Als bei der niederländischen Variante von "The Masked Singer" auf RTL 4 die Einschaltquoten bedenklich unter die zwei Millionen Zuschauer fielen, stand die Produktionsfirma Blue Circle unter Handlungsdruck. Eine Auswertung hatte ergeben: Die Qualität der Kostüme und Masken spielen eine entscheidende Rolle. Offenbar stimmte die Optik nicht mehr. Also richteten sie den Blick nach Deutschland und engagierten die Kostümmacherinnen der deutschen Masken-und-Musik-Show. Und siehe da: Die Zuschauerzahlen stiegen wieder.
So erzählen es Alexandra Brandner und Marianne Meinl. Die eine ist Gewandmeisterin, die andere Maskenbauerin. Und gemeinsam zaubern sie mit Nadel, Faden, Kleber, Cutter, 3D-Drucker und weiß Gott für Werkzeug seit fünf Jahren wahrlich fantastische Momente auf die ProSieben-Bühne und seit zwei Jahren auch auf RTL 4.
Die nackten Zahlen aus Polderland scheinen zu bestätigen: Ihre Zauberkraft bewirkt Quotenwunder. Und doch: Es ist komplizierter.
Chili, Brokkoli und Brilli im Glitzerrausch, Erdmännchen mit Latzhose, Nilpferd im rosa Tutu und Alpaka mit Selfiestick, Galax’Sis, Diamantula und Elgonia wie einem Fantasy-Roman entsprungen, also all diese fabelhaften Wesen, die Brandner und Meinl bisher erschaffen haben: Wie viel tragen sie tatsächlich zum Erfolg eines Formats bei, das vom Ursprungsland Südkorea aus zu einem Riesenfranchiseding geworden ist mit weltweit mehr als 50 Ablegern?
Und können sie allein helfen, dass die am 23. November startende elfte Staffel von "The Masked Singer" auf ProSieben die Trendumkehr schafft? Die Zuschauerresonanz hatte ja auch hierzulande zuletzt nachgelassen.
Um das zu besprechen, schalten sich die beiden Handwerkerinnen aus ihren jeweiligen Ateliers zu. Brandner, die Brünette auf dem Foto oben, wirkt in Garching an der Alz und Blondschopf Meinl in Wien. "The Masked Singer" ist ihr bisher größtes und erfolgreichstes gemeinsames Projekt. 2020 bekamen sie dafür den Deutschen Fernsehpreis und hatten Pech: Da war nichts mit Party für die Macherinnen der wildesten Kostümparty im deutschen TV, wegen Corona.
Ihre kreative Partnerschaft gingen Brandner und Meinl schon viel länger ein. Sie kennen sich vom Theater. Beide haben ihre Berufe von der Pike auf gelernt.
So machte sich Brandner, die Ältere von beiden, nach Gesellenjahren als Schneiderin in der Münchner Modewelt, Ausbildung zur Gewandmeisterin und Studium für Kostüm und Bühnenbild 1995 selbstständig. Sie war damals zarte 22 und einer ihrer ersten größeren Aufträge war, "Herr der Ringe" mit Rüstungen auszustatten. Nebenbei zog sie ihre beiden Kinder Estella und William groß, die mittlerweile in der Werkstatt mitarbeiten und selbstverständlich in diesem Sommer auch beim Umzug in größere Räumlichkeiten mit anpackten.
Meinl wiederum, ebenso gebürtig aus Bayern, studierte Maskenbild an der Bayrischen Theaterakademie August Everding in München und arbeitete danach an verschiedenen Theatern als Maskenbildnerin. In der Theaterhauptstadt Wien ließ sie sich nieder. Und spezialisierte sich auf den Part, der ihr am meisten Spaß macht: den Bau von Masken, Maskenteilen, Körperteilen und allen außergewöhnlichen Anfertigungen.
Arbeit längst nicht nur für TV-Shows
Die gemeinsame Werksliste ist lang und umfasst längst nicht nur die großen Häuser von Bayreuth bis Musical Hall London. Bei der Ausstattung von Madame Tussauds machten sie ebenso mit wie beim ZDF-Mehrteiler "Ku’damm 59" oder dem Historienschinken "Maximilian". Sie fertigten Dirndl für den Stanglwirt und leuchtende Westernkluft für The Boss Hoss. Außerdem schneiderten sie Ikke Hüftgold den güldenen Anzug für "Unser Lied für Liverpool" auf den Leib sowie Ruth Moschner ein Halloween-Prachtkleid für einen Gruselauftritt in Zürich.
Man kann also festhalten: Brandner und Meinl sind eine der ersten Adressen, wenn es um extravagante Ausstattung geht. Ihr Steckenpferd, sagen sie, sind die ganz fantastischen Sachen. Die, die in die Hollywood-Richtung gehen. Wo andere aufhörten, weil es schwierig zu bauen ist, fingen sie erst an, warm zu werden: "Egal, welche Produktion und sei sie noch so schwer: Wir scheuen uns vor nichts und werden immer besser."
Sie seien sogar weltweit die einzige Firma, die alles kann: "Von den Masken und Köpfen über die Körper und Kostüme bis zu den Schuhen: Wir machen alles selber." Selbst die Amerikaner, die ja immer als große Vorbilder für Träume aus Zelluloid und Seide gelten, seien "immer fassungslos", weil sie anders arbeiteten: "Dort gibt es eine Firma, die macht nur die Füße, eine nur die Hände, eine nur die Köpfe usw. Dann setzen sie die Teile zusammen. Das kann dann schon mal komisch aussehen."
Und dann setzt Brandner, die im Gespräch immer wieder die Führung übernimmt, zum ultimativen Plädoyer für ihr beider Gewerk an:
Früher habe es Revuen gegeben, das Fernsehballett, ein richtiges Bühnenbild. Inzwischen gebe es nur noch wenige Showformate, "die dem Zuschauer ins Herz greifen". Alles sei jetzt clean. Nichts gegen LED-Wände, "sie können viel, sie sind toll, aber sie sind halt tot." Deshalb versuchten sie, mit ihren Kostümen und Masken den Zuschauern ein wohliges Gefühl zu vermitteln, sodass sie denken: Ach, das berührt mich. Oder: Die Figur möchte ich sofort kaufen und knuddeln.
Der Knuddelfaktor bei "The Masked Singer" ist in der Tat nicht unerheblich, schließlich taugen Monsterchen & Co. zum lukrativen Merch-Geschäft. Anfangs kamen die Entwürfe aus Los Angeles, von der siebenfachen Emmy-Gewinnerin Marina Toybina. Inzwischen entwickelt EndemolShine die Kostüme und Puppen selbst gemeinsam mit eigenen Designern und dem Sender.
Im holländischen Pendant dagegen kommt alles, vom Entwurf bis zur Anfertigung, aus der Werkstatt Brandner/Meinl. Auch in Belgien, wo aktuell auf VTM die vierte "Masked Singer"-Staffel läuft, sind die Deutschen involviert. In dieser Woche reiste Brandner nach Brüssel zu weiteren Verhandlungen. Das Geschäft brummt also auch in der Heimat des Chicoree.
Und bei ProSieben, wo am vorigen Dienstag das Geheimnis um die ersten vier Masken der neuen Staffel gelüftet wurde und passend zur Jahreszeit auch ein knuddeliger Schneemann ins Rennen geht, der seine Karottennase abnehmen und als Mikrofon nutzen kann, und wenn er sich schüttelt, Kunstschnee rieselt, ach, wie scheee?
Dort hofft man sicher dringend auf ein Weihnachtsquotenmärchen. Die Jubiläumsstaffel im Frühjahr war, wie gesagt, die bisher schwächste mit im Schnitt nur noch 12,4 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe. Woran das lag? An den Kostümen ja wohl eher nicht, oder?
Bei der Ursachenforschung lässt Alexandra Brandner erstaunlicherweise durchblicken: Doch, könnte schon sein.
So sagt sie, es sei nicht so, dass der Sender ihnen sage: ",Macht mal, Mädels‘ – das wäre schön." Stattdessen bauten sie, "was gewünscht wird, der Kunde ist da König". Wenn sie dürften, würden sie anders bauen: "Das, was wir in Deutschland machen, ist vielleicht nur zehn Prozent von dem, was wir handwerklich draufhaben. Wir können auch ganz anders."
Anders heißt: Sie könnten zum Beispiel, wie für eine Oper in der Schweiz geschehen, eine fünf Meter hohe Figur herstellen, die trotzdem in Balance und Elegance über die Bühne schreitet. Oder eine zwei Meter große Kröte, die hüpfen und tanzen kann. "So was machen wir auch möglich", sagt Marianne Meinl, "es kommt auf den Rahmen an. Und auf die Deckenhöhe."
Letzteres ist in der Tat bei "The Masked Singer" ein Hindernis. Das Studio begrenzt die Möglichkeiten der Puppenbauerinnen. Im Coloneum ist für eine fünf Meter Puppe kein Platz, schließlich muss sie durch den Tunnel zur Bühne passen. Dennoch, ergänzt Meinls Geschäfts- und Kreativpartnerin, hätten sie die Erfahrung gemacht, dass man ihnen im Ausland mehr zutraue. "Dort sagt man uns: Ihr habt die Expertise, macht!"
Deutsches Fernsehen hat "sehr viel Angst"
Die Belgier zum Beispiel seien total entspannt. Dort gelte: Je verrückter, desto besser. "Die haben null Berührungsängste, auch mal Figuren herzunehmen, die völlig abstrakt sind, figurbetont und überdimensional. So what? Das ist Show. Brot und Spiele. Das unterhält den Zuschauer." Doch je ängstlicher jemand sei, desto enger werde der Spielraum für sie.
Das deutsche Fernsehen habe "prinzipiell sehr viel Angst", fährt Brandner fort. Egal mit welcher hiesigen Produktion sie zusammenarbeiteten: "Da ist erstens immer der Blick nach Amerika. Wie machen’s die Amerikaner? Und zweitens: die Angst vor den Einschaltquoten und vor den Kosten."
Die Sachen, die sie und Meinl bauen, sind nicht billig. Das räumen sie selbst ein. Aber bei den kolportierten 20.000 Euro für ein Kostüm muss Brandner lauthals loslachen: "Das wäre schön." Sie wisse nicht, wo die Summe herkommt. Sie bauten in der Tat Kostüme, die so viel kosten, aber nicht fürs Fernsehen, sondern für Filmproduktionen oder Messen wie die Gamescom. Diese seien mit Supergimmicks ausgestattet, könnten rauchen oder sonst was. "Für ,Masked Singer‘ sind wir nicht so teuer", beteuert sie, nennt aber keine konkreten Preise.
Bei den vielen 16-Stunden-Tagen, die sie damit verbringen, um aus den zweidimensionalen Zeichnungen dreidimensionale Märchenkostüme zu kreieren, müssen die beiden Handwerkerinnen ja auch irgendwie auf ihren Schnitt kommen. Und ihre Produktionsfirma EndemolShine auch. Was in diesen Zeit nicht einfach ist.
Budget-Cuts auf der einen Seite, gleichzeitig steigende Kosten auf der anderen: Fabian Tobias, Geschäftsführer von EndemolShine, brachte das Dilemma unlängst in einem Interview auf den Punkt: Dem Markt fehle "ein Stück weit das Geld". Man sei in der Situation, dass die wichtigsten Kunden erwarteten, "dass wir günstiger produzieren". Natürlich wirkt sich so was bis in alle Gewerke hinein aus.
Kostendruck? "Willkommen in unserer Welt"
"Willkommen in unserer Welt", bricht es aus der Kostümbauerin Brandner heraus, als man sie mit dem Fabian-Tobias-Zitat konfrontiert. Bei seinem Punkt, dass Kostendruck ja auch kreative Kräfte freisetze, geht sie allerdings nicht mit: "Marianne und ich sind bekannt dafür, dass wir auch mit weniger guten Voraussetzungen Gold schaffen können. Aber bei aller Kreativität: Wir sind auch Geschäftsfrauen. Bei weniger Geld gibt’s weniger. Ganz einfach. Punkt." Meinl zufolge kauften sie nicht mehr alle Materialien, die sie gerne einsetzen würden. Trotzdem sei ihr Ehrgeiz, "es immer noch so schön zu machen, wie’s irgend geht."
Denn, und da haben die beiden ein unschlagbares Argument: ",The Masked Singer‘ ist nun mal eine Kostümsendung. 90 Prozent machen die Kostüme und Masken aus, 10 Prozent der Gesang. Jeder will wissen: Wer steckt unter der Maske? Das ist doch wichtig!"
Derweil verlässt sich ProSieben in der elften Staffel nicht allein auf den Zauber der Maskerade, um Routinen zu durchbrechen und Quoten zu heben. Das neue Konzept sieht vor, dass gleich zwei Rateteams miteinander konkurrieren – so wie es in den Niederlanden die ersten vier Staffeln üblich war. Dass diese Veränderung wirkt, dürfte nicht zuletzt im Interesse von Marianne Meinl und Alexandra Brandner sein, die ja stets auf der Suche nach mehr Sichtbarkeit und Spielfläche ihres Könnens sind.
Gerne würden sie zum Beispiel über ihre Projekte auf dem US-Markt reden. Leider haben ihnen die Amerikaner und auch die Franzosen eine Schweigepflicht auferlegt. Zu ihren Wünschen für die Zukunft befragt, ist Alexandra Brandner ganz wichtig, dass hier in diesem Text festgehalten wird:
"Wir leisten Superarbeit, wir sind hier in Deutschland. Es wäre super, wenn deutsche Produktionen uns auch sehen und beauftragen würden."
Anfragen gehen also raus an: info@theaterkostueme.de. Bitte, danke, gern geschehen.