Als die Rocket Beans am Freitag vor einer Woche mit einer seeeehr langen TV-Show (viereinhalb Stunden!) den zehnten Sendergeburtstag feierten oder wie es in ihrer Sprache heißt: „Gebohnstag“, mangelte es an positiven Vibes und fröhlicher Selbstbestätigung nicht. Aufgekratzt begrüßte Etienne Gardé, einer der fünf Bohnen-Gründer, die Fans im Studio: „Zehn Jahre und wir sind immer noch nicht pleite!“ Kurz hielt er inne, genoss den aufbrandenden Applaus, um sich dann fragend an einen Mann in der letzten Publikumsreihe zu wenden: „Arno, das stimmt doch, was ich sage?“

Gemeint war Arno Heinisch. Er ist das A in Beans, diesem Akronym, das sich aus den Anfangsbuchstaben der Namen der Gründer zusammensetzt. Dass es die Rocket Beans immer noch gibt, trotz allem, ist nicht zuletzt auch sein Verdienst.

Mit Daniel „Budi“ Budimann, Etienne Gardé, Nils Bomhoff und Simon Krätschmer wagte sich Arno Heinisch am 15. Januar 2015 in Hamburg an den Launch des mutmaßlich weltweit ersten interaktiven, Community-getriebenen 24-Stunden-Senders im Netz. Die BENS kasperten vor der Kamera und Arno hielt den Laden im Hintergrund geschäftsführend beisammen. So ist die Rollenverteilung bis heute.

Die BEANS-Gründer © Beans Entertainment Die BEANS-Gründer

Gemeinsam erlebten sie Höhen und Tiefen, vom größten Hype bis zum größten Shitstorm, vom Deutschen Fernsehpreis (2017 für die Beste Moderation Unterhaltung) bis zur Beinahe-Pleite. Sie machten als erste lineares Fernsehen in diesem Neuland Internet und sie streamen auf Twitch. Die eine Hälfte der Beans hadert damit, weder richtig zum Fernsehen zu gehören noch zur Streamer-Szene, es nie in die Promi-Höhen von Joko & Klaas geschafft zu haben, obwohl sie aus derselben popkulturellen Ecke stammen. Aber alle fühlen sich wohl in der Nische Subkultur.

Wer sind also die Rocket Beans im Jahr 2025? Wollte man es in einem Satz zusammenfassen, dann vielleicht so, wie sie es selbst in einer Sonderausgabe ihres Talk-Formats „Almost Daily“ getan haben: „Das sind die coolen, jung gebliebenen Typen, die es geschafft haben, gegen jede Widrigkeit relevant zu bleiben.“

Arno Heinisch, 56 Jahre jung, hat sich am Mittwoch dieser Woche dafür entschieden, ein echt cooles Sweatshirt anzuziehen, um über sich und die Relevanz der Rocket Beans zu sprechen. „We could be heroes“, steht drauf, eigentlich ein David-Bowie-Zitat. Oder ein Statement in eigener Sache? Sind sie das nicht schon, Helden, oder könnten es die Rocket Beans nur sein? Arno Heinisch lacht: „Das sollen andere entscheiden. Aber wir könnten es auf jeden Fall sein.“

Heldenhaft ist fraglos, mit wie viel kreativem Wahnsinn und scheinbar endloser Ausdauer sich die Bohnen vor zehn Jahren in das Experiment Rocket Beans TV stürzten, von dessen Ausgang sie keine Ahnung hatten. Sie machten einfach und dachten erst nachher nach. Ihren Sender bauten sie auf einer Vorgeschichte auf, die bei MTV begann.

Aus der Not geboren

Im Jahr 2005 machten die GIGA TV-Netzreporter Daniel Budimann und Simon Krätschmer rüber zum Musikfernsehen, für das Arno Heinisch bereits als Fernsehproduzent tätig gewesen war. Die Musikbranche begann zu lahmen, Video- und Computerspiele waren der kommende heiße Scheiß, und Heinisch sollte ein Format der beiden Nerds „etwas klassisch fernsehmäßiger trimmen“, wie er erzählt. Daraus entstand „Game One“, der Klassiker unter den Gaming-Formaten. Unter dem Namen „Game Two“ gibt es die Sendung zu Neuerscheinungen in der Spielewelt immer noch, bei ZDFneo.

Es gehört zu den vielen Tiefen in der Rocket-Beans-History, dass die Mainzer den Vertrag zum kommenden Sommer aufgekündigt haben. Selbiges passierte schon 2014, als MTV sich aus dem deutschen TV-Markt zurück- und „Game One“ nach 307 Folgen den Stecker zog. Es war damals die einzige Auftragsproduktion der Rocket Beans. Die One-Project-Company, die Heinisch drei Jahre zuvor mit den vier BENS-Moderatoren gegründet hatte, balancierte am Abgrund.

Andererseits haben die Fernsehbohnen aus Hamburg-Altona bisher immer Mittel und Wege gefunden, um sich aus der Sch… herauszumanövrieren.

Am 31.12.2014 endete „Game One“ auf MTV. 15 Tage später ging, aus der Not geboren, Rocket Beans TV on Air. Das Geld dafür kam unter anderem aus dem „Rocket Beans Supporters Club“. Oder wie Heinisch es nennt: „die Paywall of Love“. 80.000 bis 90.000 Euro geben die Bohnen-Fans monatlich in die Kasse für ihr Sehvergnügen. Davon allein kann natürlich kein Sender existieren. Mit den Jahren kommen ein paar Milliönchen aus Sales-Deals, Merch und eigenem Fashion-Label zusammen – und Auftragsproduktionen.

Ein Glück war, dass das öffentlich-rechtliche Jungendinternetangebot funk 2016 ein neues „Game One“ von den Rocket Beans haben wollte. 2021 wechselte es in die erwachseneren Hände von ZDFneo. Kapitän Heinisch bleibt optimistisch: „Ich hoffe, dass wir im August einen neuen Hafen für ,Game Two‘ haben werden.“ Na denn man tau.

Man muss selbst kein großer Zocker sein, um Deutschlands erfolgreichster Gaming-Produzent im TV zu sein.


Er selbst, ein Bub aus dem seemannsarmen Hessen, hat es privat übrigens nicht so mit „Dead Island 2“, „Ravenswatch“, „Shadows of Doubt“ und was auch immer so gezockt wird. Berufsbedingt kennt er sich inzwischen zwar ganz gut aus in der Gaming-Szene. Aber er findet: „Man muss selbst kein großer Zocker sein, um Deutschlands erfolgreichster Gaming-Produzent im TV zu sein.“

Das Produzenten-Handwerk hat Arno Heinisch im klassischen Fernsehen gelernt. 1995 steigt er in Hamburg bei Karsten Roeders damaliger Firma Schwartzkopff TV als Jungredakteur ein. Journalist wollte er eigentlich nach dem Diplom in Wirtschaft werden, hatte sich sogar bei der Berliner Journalistenschule BJS beworben, letztlich ohne Erfolg. Eine Ex-Kommilitonen macht Heinisch auf die Stellenanzeige von Schwartzkopff TV im „Hamburger Abendblatt“ aufmerksam. „Willemsen – Das Fernsehgespräch“ ist deren aktuelle Produktion. Heinisch stellen sie für den Daily Talk mit Johannes B. Kerner auf Sat.1 ein.

Auf der Karriereleiter wird er zügig „hochgeschubst“, am Ende bis zum Chefredakteur und Mitglied der Geschäftsleitung. Doch nach sieben Jahren ist die Luft bei ihm raus. Mit Christian Buhsemann, damals Kopf der Entwicklungsabteilung, beschließt er: Wir machen unser eigenes Ding. 2003 gründen sie die Riesenbuhei Entertainment GmbH. „Bu“ für Busemann, „Hei“ für Heinisch, ha ha, ein Faible für Spielerei mit Namen ist da schon vorhanden.

Der erste Sender, der der Riesenbuhei eine Chance gibt, ist MTV. Der Pilot zu „Pimp my Fahrrad“ mit dem Rapper „Das Bo“ läuft richtig gut, die sechsteilige Staffel, nun von dem Schauspieler Oliver Korritke moderiert, wiederholt MTV sogar über Jahre, natürlich ohne dass die Macher dafür Extra-Kohle sehen. Total Buy-out halt, wie das in der Branche üblich war. Aber für die jungen Produzenten ist die „Persimage“ (Heinischs Wortamalgam aus Persiflage und Hommage) von „Pimp my Ride“ der Türöffner für popkulturelle Formate bei diversen Sendern, von ARD EinsPlus über Sat.1 Comedy bis ZDFneo.

Absoluter Game Changer wird, wie bereits erwähnt, „Game One“, das Heinisch in die 2011 gegründete Firma Rocket Beans mitnimmt. Raketenschnell ist das Wachstum, innerhalb von zwei Jahren auf mehr als 100 Mitarbeitende, die alle Platz brauchen.

RBTV auf der Gamescom © Beans Entertainment Rocket Beans TV auf der Gamescom

"Etwas anderes als Unterföhring oder Hürth"

Kurz dazwischengefunkt: Das Rocket-Beans-Imperium erstreckt sich inzwischen über drei Altbauten und einen Garten, allesamt gemietet und nah beieinander in einer Lieblingsecke von Heinisch in der Hansestadt. Die Schanze, das Schulterblatt, nur fünf Minuten zu Fuß entfernt. Einmal durch den Lindenpark und der CEO ist schon auf Arbeit. „Das ist halt schon etwas anderes als Unterföhring oder Hürth“, lacht Heinisch, „das macht was mit einem, wenn man mittendrin arbeiten und leben kann.“

Und es macht auch was mit einem, wenn man als Firma so schnell wächst: Wachstumsschmerzen.

Anfangs macht bei den Rocket Beans jeder so gut wie alles. Erst zehn Stunden vor der Kamera stehen und danach in acht Meetings gehen und diskutieren, wo das Wasserzeichen auf dem Briefpapier zu sein hat oder ob die Bohne im Logo grimmig gucken soll – für die Moderatoren gibt es keine Pausen, außer zum Schlafen. Ich sende, also bin ich. Es ist „Rock’n’Roll pur“ für sie.

Die dollsten Formate kommen dabei heraus, an die 300 in zehn Jahren: die Morning-Show „Moin Moin“, „Bohndesliga“, ein Kino-Magazin, Events wie „Haus an Haus“ (eine Mischung aus Gaming-Show und „Big Brother“), Pen & Paper-Rollenspiele wie „Höllengrund“ oder „Die Grenida Krise“ (in Zusammenarbeit mit den Kirchen), ein über fast drei Stunden live gestreamter Test von Senfsorten (köstlich!), und einmal kam Bela B. zum Malefiz-Spiel vorbei.

Rocket Beans TV ist, O-Ton Arno Heinisch, „ein Trampolin zur Entfaltung, ein Spielplatz zum Ausprobieren“, weil sie sich eben nicht strikt an klassische Fernsehregeln halten müssten. Genau das elektrisierte viele vom herkömmlichen TV gelangweilte Leute und Talente (wobei es später prägende RBTV-Köpfe wie Florentin Will oder Frank-Elstner-Masterclass-Absolvent Lars Eric Paulsen durchaus dorthin zieht, zu den öffentlich-rechtlichen Satire-Shows von Böhmermann und Reschke).

Zwangsprofessionalisierung und Strategiewechsel

Aber natürlich ließ sich das anfängliche Pensum nicht auf Dauer so durchziehen, ohne dass man dabei zugrunde geht. Spätestens als die Bohnen 2015 in den 24/7 Betrieb gingen, davon sechs bis zehn Stunden live am Tag, funktionierte das kreative Miteinander, bei dem alles auf Zuruf läuft und jeder mitredet, nicht mehr.

Nach zwei Jahren Ko-Geschäftsführung konzentrierte sich „Budi“ auf das „Kaspar“-Sein vor der Kamera. Und Arno Heinisch machte sich mit Heiko Gogolin an seiner Geschäftsführerseite ran, den Laden „zwangszuprofessionalisieren“. Es gab keine andere Wahl: „Auf einmal gab es niemanden mehr, der die Party bezahlt. Jetzt waren wir der Sender, der sich auch um Vermarktung, PR und Finanzierung kümmern muss.“

Dazu gehörte 2021 auch ein Strategiewechsel, der nicht allen langjährigen Fans gefiel: Die Rocket Beans verabschiedeten sich vom Konzept linearer Sender und stellten um auf VoD. Eine Motivation war Arno Heinisch zufolge: „Wir wollten mehr Qualität statt Quantität. Wir hatten uns selbst das Zwangskorsett verpasst, dass wir 24 Stunden lang sieben Tage die Woche Programm senden und sehr viel davon live, was gar nicht nötig war.“

Für die (meisten) Fans habe es aber keinen Unterschied gemacht, ob sie mit einer Sendung wie „Bohndesliga“ live gehen oder sie um 13 Uhr aufzeichnen und um 17 Uhr hochladen. Die Masse schaue sie ohnehin per VoD (auch bei Zattoo oder Waipu) oder höre sie als Podcast. Außerdem, ergänzt Heinisch: „Um den Audience Flow einzuhalten, mussten wir Sendungen zum Teil an den spannendsten Momenten abbrechen. Aus diesem Korsett wollten wir uns befreien und uns mehr auf die Inhalte fokussieren.“

Sprich: auch am Visuellen arbeiten, den das war ja nicht immer so geil, wie es sich die Bohnen gewünscht haben. Wenig Budget bringt halt selten hohen Production Value. Post-Corona wurde es mit dem Geld dann besonders schlimm.

Rocket Beans: Xmas nach Corona © Beans Entertainment Hurra, wir leben noch: Erste Weihnachtsfeier nach Corona

Mit Ukraine-Krieg, Inflation und Rezession begannen für die Rocket Beans zwei äußerst schwierige Jahre, ja die schwierigsten in Heinischs Karriere, weil sie an Existenz und Substanz gingen. Sponsoren kündigten ihnen das Budget um die Hälfte. Was folgte: Kurzarbeit, Kürzungen, Krise. Die Rocket Beans sind damit öffentlich immer sehr transparent umgegangen. 2024 kamen sie dann „vom Reagieren ins Agieren“, so Heinisch, auch wenn sie „noch nicht ganz über den Berg“ sind.

Das jüngste Trauma nahmen sie zum Anlass, ihre fragile Struktur zu überdenken. Seit Jahreswechsel ist nun das Business in vier autarke Geschäftsbereiche aufgeteilt unter dem neuen Dach Beans Entertainment (siehe DWDL.de). Es soll die Bohnen „konkurrenzfähig und kompetitiv“ machen.

Über die Tochter Midflight Productions will Arno Heinisch nun endlich mehr den Fokus auf Auftragsproduktionen legen, was in den vergangenen Jahren so nicht möglich war. Sie haben ja alles im Haus, von Green Screen über Regie bis Motion Graphic Design, dazu die Spezialisten, die das bedienen können. 2024 machten die Rocket Beans damit schon einen Umsatz in Höhe von knapp vier Millionen Euro, produzierten erneut Unterhaltung auf der Gamescom sowie TV-Formate wie „Tagesschau Together“ (mit NDR und SWR X Lab) auf Twitch und für ARD-Kultur „Machiavelli Sessions & Stories“. Letzteres ist in diesem Jahr für den Grimmepreis nominiert.

Auch wenn die aktuelle Nominierung natürlich für Arno Heinisch etwas Besonderes ist: Er kennt das Gefühl schon zur Genüge. Es ist das neunte Mal für ihn seit „Pimp my Fahrrad“ im Jahr 2005. Die letzte Hürde zum Grimmepreis als Produzent ist ihm aber noch nicht gelungen.

Der Grimmepreis, der ist ein Wunsch,
den wir uns noch erfüllen
.“

So singen es die Rocket Beans mit Inbrunst in ihrem eigens komponierten Gebohnstags-Song (Vorsicht, Ohrwurm-Alarm!). Am 6. März werden sie samt Arno Heinisch wissen, ob dieser Wunsch in Erfüllung geht.