, weil sie das "Gen zur Selbstständigkeit" besitzt, wie sie selbst vermutet? Die Eltern in der Heimat Emmerich am Niederrhein waren ja auch selbstständig.
Wie auch immer: Die Firmengründerin in spe war 40+ und alles andere als unerfahren. Ihren bisherigen Weg begleiteten Menschen, die von ihr dachten: Die Frau kann Verantwortung übernehmen. Die machen wir zur Chefredakteurin, zur Geschäftsführerin, zur Vorständin.
So war es zum ersten Mal bei der von Bernd Schnitzler geführten Pribag Fernseh GmbH in München. Bettray hatte ihr Examen in Germanistik, Geschichte und Politik an der LMU bestanden und volontierte bei Schnitzler, als dieser sich 1991 bei Sat.1 den Sendeplatz für eine Talkshow erkämpfte, für den er aber kein Geld vom Sender bekam. Es war eine medienpolitisch seltsame Konstruktion. Bettray ließ sich auf das Abenteuer Moderation von "Top Etage" ein, was eigentlich nie ihr Ansinnen war.
Noch viel entscheidender für ihre weitere Karriere: Bei Schnitzler packte sich die studierte Geisteswissenschaftlerin Wissen über Cashflow-Planung, Liquiditätskontrolle und Forecast drauf. Gründern rät sie neben einem optimistischen Gemüt, einem Grundnaturell an Fröhlichkeit, Unbeirrbarkeit und positivem Angang zum Leben eben auch das: "Bitte vor dem Gründen einen betriebswirtschaftlichen Crashkurs machen. Ohne dieses Basiswissen kann man keine Firma führen."
Start mit Mahr, Thoma und Maischberger
Als 1996 ihr erstes Kind geboren wurde und es ihren Mann nach Köln zog, ging sie mit, obwohl Schnitzler sie eigentlich als seine Nachfolgerin erkoren hatte. Das drei Monate alte Kind im neuen Zuhause, begleitete sie eine Freundin zu einem Termin bei RTL, wo Hans Mahr Informationsdirektor und Chefredakteur war. "Und was machen Sie so", wollte er von Bettray wissen. Es war ihr Einstieg ins RTL-Universum.
Als EP betreute sie die Talk-Sendung "Kreuzfeuer" und das von Sandra Maischberger moderierte "Greenpeace TV", letzteres aber nicht lang. Mahr fand die Sendung "sehr hausbacken und wenig professionell". Und Oberboss Helmut Thoma, den Bettray eigentlich als immer sehr charmant und gelassen erlebte, sagte: "Das wird schwierig dauerhaft." In der Tat stellte sich relativ schnell heraus, dass die Aktionen der Umweltschützer und werbefinanziertes Fernsehen nicht so gut zueinanderpassen. Mahr hatte eine bessere Idee: Bettray könnte sich doch um die Große Reportage kümmern und damit den Drittsendeplatz von RTL füllen.
Die Lizenz dafür hatte Andre Zalbertus mit seiner AZ Media. Und so stieg Bettray 1998 dort ein und schnell auf zur Geschäftsführerin und Vorständin. Dass sie im Jahr zuvor ihr zweites Kind bekommen hatte, schadete ihr nicht, ist ihr wichtig zu erwähnen. Denn bei ihrer eigenen Tochter erlebe sie, "dass die Botschaften, die übermittelt werden, manchmal andere sind, und das finde ich schade."
Und dann kam das Schicksalsjahr 2005. Andre Zalbertus sah irgendwie keine Chance mehr in seinem bisherigen Produktionsgeschäft und wollte sich mehr Richtung Regionalfernsehen orientieren. Bei Bettray schlug besagtes Gründergen durch. Am 22. Februar 2005 ging sie mit der Autorin Jutta Pinzler, mit der sie schon oft zusammengearbeitet hatte, zum Notar.
"Wir Frauen neigen dazu, unser Licht unter den Scheffel zu stellen und vielleicht nicht ganz so selbstsicher zu sein wie die Männer. Da können wir uns was von abschauen."
Den Moment erinnert sie noch gut. Wie Notare halt sind, flog dieser beim Vorlesen des Gesellschaftsvertrags nur so über die Zeilen, übersprang Passagen, alles nicht so wichtig, und falls ihr euch streiten solltet, dann kommen andere Optionen infrage, jetzt hier und hier unterschreiben, fertig. "Wow, das ging flott. Ich dachte nicht, dass man so leicht ein Unternehmen gründen kann."
Wenn Bettray "leicht" sagt: Das betraf nur den Notartermin. Der Anfang war "wirklich hart". Sie verdienten praktisch nichts. Der einzige Auftrag war eine Reportage für die ZDF-Reihe "37 Grad". Titel: "Wächst du noch? – Von Riesen und Kleinwüchsigen." Daheim wuchsen zwei kleine Kinder heran, Selbstzweifel plagten die working mom, ob das alles zu schaffen sei.
"Wir Frauen neigen dazu, unser Licht unter den Scheffel zu stellen und vielleicht nicht ganz so selbstsicher zu sein wie die Männer. Da können wir uns was von abschauen", findet Bettray. Ob aus Unsicherheit oder Klugheit: Sie hatte vor dem Gang zum Notar ihre Kontakte in Sendern abgeklappert, was sie davon hielten, wenn sie sich selbstständig machte. Resonanz: positiv.
Und so kamen noch im Gründungsjahr weitere Aufträge rein: für Arte eine Langzeitbeobachtung über "Dicke Freundinnen", für RTL die Doku-Soap "Unsere erste gemeinsame Wohnung". Während sich Pinzler auf Dokumentarfilme und internationale Koproduktionen fokussierte, kümmerte sich Bettray quasi um das Brot-und-Butter-Geschäft, um Doku-Soaps und Reportagen, um "Teenie-Mütter – Wenn Kinder Kinder kriegen" für RTL2, um "Wir werden Camper" für den WDR, um "Wir werden groß" für Vox und viele Formate mehr.
Obwohl beide Frauen den Titel Geschäftsführende Gesellschafterinnen tragen, verstehen sich beide immer noch in erster Linie als Journalistinnen, Autorinnen. Bettray ist nach wie vor gerne auf Dreh, saß im vorigen Jahr bestimmt 250 Tage im Schnitt. Erst im Januar entstand von ihr eine Reportage für "Life!" über Sven Hannawald beim Hornschlittenrennen in Garmisch, praktischerweise bei ihr um die Ecke.
Wirklich unabhängig
Eben für dieses TV-Format gründete Bettray 2018 eine zweite Firma, die Sagafilmworks. Samstags um 19.05 Uhr gegen den Sport bei RTL ein Reportagemagazin an den Start zu bringen, war nicht ohne. Auch nicht, überhaupt dafür die Drittsendelizenz zu bekommen, die bis dato fest in den Händen von Spiegel TV und Stern TV war. Den Ausschlag gab bei der Landesmedienanstalt Niedersachsen wohl, so vermutet es die Produzentin, "dass wir wirklich unabhängig sind". Von Beginn an hätten sie darauf geachtet, dass sie für alle Sender produzieren und sich nicht von einem abhängig machen. "Ich glaube, das ist gut fürs Thema, gut für den Intellekt, gut fürs Herz. Und es ist natürlich auch wirtschaftlich gut, weil man nicht so gefährdet ist, wenn ein Auftrag mal abhandenkommt."
Bei "Life!" droht vorerst keine Gefahr. Bis 2028 ist der Auftrag gesichert. Die Stammseher sind treu (bei 14-49 im Schnitt 7 Prozent). Und seit drei Samstagen präsentiert sich das Magazin in neuem Look, mit größeren Screens, die stärker die reale Welt mit einbeziehen, und ohne das Schnoddergelb in der Farbgebung, an dem sich Bettray schon länger störte. Jetzt ist Magenta beigemischt.
"Zu wissen, dass man einen Auftrag über so einen langen Zeitraum hat, ist ein wunderschönes Gefühl. Gerade jetzt, wo man spürt, wie schwer es viele Produzenten haben und viele Firmen ums Überleben kämpfen." Sagt’s und es klingt fast wie ein Stoßgebet.
Ob sie in all den Jahren jemals an Geschäftsaufgabe dachte? "Es gab noch nie, nie, nie diesen Moment, wo ich dachte, jetzt gebe ich auf", antwortet Bettray sehr bestimmt. Natürlich sei auch sie schon mal genervt. "Aber nein, never ever." Ihre bayerische Großmutter sagte immer: "Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben." Das sei zu ihrem eigenen Lebensmotto geworden.
Ein Zusammengehen mit einer anderen, größeren Firma hingegen war durchaus schon mal Thema. Sie kenne Kolleginnen, die ihre Produktionsfirmen "für viel, viel Geld" verkauft hätten. "Na ja, wer hat das nicht gerne, dieser Gedanke hat durchaus was Angenehmes", lacht sie. Letztlich hat es nie gepasst. Das 20-Jährige würden sie nun mit dem Bewusstsein feiern, "dass wir Ladys immer noch unabhängig sind und das auch sehr gerne."
Feiern? In diesen Zeiten?
Na, unbedingt!
Vielleicht hielten sie einige für verrückt, sagt die Produzentin, "die ganze Branche darbt, alles so schwierig, und wir feiern fett 20 Jahre Sagamedia. Aber erstens feiern wir nicht fett, sondern schön. Es gibt kölsches Buffet und Björn Heuser singt." Alaaf!
Zweitens hat sich Iris Bettray daran erinnert, dass sie auch schon den ersten Firmengeburtstag mit einer großen Karaoke-Party begingen inklusive Panoramablick über Köln. Zu Jutta Pinzler sagte sie damals: "Sollten wir nächstes Jahr pleite sein, dann kommt das so oder so, dann ist es doch egal, ob wir eine Party machen oder nicht."
So halten sie es auch in diesem Jahr, feiern im (auch preislich) auf dem Boden gebliebenen Alten Wartesaal am Kölner Hauptbahnhof – "wobei wir nicht davon ausgehen, nächstes Jahr pleitezugehen", fügt die Gastgeberin lachend hinzu.
P.S.: Mitte März ziehen die beiden Kölner Büros der Alt-Sagamedia und der Magazinschwester Sagafilmworks unter ein Dach in der Krebsgasse 5 - 11, direkt gegenüber der Langzeitbaustelle Kölner Oper, Auge in Auge mit Friedrich Küppersbusch, der auf derselben Etage mit seiner ProBono Fernsehproduktion residiert. Bettray hat einen Siebenjahresmietvertrag unterschrieben. Wenn das kein Bekenntnis zum langfristigen Gründertum ist?