Du liebe Güte, ist das aufregend: Noch zweimal schlafen, dann wissen wir Bescheid, ob neben dem Kölner Lutz Heineking jr. („Nahaufnahme“ vom vorigen Samstag) auch die Kölnerin Isabel Kleefeld am Montagabend in New York bei dem iEmmys genannten Gipfel-Treffen Kölner Filmschaffender jubeln wird können. Ihre nominierte Serie „Liebes Kind“: ein global Hit auf Netflix. Die Romanvorlage von Romy Hausmann: ein Bestseller auch in den USA.
Was kann da bitte schön schiefgehen?
Aufregend muss die Aussicht auf den Award auch für Isabel Kleefeld sein. Und bestimmt lebensverändernd der Streaming-Erfolg für sie als Regisseurin und Autorin?
I wo. Überhaupt nichts habe sich in ihrem Leben verändert, sagt Isabel Kleefeld sehr bestimmt, als man vor ein paar Tagen mit ihr sprechen kann, und sie arbeite täglich daran, dass das auch so bleibt: „Mein Leben ist gut so, wie es ist. Ich bin total dankbar, das so sagen zu können.“
Es ist ihr natürlich klar, dass eine so positive, weltweite Aufnahme ihrer gemeinsamen Arbeit „unique ist“ und eine Wiederholung nicht planbar, egal wie sehr man sich anstrengt. Deshalb versuche sie: „Ruhe bewahren und weiter Spaß an dem haben, was ich mache.“
Omm. Wie kann man als Expertin für crime and thrill nur so entspannt sein?
Vor allem im des Deutschen liebsten Fernsehfach, dem Krimi, hat Kleefeld Ausrufezeichen voller Schrecken gesetzt, seit sie Maeve Carels Roman „Arnies Welt“ in einem Eifeldorf in Szene setzte und bewies, dass sie einem Film Rhythmus verleihen kann, „der uns nicht gewaltsam mitreißt und überwältigt, sondern uns glauben macht, wir hören zwischen all den Bildern ein Herz schlagen“.
Man musste Isabel Kleefeld ehrlicherweise zu diesem Gespräch ein bisschen überreden. „Liebes Kind“, das sei doch schon so lange her. Sich in den Vordergrund stellen, das könnten ruhig andere tun. Und über was solle sie überhaupt reden? Sie sei doch eher „semireflektiert und semiinformiert“. Sie wolle doch bloß ein paar schöne Tage mit ihrm Mann in New York verbringen, das übliche Touri-Programm absolvieren, denn in dieser Stadt, in den Staaten überhaupt sei sie noch nie gewesen.
Understatement, das kann Isabel Kleefeld also auch gut.
Zwischendurch wird einmal genau dieser Mann hereinplatzen, um sich zu erkundigen, ob die Katzen die Impfung am Morgen gut überstanden haben. Er reist übrigens mit in den Big Apple: Tom Spieß ist als Produzent von „Liebes Kind“ mit nominiert.
Auch wenn Isabel Kleefeld sich und die iEmmys scheinbar nicht so wichtig nimmt: Die Bedeutung für die deutsche Film- und Fernsehbranche erkennt sie in der Nominierung schon. Und an ihren Ausführungen zeigt sich, dass sie gar nicht so unreflektiert und uninformiert ist, wie sie tut.
So sagt sie also: „Je mehr international wahrgenommen wird, mit welchen Schauspieler:innen und Teams und mit welcher Qualität und Efficiency wir hierzulande produzieren können, umso besser für die Branche, gerade in der jetzigen Situation, in der die Reform des Filmfördergesetzes und das Steueranreizmodell in der Schwebe sind.“
Das Dilemma der Regisseurin
Mit deutscher Efficiency meint sie, dass in Deutschland immer noch kostengünstiger produziert werde, als es in den USA oft möglich sei, auch wenn die Kosten ab 2025 steigen würden durch den nach zähen Verhandlungen fixierten Tarifabschluss für 25.000 Filmschaffende. Höhere Schauspielergagen, längere Pausen für die Crew, das ist etwas, was Isabel Kleefeld „grundsätzlich unterstützt“. Andererseits verstärkt es ihr „Dilemma als Regisseurin“:
„Wenn man neben Anfahrt, Maske, Kostüm, Lichtaufbau, Mittag, Fresh up, späteren Abbau, Abwicklung, Heimfahrt et cetera nur noch fünf bis sechs Stunden effektive Drehzeit am Tag hat, dann muss man drehen wie ein angestochenes Schwein.“ Mehr Drehtage für das vermeintlich selbe Ergebnis würden höhere Budgets bedeuten. Und deren Finanzierung im Inland auf die Beine zu stellen, das werde immer schwieriger.
Mit anderen Worten: Da beißt sich das Schwein in den Schwanz.
Höchste Zeit also, dass es in Sachen FFG („bringt Verlässlichkeit und Planungssicherheit“) und Steueranreizmodell („federt den erhöhten Kostendruck ab“) zu einer Lösung kommt, findet Kleefeld. Sonst wanderten noch mehr attraktive Projekte für den Dreh in die europäischen Länder ab. Sie fordert: „Hier zu drehen, muss weiterhin eine erstklassige Option bleiben.“
Was „Liebes Kind“ betrifft: Die Mini-Serie, die in den ersten zwei Wochen nach Veröffentlichung im September 2023 auf Netflix die meistaufgerufene nichtenglischsprachige Serie war und sich in mehr als 90 Ländern in den Serien-Top 10 befand, ist im wahrsten Sinne des Wortes ein German Original. Bis auf eine Szene am belgischen Meer wurde die Story in und um Köln herum verfilmt. Oft konnte Isabel Kleefeld auf dem Rad zum Set fahren.
Wobei: Ganz so toll scheint Drehen in Köln nicht (mehr) zu sein, wenn man ihr zuhört. Das Wort „Desaster“ fällt sogar einmal.
Ob Nachtdrehverbot oder Drehverbote für Straßen und Viertel für den Rest des Jahres, wenn dort bereits gedreht wurde, ob Auskünfte zu Genehmigungen zu bekommen und so weiter: Die Drehbedingungen werden ihr zufolge in der Medienhauptstadt von Jahr zu Jahr schwieriger. Sie habe ja großes Verständnis dafür, dass Anwohner auch mal genervt sind: „Wir brauchen Parkflächen, wir sind im Weg, wir leuchten durch die Gegend, wir machen Umstände.“
Andererseits: „Wenn keine Geschichten mehr auf den Bildschirmen laufen, das wäre doch blöd.“ Sagt's und zieht an ihrer E-Zigarette. Das soll ja entspannen.
Apropos „Medienhauptstadt“: Dass Isabel Kleefeld, die 1966 in Helau-Gebiet geboren wurde, in Köln gelandet ist, ist eigentlich – Alaaf! Alaaf! – verboten, oder? „Zehn Jahre Berlin neutralisiert, sodass man als gebürtige Düsseldorferin die Einreisegenehmigung für Köln bekommt“, kontert sie lachend.
Nach Berlin ging Isabel Kleefeld in den Neunzigern des vorigen Jahrtausends, die für sie gerade dort von dem Gefühl geprägt waren: Alles steht uns offen, wir verlängern unsere Jugend und müssen uns nicht sofort entscheiden. „Blauäugig“ findet sie das im Nachhinein, „Generation X“ eben.
Weibliche Regie-Vorbilder? Fehlanzeige
Sie studierte Publizistik und Politik an der FU Berlin mit dem Ziel, in die politische Berichterstattung zu gehen. Dann probierte sie es mit Visueller Kommunikation an der Universität der Künste. Das Studieren finanzierte sie mit Jobs beim früheren SFB, für „Abendschau“ und „Kontraste“ – und beim Film. Ihren Einstieg beschreibt sie als „eine Mischung aus zweckorientiert und spielerisch“. Als sie als Script/Continuity und später als Regieassistentin arbeitete, habe bei ihr noch immer nicht an der Wand gestanden: Ich möchte unbedingt Regisseurin oder Autorin werden. Aber sie fand die Jobs, die sie machte, einfach immer besser und mit dem Machen wuchs das Interesse.
Wahrscheinlich, sagt sie, habe das damit zu tun, dass sie hauptsächlich Filme mit weiblichen Hauptfiguren gedreht habe und drehe, was ihr übrigens erst neulich aufgefallen sein will, „also alles wirklich semireflektiert“. „Liebes Kind“ reiht sich in ihr weiblich geprägtes Œuvre da perfekt ein.
Romy Hausmanns Manuskript durfte sie noch vor Veröffentlichung des Romans lesen. Mit der ehemaligen dtv-Verlegerin Claudia Baumhöver tauscht sie sich nämlich seit Jahren über Literatur und Filme aus. Bei der Lektüre habe sie dann „sofort einen Film gesehen“, einen „sehr, sehr langen Film“, weshalb der Gedanke aufkam, erstmals eine Serie zu drehen, aber nicht allein.
Die gemeinsame Agentin kam auf die Idee: Der Julian Pörksen wohnt doch auch in Köln. Ihr geht beide gerne am Rhein joggen und spazieren, warum nicht zusammen? Und so landeten sie an Kleefelds Küchentisch in der Südstadt, um gemeinsam zu spinnen und Zettelchen an die Wand zu pinnen. Weil das so gut lief, überließ Kleefeld dem jüngeren Pörksen auch Teile der Regie.
Eine Premiere war für sie, die zuvor vor allem für die Öffentlich-Rechtlichen gearbeitet hatte, die Zusammenarbeit mit Netflix. Sie hätten „den bestmöglichen Partner im Sinne des Projekts gesucht. Vielmehr die bestmögliche Partnerin“. Zumindest sie hatte es beim Streamer ausschließlich mit Frauen zu tun gehabt. Alle seien „zugewandt, engagiert und hoch professionell“ gewesen. Auch fordernd, keine Frage: „Natürlich kann nicht jeder Tag Blumenwiese und Sonnenschein sein, aber es hat wirklich gepasst.“
Und so konnten Kleefeld, Pörksen und der Rest des Teams bei „Liebes Kind“ ihren eigenen Rhythmus, die eigene Melodie finden. Geholfen haben im Schnitt auch die Kompositionen des zweifachen Oscar-Gewinners Gustavo Santaolalla.
Als dieser in diesem Sommer für einen Lifetime Achievement Award nach Köln kam, führte ihn die Regisseurin herum. Dom, Rheinschifffahrt, das übliche Touri-Programm inklusive tollem Essen und Fußball-EM-Gucken. Und egal, wo sie hinkamen, wurde der Argentinier erkannt. Einfach irre.
Ob ihr das in New York auch passieren wird? Wer weiß das schon.
Und was bringt die Zukunft?
Auf die Frage, was sie glaubt, was sie in Trumps Amerika erwarten wird, überlegt Isabel Kleefeld kurz: „Naja. Am Tag nach der US-Wahl hatte ich einen Video-Call mit einer amerikanischen Producerin. Und als ich sie fragte, wie es ihr geht, wie denn aktuell die Stimmung sei, hatte sie Tränen in den Augen. Ich denke, viele sind geschockt und berechtigterweise sehr besorgt bis wütend.“
Aus dem Call, beeilt sie sich zu sagen, dürfe man aber nicht ableiten, dass sie künftig in den USA arbeiten werde: „Es war ein Sounding out, ein Kennenlerngespräch aus purem Interesse.“
Uns interessiert natürlich: What’s next? Was kommt nach „Liebes Kind“, ihrem Serien-Erstling und Must-see mit Verlangen nach mehr?
Romy Hausmann hat ja mit „Marta schläft“ und „Perfect Day“ zwei Psychothriller nachgelegt, wieder bestverkauft. „Tolle Bücher“, findet auch Isabel Kleefeld, aber ihrer Ansicht nach schwer zu adaptieren, ohne das Kern-Geheimnis in der Bildübersetzung zu früh zu verraten. Soweit sie weiß, sind beide Stoffe optioniert. Sie ist gespannt, „wie diese Nuss geknackt wird“ und will die Verfilmungen unbedingt anschauen.
Sie selbst sitzt: wieder an einem Psychothriller. Das Genre ist schon ihres. In diesem Sujet könne man unter dem Deckmantel der Spannung sehr viel über die Untiefen der menschlichen Charaktere erzählen, sagt sie und lacht: „Naja, andererseits muss ich nur die Nachrichten anmachen. Da laufen auch lauter Psychothriller mit wahnsinnigen Narzissten.“
Hello and goodbye, Mr. Trump!
Ob das Projekt wieder für Netflix ist, will Isabel Kleefeld nicht sagen. Noch sei nichts spruchreif.
Huch, das ist ja alles wieder so aufregend . . .