Auch wenn es im vorigen Jahr bei den International Emmy Awards aus deutscher Sicht sehr gut ausging für die Netflix-Sisi und ihren Produzenten Jochen Laube: Nicht wenige in der TV-Branche finden, dass die Deutschen oft seltsam übersehen werden in der Welt.

Lutz Heineking jr. zum Beispiel, Filmemacher in Köln-Nippes, fallen etliche Produktionen der letzten Jahre ein, wo er sagen würde: Die hätten es verdient, wenigstens nominiert zu sein für den wohl prestigeträchtigsten Fernsehpreis außerhalb Deutschlands. Das internationale Standing hiesiger TV-Produktionen beschreibt er insofern mit genau diesen zwei Worten: „ausbaufähig, aber nicht hoffnungslos“.

Nicht hoffnungslos? Der ist gut!

Just dieser Mann kann sich Hoffnungen machen, am 25. November in New York einen iEmmy entgegenzunehmen für eine Serie, in die er zwar nicht wie meist üblich an vorderster kreativer Front, also als Regisseur, involviert war, die er aber für den Kika produziert hat.

Nominiert ist „Gong! Mein spektRakuläres Leben“ über den Alltag der zehnjährigen Autistin Eileen und ihrer speziellen Wahrnehmung der Welt. Es ist nicht die einzige deutsche Nominierung in diesem Jahr – im Rennen ist auch, welch doppelte Freude, die deutsche Erwachsenen-Serie „Liebes Kind“ (von der am kommenden Samstag in der „Nahaufnahme“ noch die Rede sein wird) – aber es ist die einzige im Kinderbereich.

Wenn das kein Anlass ist für (sorry fürs Wortspiel) Eitelsonnenschein?

Exakt diesen Namen hat Lutz Heineking jr. seiner Firma gegeben, als er sie 2005 als GmbH in Berlin gründete, damals noch als Werbefilmproduktion. Wo, wenn nicht in der Werbung scheint meistens die Sonne und alles ist gut?

Gleiches lässt sich durchaus über den Firmengründer sagen.

Wer ihn einmal live erlebt hat und mit seinem Umfeld spricht, weiß: Wo er auftaucht, geht die Sonne auf. Er ist halt einer dieser Menschen, die extrem unterhaltsam sein können und mit denen es nie langweilig wird, ob als Gesprächspartner oder als Chef, weil „minütlich neue Ideen geboren, überarbeitet oder verworfen werden, nur um kurz darauf erneut überprüft und auf links gedreht zu werden“. So steht‘s auf der Firmen-Homepage über den Firmen-Chef.

Man kann das auch weniger liebevoll lesen: Puh, klingt irgendwie nach ADHS und reichlich Sonnenköniggehabe, also anstrengend. Er selbst weist das im Gespräch ganz weit von sich:

„Ich glaube nicht, dass man das so pauschal sagen kann.“ Ja, schon, es geschehe bei ihm viel aus dem Moment heraus, auch viele Ideen zu Shows und Serien, bei denen er häufig selbst Regie führt, habe er eher spontan. „Aber das ist ja nicht unbedingt etwas Falsches.“ Was die Vorbereitung von Dingen angeht, auch Drehvorbereitung, sei er sehr genau. Er brauche um sich herum Struktur und Ordnung als Grundlage. Daraus entstehe dann etwas, „was durchaus wild sein kann. Ich glaube, das ist ziemlich unique. So funktioniert auch diese Firma.“

Guter Verkäufer in eigener Sache

Und sooo anstrengend könne das von ihm geschaffene Umfeld ja nicht sein, wenn seine plus/minus 20 Mitarbeiter trotz seit Corona aufgehobener Büroanwesenheitspflicht jeden Tag in persona erscheinen, oder?

Auf jeden Fall, und das dürfte niemand bestreiten, ist Lutz Heineking jr. ein guter Verkäufer, auch gerne in eigener Sache. Das ist eine Gabe. Sie hat seine Firma eitelsonnenschein gut nach vorne gebracht. Raus aus Köln-Nippes, schon bald in New York.

By the way: Aufmerksamen DWDL.de-Bildergalerie-Guckern dürfte aufgefallen sein, dass der seinen Smoking gut ausfüllende, sonnenbebrillte Lutz Heineking jr. schon zweimal als Gast bei den iEmmy Awards dabei war. Auch ohne diesjährige Nominierung wäre er so oder so in den Big Apple geflogen, weil es für ihn „ein guter Rahmen ist, um Entscheider im kleinen Rahmen und komprimiert kennenzulernen“.

Lutz Heineking jr. in New York © privat Lutz Heineking jr. 2022 auf dem Times Square in New York City.

Bevor er abhebt über den Teich, machen wir kurz einen Abflug in sein bisheriges Leben – und lüften als erstes das Geheimnis um das „jr.“ in seinem Namen.

Geboren wurde er als Dirk Lutz Heineking vor bald 50 Jahren in Köln. Da in der ersten Klasse gleich drei Dirks saßen, bot sich Lutz als Rufname an. Den Junior hängte er hinten dran, als Lutz Senior, der Vater, versehentlich einen Liebesbrief an den Sohn öffnete. Der Vater starb vor 12 Jahren. Seitdem trägt er das „jr.“ mit „noch mehr Gefühl“.

Mit 15 wusste Lutz Junior bereits, dass er Regisseur werden wollte. An Filmhochschulen in New York und London studierte er und nicht in München an der Hff, wo er auch eine Zusage hatte. Im Nachhinein war das eine gar nicht so kluge Entscheidung, denn so hatte er überhaupt keine Kontakte zur deutschen Filmszene, als er sich in Berlin niederließ. So jobbte der Ex-Filmstudent erstmal in der Immobilienbranche, machte parallel Making-ofs für den X-Verleih. Trug Skijacken und kiffte, waberte etwas ziellos herum. Dann wurde er vehement verlassen.

Anstatt in Liebeskummer zu ersaufen, raufte sich der Verlassene zusammen. Er gründete aus Trotz das Künstlerkollektiv „eitelsonnenschein, Liebeslyrik und klassische Medien“. Alle, die da mitmachten, schrieben Gedichte und hatten ein Faible für Film. Mit der Anschubfinanzierung durch den Vater wurde daraus eine GmbH. 30 Jahre war der Junior da mittlerweile und hatte erstmals einen „richtigen“ Job. 2007 kehrte er dann dorthin zurück, wo die Leute „Soul haben“, nach Köln. Und wo ein besonderer Ort auf ihn wartete: die alte Bonbon-Fabrik der Großeltern.

Bis Anfang der 1970er stellten am Niehler Kirchweg 128 im Stadtteil Nippes die Zuckerwarenfabrikanteneheleute Edel Drops, Dragees und Toffees her. Es roch nach gebranntem Zucker, Eukalyptus und Schokolade. Die Enkel, Lutz und der vier Jahre jüngere Hans-Peter Heineking, übernahmen Mitte der 2000er das „Nippeser Juwel“ und bauten es zum Firmensitz von eitelsonnenschein aus, mit Liebe, aber nun ohne Lyrik im Titel. Ganz oben im Loft wohnt der erstgeborene Heineking sogar. Seither riecht es im Industriebau ganz doll nach Kreativität. Statt Kamelle werden Filme produziert.

 

"Wir verschließen uns ganz sicher nicht den großen kommerziellen Produktionen."

 

Im Anfang waren es aber erstmal nur Werbespots. Das große Filmische traute sich der Firmengründer noch nicht zu – um dann zu merken, „was für eine große Kunst es ist, Werbung in der ganz kurzen Form zu machen“.

Spots für „Das Erste“ am Vorabend oder Musikvideos für Fortuna Ehrenfeld und Romy Hausmann, die singende Bestseller-Autorin von „Liebes Kind“, gehören noch immer zum Brot-und-Butter-Geschäft, was Lutz Heineking forcieren möchte, verständlicherweise. Von Serien für TNT oder ZDFneo allein kann man nicht überleben. Fiction ist allerdings das, was er „ehrlicherweise“ immer machen wollte.

Weil er in der Corona-Pandemie so viel produzierte wie noch nie, vor allem die Serien „Andere Eltern“, „Ausgebremst“ und „Drinnen – Im Internet sind alle gleich“, stand hier auf DWDL.de über Lutz Heineking einmal, er sei ein „Kölner Nischen-Mogul“ und „Experte für Nippes“. Das findet der so Beschriebene immer noch sehr zutreffend, „also Nische als USP“. Andererseits: „Wir verschließen uns ganz sicher nicht den großen kommerziellen Produktionen. Ich habe sogar sehr große Lust drauf.“

Ob das auch für alle Seiten gilt? Was den USP betrifft, also ganz viel Improvisiertes, Semi-Fiktionales, Semi-Dokumentarisches, den eitelsonnenschein seit dem Erstling „Spendensucht“ (2007) stetig und mit Erfolg („Drinnen“ erhielt 2021 einen Grimme-Preis) verfeinert hat: Dieses Impro-Theater ist doch etwas, was Sender üblicherweise zu Schweißausbrüchen treibt, weil es unberechenbar ist?

„Das kann ich zurückgeben“, lacht Heineking, „die Sender machen dauernd Sachen, wo ich ins Schwitzen komme.“ Aber im Ernst: Experimentelles Fernsehen oder wie er es lieber nennt: innovatives Fernsehen ist für ihn nicht unberechenbar. Sie hätten bewiesen, dass sie es können. „Wir denken out of the box. Und ich finde, die Zeiten sind so, dass die Leute Bock haben auf das Spezielle.“

 

"Die Sender machen dauernd Sachen, wo ich ins Schwitzen komme"

 

Als sein Baby bezeichnet Heineking die fiktive Doku-Serie „Andere Eltern“ über vier Paare, die eine eigene KiTa gründen. Einig sind sie sich nur in einem: Das Schlimmste sind andere Eltern. Die Ausgangsidee zu diesem Stoff hatte Wasti Züger, Mitstreiter aus frühen eitelsonnenschein-Tagen. Die Motivation, etwas Zeitgeistiges über das Lebensgefühl ihrer Generation zu machen, war bei seinem Chef ganz klar: Hass.

Als jemand, der von Prenzlauer Berg nach Nippes gezogen war, habe er liebevoll, aber eben auch voller Hass all die Eltern um sich herum beobachtet, die wie Helikopter über ihren Kindern schwirren, erzählt Heineking. Es habe kein Gespräch mehr gegeben, an dem sich der selbst Kinderlose beteiligen konnte. „Die sind mir alle ganz schön auf den Sack gegangen.“ Lachend schränkt er ein: „Okay, was wir mit unserem Dackel Tiffy für einen Zirkus veranstalten, ist auch nicht normal.“

Aber hallo! Kleiner Exkurs: Tiffy hat nicht nur ein festes und flauschiges Plätzchen in Heinekings Büro. Sie dackelt auch regelmäßig mit ans Set und ist manchmal sogar Star in einer Nebenrolle, genauso wie ihr Herrchen (der sich zum Beispiel in „Gong!“ einen kurzen Auftritt als Busfahrer gönnt mit dem Hammersatz: „Sonnenschein Reisen. Sei nicht eitel, nimm den Bus.“). Tiffys Konterfei prangt zudem unübersehbar auf der Reserveradabdeckung von Heinekings Van, Marke Dodge, genannt Bob, den man in seiner (wieder improvisierten) Serie „Keine besonderen Vorkommnisse“ bestaunen kann . . .

Stopp, wir schweifen ab. Zurück zu „Andere Eltern“.

Es war improvisiert, es war besonders, es hatte ein Thema, was aus dem Alltag kam. Und ja, es hatte nach zwei Staffeln (die erste bei TNT Comedy, die zweite bei ZDFneo) sogar einen gewissen Kultfaktor. Und auch wenn „Andere Eltern“ aus Lutz Heinekings Sicht bei den iEmmys „seltsam übersehen“ wurde (bei Grimme wurde sie es nicht!): Das ZDF ließ sich zur Beauftragung einer Fortsetzung hinreißen, und zwar als Neunzigminüter. Heineking findet das „ganz schön cool und mutig“ vom ZDF. Eine Impro-Nummer am Donnerstagabend im Hauptprogramm, das sei „ein Experiment“.

Lutz Heineking jr. am Set von Andere Eltern © Daniela Decker Lutz Heineking jr. am Set von Andere Eltern

Wie es ausgeht, ist noch offen. Denn obwohl der Film längst im Kasten ist, wird er in diesem Jahr nicht wie geplant ausgestrahlt. Angeblich fand der Sender durch Umstrukturierungen im Programm keinen Sendeplatz mehr. Die Ausstrahlung ist in den nächsten Winter verschoben. Mit dem Film ist Heineking sehr zufrieden: „Sehr lustig geworden. Wird geil.“ Nicht ganz so geil findet er die Verschiebung: „Als Unternehmer hoffst du immer, direkt das nächste Ding zu platzieren. Aber etwas, was nicht gesendet wird, wird erstmal abgewartet. Alles, was nicht rauskommt, sorgt erstmal nicht für Furore.“

Eine Produktion in der Warteposition: Das ist einer dieser Momente, wo jeder Produzent ins Schwitzen kommt. Und wo der Gedanke, sich einem größeren Partner anzuschließen, plötzlich sehr nah ist. So war es auch bei Lutz Heineking jr.

Viele und recht konkrete Gespräche mit Zu- und Absagen habe es gegeben. Im Nachhinein ist Heineking froh, dass es so und nicht anders gekommen ist. Denn die Leute, mit denen er verhandelte, sind nach dem großen Durchschütteln in der Branche teils nicht mehr in den Positionen. Was bringt es ihm da, wenn er einem Konzern zugehörig ist, es aber nicht mit der Person zu tun hat, die ihn holte? Sie seien als Firma nun mal „sehr special“, sagt Heineking, „unseren besonderen Touch rafft nicht jeder. Man muss aber verstehen, was man sich einkauft.“ Dass eitelsonnenschein unabhängig geblieben ist, erfüllt ihn durchaus mit Stolz, „jedenfalls immer, solange die Auftragslage stimmt.“

Neue Serien und etwas Politik

Und da sieht es momentan gar nicht schlecht aus. 2025 wird ein Jahr voller Eitelsonnenschein.

Vor wenigen Tagen war Drehschluss für die 8-teilige ZDFneo-Comedy „Rembetis“ über Imbissbudenbesitzer, die zu Geisterjägern werden. Bei „Club der Dinosaurier“, ebenfalls für ZDFneo und in Koproduktion mit Syrreal Entertainment, war Heineking fünf Monate mit Regiearbeit in Belgien beschäftigt. Eine Geschichte für ARD-Kultur ist in Planung (über die er noch nicht reden darf), ein Kinofilm („Seid einfach wie ihr seid“) vor der TV-Ausstrahlung. Dazu kommen zahlreiche Dokus für die Reihe „Heimatflimmern“ im WDR.

Und vielleicht sind auch wieder Wahlwerbespots dabei wie schon zur Europawahl 2024, die Heineking pro bono produzierte (Regie:„Gong!“-Regisseurin Hannah-Lisa Paul). Was man zur nun vorgezogenen Bundestagswahl machen könnte, treibt ihn schon länger um, weil er denkt: „Man sollte mit dem, was man kann, auch versuchen, die Gesellschaft ein wenig besser zu machen. Ich mache nun mal Filme, und das kann man ja auch, wenn es wichtig ist, mit Aussage tun.“

Es wird also nicht langweilig, mit der Politik nicht und mit Lutz Heineking jr. auch nicht. Oder wie er sagt: „Da werden wir wohl viel am Tresen stehen und unseren Ingwerschnapsnippes trinken müssen.“

Ein Glas Champagner in New York wäre ihm auch zu gönnen. Cheers!