In der bald 75-jährigen Geschichte des ZDF hat es noch nie jemand so jung so weit gebracht wie Florian Kumb. Mit nur 36 Jahren ist er am 1. Januar vom Leiter der Hauptabteilung Programmplanung zum Direktor der neu geschaffenen Abteilung „Audience“ befördert worden. Vom 18 Jahre älteren Intendanten Norbert Himmler trennt ihn nur noch eine Hierarchiestufe. Es ist ein Aufstieg, der ebenso mirakulös ist wie Kumbs neue Aufgabe, die sich nicht in drei Sätze fassen lässt.

Aber keine Sorge, der Jungspund mit Doktortitel in Medienökonomie (Note: Summa cum laude) wird das hier erklären. Und bevor jetzt jemand irrtümlich denkt, Kumb kümmert sich als Direktor Audience um die Besetzung von politischen Talkshows mit Publikum im TV-Studio (was bei „Schlagabtausch“ schiefging): Nein, tut er nicht.

Auf die Minute genau meldet sich der frisch Aufgestiegene aus seinem Büroprovisorium in einem Container, in den er und viele andere ZDF-Mitarbeiter ausquartiert wurden, seit Wasser aus der Brandlöschanlage das markante Hochhaus auf dem Mainzer Lerchenberg zerstört hat. Nichts anderes als Pünktlichkeit ist von einem Programmplaner ja auch zu erwarten, diesem Berufstypus, dem Akribie und der Sinn für Struktur in die DNA eingeschrieben sind.

Florian Kumb © ZDF/Tim Thiel
Doch Kumb ruiniert sogleich das Klischee, ein bisschen. Man erwische ihn nicht in einem repräsentativen Moment. Durch die vielen aktuellen Themen sei er oft zu spät. Aber heute mal nicht. Es ist Freitagnachmittag voriger Woche, ein verlängertes Wochenende in den französischen Alpen steht bevor.

Vorfreude blitzt bei ihm durch, wenn er erzählt, dass die Webcam beste Voraussetzungen für seine Passion Skifahren verspricht. Als Student brachte er an der Hütte seiner Hochschule (na, wo gibt’s denn so was?) den Kommilitonen das Wedeln bei. Beneidenswert findet er Menschen, die näher an den hohen Bergen leben. Das hessische Mengerskirchen, wo er aufwuchs und als Kind mit Fritzchen kuschelte, dem „aktiven, dynamischen Trendsportler“ unter den Mainzelmännchen, kommt nur auf skiuntaugliche 420 Meter über Null.

Und der ZDF-Lerchenberg? Ach, lächerliche 228 Höhenmeter.

Trotz anfänglicher Gesprächsgymnastik zur Lockerung fällt auf: Verbal neigt Kumb eher nicht zum Slalom, da fährt er schnurgerade Schuss. Ob er immer so zügig drauf ist, so kontrolliert, so zielgerichtet, ja so staatsmännisch?

Im Vorfeld hat man sich über ihn erkundigt. Jemand sagte: Der Florian Kumb, das ist ein „sehr zahlengetriebener Mensch“. Ein anderer wortwörtlich: Der ist „Himmlers rechte Hand“.

Die Frage, ob er letzteres eher semantisch oder inhaltlich schwierig findet, amüsiert Kumb: Na ja, für den Namen könne Norbert Himmler, dessen Referent in der Programmdirektion er von 2015 bis 2017 war, nichts und eine Verwandtschaft zu diesem anderen Himmler bestehe auch nicht. „Tatsächlich arbeiten wir über die letzten zehn Jahre sehr eng zusammen und ergänzen uns gut.“ Seine allerersten Förderer im ZDF, die ihm vertrauten, dass er was kann, seien aber andere gewesen.

Kumb zählt Manfred Haus-Pflüger auf, der ihn nach dem Studium im Produktionsmanagement einstellte. Dessen Nachfolger Donald Jenichen sagte: „So, die Kalkulationsverhandlungen mit dem Produktionsunternehmen übernimmst jetzt du.“ Es ging gleich um einen großen Betrag. Auch später hatte er immer Chefs und Chefinnen, die ihn machen ließen, die ihm Chancen ermöglichten und Freiraum gewährten, genauso wie er es als Chef zu handhaben versucht (und in seiner Freizeit als Mentor im Netzwerk „Aufsteiger!“).

 

"Mein Vorteil ist, dass ich beim ZDF sehr früh angefangen habe."

 

An seiner Jugend störten sich Kumbs Vorgesetzte im ZDF offenbar nicht. Aber die anderen, die Neider, die wird es doch bestimmt geben, oder?

Die Frage hört er nicht zum ersten Mal. Immer der Jüngste zu sein, verfolge ihn schon sein ganzes Leben, antwortet der ZDF-Aufsteiger. Er habe sich daran gewöhnt, dass die Leute anfangs skeptisch sind wegen seines Alters. „Das legt sich aber in der Regel recht schnell. Mein Vorteil ist, dass ich beim ZDF sehr früh angefangen habe. Jetzt bin ich schon bald 18 Jahre hier.“

Blicken wir kurz zurück:

2007, direkt nach dem Abitur, bestieg Kumb zum ersten Mal den heiligen ZDF-Berg. Der Intendant hieß Markus Schächter. In der Hauptabteilung Programmplanung unter Leitung von Martin Berthoud arbeitete Norbert Himmler. Außerdem war im Digitalen gerade Revolution. Das erste iPhone kam auf den Markt. Das ZDF launchte als erster deutscher TV-Sender eine Mediathek.

In dieser Umbruchphase begann Kumb in Ravensburg das duale Studium Medien- und Kommunikationswirtschaft. Für den Praxisteil wählte er das ZDF. Es war ehrlicherweise nicht seine erste Wahl. Der für die damalige Zeit neuartige Onboarding-Prozess bei RTL fühlte sich so viel moderner, offener, nahbarer an, nicht so bürokratisch und traditionell.

Trotzdem entschied sich der Ravensburger Student gegen die Kölner Fernsehmacher. Seine Vermutung war: Bei den Mainzern mit ihren vielen Eigenproduktionen gibt es viel mehr Möglichkeiten zu lernen. Das hat sich bewahrheitet. Den ersten Praxistest bestand er bei der Produktion der ZDF-Sondersendungen zu den Landtagswahlen in Hamburg und Niedersachsen im Januar 2008. Eine weitere Station war die ZDF-Tochter Network Movie, wo sich Kumb Wissen über Fiction draufschaffte und sich damit für den späteren Job als Produktionsleiter fiktionale Programme empfahl.

Da war Florian Kumb 26 wohlgemerkt.

Zweimal in seiner rasanten ZDF-Karriere war er kurz davor, zu einem anderen Unternehmen auszuscheren. Aber dann hat ihn in Mainz „immer wieder eine neue Stelle gefunden“, wie er sagt, sodass er blieb. Nur einmal bewarb er sich aktiv. Als besagter Chefprogrammplaner Martin Berthoud ankündigte, im April 2020 in Rente zu gehen, etwas früher als gedacht, sagte sich Kumb, damals CvD der ZDF-Programmdirektion: „Das ist mein Traumjob, den möchte ich haben.“ Nach einigen Vorstellungsrunden und einem fünfstündigen Assessment hieß es dann: „Okay, der Florian Kumb ist zwar sehr jung, aber der darf das machen.“

Da war Florian Kumb 32 wohlgemerkt.

„Die Programmplanung“, so definiert es die Wissenschaft (zum Beispiel hier), „stellt einen relevanten und zugleich sensiblen Bereich des Fernsehens dar, der für Außenstehende nur sehr schwierig zu durchschauen ist.“ (Oh ja, stimmt!) Fernsehsender erhoffen sich von ihr ein Maximum an Zuschauern. Ihr kommt deshalb die zentrale Aufgabe zu, die Angebote so festzulegen, „dass sie der Zuschauer optimal findet und konsumieren kann.“

Mit Zahlen und Bauchgefühl

Es ist also alles andere als egal, wann und wo die Nachrichten, die Lieblingsserie, die große Show, das Nischenmagazin etc. laufen. Wer darüber entscheidet, hat Macht – und bringt sich potenziell in ein Spannungsfeld mit den Kreativen. Die kritisieren: Programmplaner üben Kosten- und Erfolgsdruck aus. Sie verlegen Sendungen skrupellos, wenn diese nicht performen.

Stimmt das?

Wer kritisch sieht, dass er einen Blick für die Zahlen hat, dem sagt Florian Kumb: „Es ist wichtig, Entscheidungen zu objektivieren. Trotzdem heißt das nicht, dass das billigste Programm immer das Beste ist, genauso wenig wie das in der Nutzung erfolgreichste Programm immer das Beste ist.“

Mit dem „ZDF Kompass“ habe er ein Instrument zur Qualitätsmessung operativ mit entwickelt, das auch Medienresonanz oder Zugänglichkeit berücksichtigt. „All das kann man in Daten und Zahlen ausdrücken, die einem dabei helfen, die bestmögliche Entscheidung zu treffen. Ich stehe dafür, dass wir das noch stärker tun. Am Ende kommen die Zahlen dann mit einem guten Bauchgefühl zusammen. Denn man kann ein Unternehmen nicht rein zahlenbasiert führen. Es gibt nicht die eine Zahl, die alles sagt.“

Trotzdem waren sie bei „Aspekte“ stinksauer auf Florian Kumb. Eine seiner ersten Amtshandlungen war, das Kulturmagazin auf den Sendeplatz nach Jan Böhmermanns „ZDF Magazin Royale“ zu verschieben. Er hält das nach wie vor für die „richtige und zukunftsweisende Entscheidung“. „Aspekte“ habe sich nicht nur inhaltlich weiterentwickelt zu einem dokumentarischen Format. „Es spricht auch mehr Jüngere an und konnte in der non-linearen Nutzung zulegen.“

Linear sieht die Sache bei „Aspekte“ in absoluten Zahlen freilich unerfreulicher aus. Aber linear ist bekanntlich immer mehr Vergangenheit, auch wenn es Kumb zufolge im Moment, zumindest auf dem deutschen TV-Markt (die Skandinavier sind da schon weiter), noch „keinen Ausspielweg gibt, der zur gleichen Zeit so viele Menschen versammelt“. Das ZDF will aber gemäß seinem Intendanten (siehe DWDL.de-Interview) schon sehr bald nur noch eine einzige App sein, die in der 360-Grad-Logik funktioniert.

 

"In der Welt, in der wir uns befinden, reicht es nicht, die besten Inhalte herzustellen."

 

Und Florian Kumb soll nun in seiner neuen Rolle als Direktor Audience die verschiedenen Eingangstüren für das jeweilige Nutzungsverhalten mit bauen.

Audience. Warum eigentlich Audience?

Der Name ist aus einer Mitarbeiterbefragung hervorgegangen und folgt Vorbildern in Skandinavien. Wie seine Kolleginnen und Kollegen findet Kumb, „dass der Name sehr gut vereint, was wir tun: Wir bilden den Kontaktpunkt zum Publikum, indem wir die strategischen und programmlichen Unterstützungsfunktionen bündeln, also von der Portfoliosteuerung, Planung bis zur Ausspielung. In der Welt, in der wir uns befinden, reicht es nicht, die besten Inhalte herzustellen. Sie müssen auch gefunden werden.“

Florian Kumb © ZDF/Tim Thiel
Warum es dafür eine eigene Direktion braucht (die übrigens der Programmdirektion von Nadine Bilke, 48, und der Chefredaktion von Bettina Schausten, fast 60, gleichgestellt ist), erklärt der Herr Direktor so:

In der Vergangenheit hätten sie bereits die Verbindung zwischen Programmplanung, Mediathek und Kommunikation enger gefasst, aber die Zusammenarbeit stieß an Grenzen, weil es keine einheitliche Struktur und Verantwortung gab. Jetzt könnten sie „besser Synergien schaffen“, auch die Mediathek ins Zentrum ihrer Bemühungen stellen (Update: Der vielfach verschobene Relaunch ist für diesen März angepeilt!), mehr ins Digitale investieren, mehr in Richtung KI und Daten gehen.

Um all das umsetzen zu können, hat Florian Kumb jetzt die zentrale Verantwortung für: die ZDF-Hauptabteilungen Programmplanung und Digitale Medien, die Koordinationen ZDFneo und 3sat, die programmbezogene Kommunikation sowie die Planungseinheiten von ZDFinfo und ZDFtivi/Kika, dazu die Verantwortung für Programmfinanzen und Produktionscontrolling, die digitale Plattformentwicklung mit „Streaming OS“ sowie die Medienforschung.

Uff, das ist viel. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass Kumb während der anderthalbjährigen Vorbereitungsphase nebenbei auch das Meinungsbarometer „ZDFmitreden“ weiterentwickelte und im Herbst mit einem von dem Kika-Moderator Sherif Rizkallah moderierten Event in Berlin den Startschuss für das Projekt „ZDF goes Schule“ gab. All das, um seinen Sender für ein Publikum zu öffnen, das dieser noch nicht oder kaum erreicht.

450 Mitarbeiter unterstützen ihn dabei. Und die ziehen Kumb zufolge auch alle mit bei der großen Umstrukturierung. Eine Mitarbeiterbefragung habe im Herbst ergeben: Die Bereitschaft, etwas zu verändern, ist im ZDF „tief im grünen Bereich“. Das hat ihn „ehrlich gesagt, durch die Vorbereitungsphase getragen“. Er musste niemandem erklären, dass sie sich weitentwickeln müssen. Es ging nur um das Wie. Jetzt sei er froh, dass sie die Struktur „deutlich schneller umbauen können als manch ein Wettbewerber.“ (Ein herzliches Grüß Gott nach München an dieser Stelle.)

Jetzt geht es darum, die Theorie in der Praxis ans Laufen zu bringen. Und irgendwann das eigene Team auch unter einem Dach zu versammeln. Auf acht Gebäude sind Kumbs Mitarbeiter bislang verteilt. In knapp einem Jahr soll der Neubau bezugsfertig sein. Hach, was für ein Optimist.

Am 17. Februar wird Florian Kumb übrigens ein Jahr älter. Auf die letzte Frage, wo er sich mit fast 37 in zehn Jahren sieht, hat er eine ausweichende Antwort parat, die an seiner Zielstrebigkeit dennoch nicht zweifeln lässt:

„Das kann man genauso wenig voraussagen wie das Nutzungsverhalten. Auf jeden Fall bin ich die nächsten Jahre mit dem Aufbau dieser Direktion beschäftigt. Das wird mich fordern.“

Und: Bis jetzt hätten ihn die Aufgaben immer gefunden. „Das ist hoffentlich auch weiter so.“