Tommy Wosch? Das ist doch dieser wilde Jura-studierte Typ, der ab Mitte der 1990er in Berlin anarchisches Radio machte und wenig später auch anarchisches Fernsehen. Der im bisher einzigen Morgenmagazin von ProSieben mit Fuck-you-Attitüde den Wachmacher für die müde Zielgruppe versuchte und in "Verstehen Sie Spaß" als Lockvogel ahnungslose Mountainbiker ins Schlagloch lotste. Der sich dann läuterte, Comedy-Produzent bei der UFA wurde, brave Sitcoms schrieb, auch ein Krebsdrama fürs Kino und, absolutes Highlight, "Faking Hitler" für RTL.

Und genau dieser Tommy Wosch macht jetzt fürs Erste auf besinnlich und haut auf dem zuckersüßen Degeto-Freitag einen Weihnachtsfilm raus.

Zugegeben, "Alle Jahre wieder" ist ein himmlisches Roadmovie geworden mit tatsächlich Liebe und autobiografischen Zügen drin. Es taugt zum Weihnachtsklassiker zwischen "Stirb langsam" und "Drei Nüsse für Aschenbrödel".

Aber warum ein Weihnachtsfilm ausgerechnet von Tommy Wosch? Dieser Widerspruch, der vielleicht gar keiner ist, muss besprochen werden.

Nur, wie soll das gehen, nach diesen weltbewegenden Stunden, in denen ein Traum in Alp wahr wurde und die Stimmung im Keller ist? In der also Donald Trump gerade wiedergewählt wurde?

Es war eine kurze Novembernacht auch für Tommy Wosch, als er auf der Terrasse eines mallorquinischen Hotels sein Laptop aufklappt. Bis drei in der Früh hatte er sich den rotzlangweiligsten Teil der Wahlnacht reingeknetet. Um fünf schreckte er auf, klebte wieder an den News aus USA, als wie in einer Chinesischer-Sack-Volte alles rot, rot, rot wurde. Er regte sich über die kichernden Zahlendeuterinnen im Sat.1-Studio auf und machte sich dann ran an die Übersetzung von Trumps Wahlsiegrede, deren Gehirnwäschepotenzial er sich nicht entziehen konnte.

"USA! USA! USA! Wie wunderbar! Großartig!" und so fort ist nachzuhören in der Feierabendpodcastshow "Ab 17!", die Wosch mit seiner Frau und früheren Radiokollegin Kathrin hostet. Und wer länger als zwei Sätze hinhört mit dem Wissen um sein Talent für Instant-Comedy, merkt, dass sich da ein paar, nun ja, Übersetzungsfehler eingeschlichen haben. Great!

Tommy Wosch © Yves Sucksdorff
Ist schon klar: Ohne eigenen Podcast ist man heutzutage nicht mehr wer. Aber gleich zweimal am Tag labern und das neben dem Hauptjob als Fernsehproduzent und Autor? "Ist doch herrlich, eine Ehe, in der man mindestens eine Stunde am Tag miteinander spricht", antwortet Tommy Wosch müde wie trocken.

Sich streiten trifft’s besser.

Immer ab fünf und ab 17 Uhr sind Szenen einer Mischehe zu erleben, denn Kathrin, geborene Thüring, verbrachte ihre ersten Lebensjahre in der DDR, Tommy ist gebürtiger München-Pasinger. Das sorgt für Spannung im Dialog, da wird die deutsch-deutsche Annäherung geübt. Und es klingt dann auch noch fast so wie aus dem Radio, live und ungeschnitten, so wie früher als sich das Paar in "Ab 18!" auf Radio Fritz raufte und später in „Bonnies Ranch“ auf radioeins.

"Ab 17!", die Fortsetzung mit Podcast-Mitteln, ist Tommy Wosch zufolge "mehr ein Hobby, reich werden wir damit nicht". Dennoch löste sich das "Powercouple" unlängst aus dem Studio Bummens-Kosmos und podcastet jetzt auf eigene Rechnung. Das war "der logische Schritt". Das Studio ist zuhause im Wintergarten. Die Woschs können jetzt machen, was sie wollen und wann und wie sie es wollen.

Sie könnten zum Beispiel für die US-Wahlen nach New York fliegen und ihre Fans mit lokalen Eindrücken beglücken. So war jedenfalls der Plan.

Warum die beiden dann auf Mallorca strandeten, ist eine komplexe Geschichte, die die Woschs of course in "Ab 17!" auswalzten, deren Details aber nur die "geschätzten Bezahlis" erfuhren, die Abonnenten der kostenpflichtigen Variante mit special content.

Für die geschätzten DWDL.de-Leserinnen und Leser gibt’s die Auflösung hier, natürlich gratis:

Der Grund ist, dass Tommy und Kathrin Wosch vielleicht insgesamt ein bisschen zu viel machen, was sie manchmal aus der Kurve trägt, denn sie sind jetzt auch nicht die allerstrukturiertesten Menschen (sagt er). Sie schaffte es immerhin rechtzeitig, ein ESTA-Visum für die USA zu bekommen. Er nicht. Kriegten es die Beamten in der Botschaft nicht auf die Kette, dass es sich bei Tommy Wosch und Tamás Maria Johannes Elemer Alexis Vass de Biha um ein und dieselbe Person handelt?

Vass ist ungarisch und wird Wosch ausgesprochen. Weil er es irgendwann leid war, das immerzu zu erklären, legte er sich vor Jahren den Künstlernamen Tommy Wosch zu, der aber so nicht im Pass steht . . . Na ja, und sie fuhren dann trotzdem zum Flughafen in der Hoffnung, dass es mit dem Visum doch noch klappt, was es nicht tat. Sie gerieten in einen Stau, hätten den Flieger nach USA so oder so verpasst, schüttelten sich kurz durch und buchten Malle. Olé!

Mallorca statt USA

Statt US-Wahlberichterstattung gab es dann Tapas-Empfehlungen im Podcast. Und dazu eine seltene Auszeit zu zweit. Denn fünf Kinder haben die Woschs ja auch. Sie sind mit ein Grund, warum Tommy Wosch am liebsten zuhause ist, auf dem Liegefahrrad Drehbücher schreibt, auf dem Crosstrainer Calls macht und sich dann freut, wenn die Kinder mehr oder minder gut gelaunt von der Schule kommen und das Haus dann anfängt zu leben.

Die Bedürfnisse ändern sich halt jenseits der 50. Und erst recht, wenn man ein Doppelleben als Fernsehmensch führt.

Seine Anfänge hatte Tommy Wosch, ein original 1968er, zwar 1995 beim Radio in Augsburg, wo er bis zur Rechtsanwaltsberechtigung studierte. Aber seit ihn 1999 der Sender Sat.1 entdeckte, machte er auch Fernsehen vor und hinter der Kamera. Parallel betrieb er eine eigene Produktionsfirma, Vass & Biller, die fast ausschließlich Sketche und Versteckte-Kamera-Film produzierte. Letzteres Genre lief sich tot, weil es nicht mehr in den Zeitgeist passte, Leute vorzuführen. Und die Sketche, von denen es Anfang der Nullerjahre einen ziemlichen Overload gab, waren, vorsichtig ausgedrückt, nicht wirklich alle supergut, auch nicht seine. Das hat im Endeffekt der Firma die Geschäftsgrundlage entzogen.

Na ja, und außerdem hatte Tommy Wosch selbst auch erstmal die Schnauze voll von Sketchen und Kamera verstecken, auch vom Risiko als kleiner Independent. Er hatte Bock auf einen "großen Dampfer, der von hinten anschiebt" und zwei Sitcoms in der Entwicklung, als ihm 2015 bei der UFA Marcus Brunnemann (geschäftsführend für Filme und Serien) und Marc Lepetit (geschäftsführend für Dokus) den neuen Posten Leiter Comedy antrugen. Mit "Triple Ex" durfte der lustige Autor gleich mal sein Gesellenstück als Fiction-Produzent umsetzen.

Tommy Wosch © Yves Sucksdorff
Für die Leute, die jetzt denken: Mensch, mal auf RTL+ nachschauen, wie das so war mit der Comedy über die charmante Zahnarzthelferin Anna: "Nee", schüttelt Tommy Wosch lachend den Kopf, "muss man nicht." Er sei damals "quasi noch Produzent in Ausbildung" gewesen, sehr Buch-fixiert ("Was ist wichtig? Erstens das Buch, zweitens das Buch, drittens das Buch . . ."). Und der Sitcom-Hype, nun ja, war vielleicht gar kein Hype, sondern eher eine Missinterpretation des Markts.

Er selbst sagt jedenfalls von sich, dass es ihm bisher noch nicht gelungen sei, eine Sitcom zu machen, die er richtig brüllendkomisch findet und wo er in die Welt hinausschreien möchte: "Schaut mal, was für einen geilen Scheiß ich hier gemacht habe."

"Triple Ex" war zumindest nicht soooo schlecht, dass man ihn bei RTL nicht mehr aufs Gelände gelassen hätte. Es folgten "Beck is back!" (Anwaltsserie mit Bert Tischendorf) und "Schwester, Schwester – Hier liegen Sie richtig!" (Krankenhausserie mit Caro Frier), jeweils als Produzent und Chefautor und mit Ausrufezeichen, aber nur im Titel.

Und dann kam "Faking Hitler", Tommy Woschs Übergang sozusagen von der light zur eher ernsten Fiction. Und das kam so:

"Faking Hitler" ist "echt gut durchgegangen"

Eigentlich war er wildentschlossen, in Thailand Urlaub zu machen mit der Familie. Aber wie es halt so ist: zu viel Tagesfreizeit, die Gedanken schwärmen aus und kreisten dann um ein Thema, das ihn permanent beschäftigt: Wie rechts ist Deutschland und wo liegen die Gründe dafür? Könnte ein Grund auch die nicht stattgefundene Entnazifizierung nach dem Dritten Reich sein?

Die Gedankenreise endete bei den gefälschten Hitler-Tagebüchern und bei "Schtonk", einem von Woschs Top-Five-Lieblingsfilmen. Diese Geschichte bringt es für ihn auf den Punkt: "Wenn ein eigentlich linksliberales Magazin – das war der ,Stern‘ damals – sich von zwei Nazis verarschen lässt und dann meint, die Geschichte des Dritten Reichs müsse umgeschrieben werden, dann ist das ein sehr deutlicher Beweis für nicht-erfolgte Entnazifizierung."

Nicht wenige Menschen dächten auch heute wieder, "dass Hitler eigentlich ein ganz patenter Typ gewesen ist". Noch in Thailand setzte Wosch die ersten 20 Seiten auf. Dann ging es relativ schnell. "Faking Hitler" war ein Projekt, was "echt gut durchgegangen ist", sagt er. Auch bei der Jury des Deutschen Fernsehpreis: Beste Drama-Serie, Chapeau!

Und was hat’s gebracht?

"Nicht so viel, wie ich gehofft hatte", lacht Tommy Wosch. Er dachte: "Jetzt wird sicher jeder Sender sofort mit mir so was Ähnliches wie ,Faking Hitler‘ machen wollen. Aber es geht immer wieder von vorne los." Na ja, nicht ganz: "Die Serie hat schon ein wenig Respekt ausgelöst. Das hilft beim Zusammenstellen guter Teams oder natürlich beim Besetzen."

Und es hilft vielleicht auch, Ressentiments zu überwinden.

Fiction vs. Factual

Für Fiction-Produzent:innen sind die Factual-Produzent:innen Schmuddelkinder. Factual-Produzent:innen finden wiederum Fiction-Produzent:innen arrogant und überbewertet und denken sich: Wir setzen acht Nackte auf eine Insel für 72.000 Euro pro 45-Minuten-Folge, die Leute gucken sich das an wie verrückt, und dann kommen die Fiction-Heinis, kriegen 15-mal so viel Kohle, haben aber ein Viertel der Quote, was machen die eigentlich auf dicke Hose?

Solche Gedanken kennt Tommy Wosch, der ehemalige Factual- und heutige Fiction-Produzent. Er kann sie nachvollziehen. Sieht ein, dass "wir durchaus noch besser werden können mit der Fiction". Wünscht sich dafür von Sendern und Streamern mehr "Übungsfelder", damit Fiction-Produzent:innen ähnlich wie ein Arzt nach der 400sten Meniskus-OP sagen können: Jetzt weiß ich, wie’s geht.

Ist "Alles Jahre wieder" so ein Übungsfeld?

Na ja (um Tommy Woschs Lieblingsfüllsel aufzugreifen): Die Degeto gab ihm halt die Chance, einen Film über ein Thema zu machen, das ihn schon als Kind beschäftigte, "eine geradezu existenzielle Frage":

Macht es Sinn, eine Beziehung zu führen und daran festzuhalten, in guten wie in schlechten Zeiten, und wenn ja, was ist der Mehrwert am Festhalten einer Beziehung, ganz egal, wie gut sie auch immer ist? In der Generation seiner Eltern habe es sicherlich so etwas wie einen Pay-off fürs Zusammenbleiben gegeben, "aber der kam oft relativ spät, in manchen Fällen erst am Ende einer langen, vermurksten Ehe."

Und so kam Tommy Wosch beim Grübeln auf diese bestechende Parallele: Das Festhalten bzw. Nicht-Festhalten an einer Beziehung könne man doch schön mit dem Festhalten an bzw. Ablehnen von Bräuchen und Traditionen spiegeln. Denn es ist ja zurecht eine mindestens genauso wichtige Frage: Macht es Sinn, sein ganzes Leben lang vor der Bescherung Kartoffelsalat mit Wiener Würstchen zu essen oder besser danach?

Bei der Verbindung dieser beiden Themen "drängte sich ein Weihnachtsfilm geradezu auf", so Wosch. Und auch Erinnerungen an das Weihnachten in der eigenen Familie, die in das Drehbuch einflossen.

Zum Beispiel diese hier: Wie er mit dem Vater spontan am 24sten beschloss, zur Großmutter ins Krankenhaus nach Niederbayern zu fahren. Es schneite tierisch, dauerte ewig, aber die Großmutter freute sich unglaublich. Es war das letzte Mal, dass er sie lebend sah . . .

Für die Leute, die jetzt denken: Mensch, mal anschauen, wie das so ist mit dem Film-Felix und den anderen tollen Schauspielern in "Alle Jahre wieder": Ja, ja, unbedingt. Aber um die Erwartungen gleich zu dämpfen: "Es ist ein kleiner Film." Sagt Tommy Wosch.

Er werde "die Welt damit nicht aus den Angeln heben und keine Depression heilen". Trotzdem hofft er natürlich, dass ihn sich viele Menschen anschauen, sich abgeholt fühlen, in eine gute Stimmung kommen. "Ja, das wäre schön."

Tommy Woschs Wunsch ans Christkind geht hiermit raus. Oh du fröhliche allerseits!

"Alle Jahre wieder" ist am 6. Dezember um 20.15 Uhr im Ersten zu sehen und steht bereits ab 4. Dezember in der ARD-Mediathek zum Abruf bereit.