Der Brief, der DWDL.de vorliegt und dessen Unterzeichnende unserer Redaktion gegenüber offengelegt wurden, ist an die Förderer des Festivals gerichtet, also allen voran das Land NRW in Form in NRW-Medienminister Nathanael Liminski, die Stadt Köln in Form von Oberbürgermeisterin Henriette Reker und die Film und Medienstiftung NRW in Form von Geschäftsführer Walid Nakschbandi. Man wolle öffentlich machen, was ohnehin ein offenes Geheimnis sei, schreiben die neun ehemaligen Mitarbeitenden, die DWDL.de namentlich bekannt sind. Die Rede ist von Machtmissbrauch, einem ausbeuterischen Unternehmenssystem, einem Klima der Angst und dem intransparenten Umgang mit öffentlichen Fördergeldern.
Die neun Ehemaligen verweisen auf eine Fluktuation beim Film Festival Cologne und sprechen von Mobbing und Gaslighting, insgesamt sei die Arbeitsatmosphäre mehr als nur "toxisch". Richters Führungsstil sei "autoritär" und geprägt von einem "Mangel an Fehlerkultur, Misstrauen, Mikroaggressionen, Mikromanagement, Kontrollwahn und Willkür". Die ehemaligen Mitarbeitenden werfen Martina Richter unter anderem vor, nicht nur jeden Arbeitsschritt zu überwachen, sondern auch die Kommunikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter untereinander.
"Entscheidungen fällt sie [Richter, Anm.] erratisch, ohne ersichtliche Gründe und situationsbedingt. Neue Projekte und Kooperationen werden spontan aus der Taufe gehoben und oft ebenso schnell wieder begraben. Dazwischen liegen quälende Tage, Wochen und Monate für das Team – und viele vergeudete Ressourcen. Bemerkt Martina Richter den Mangel an Kohärenz selbst, reagiert sie ungehalten", heißt es in dem Brief. Regelmäßig würden andere für ihre Fehler verantwortlich gemacht, so der Vorwurf. Personen, die ihre Stimme erheben, würden "systematisch infrage gestellt, gemobbt und derart unter Druck gesetzt, dass sie selbst anfangen, an ihren Fähigkeiten zu zweifeln". Außerdem soll die Geschäftsführerin der Cologne Conference GmbH die Förderer des Festivals hinter deren Rücken "beschimpfen und verunglimpfen".
Auf Anfrage des Medienmagazins DWDL.de erklärt Richter am Donnerstag zunächst das Bedauern, der offene Brief sei anonym und nicht namentlich unterzeichnet: "Ich hätte gern im direkten persönlichen Austausch mit den Schreibenden zu den Anschuldigungen Stellung genommen. Auch hätte ich mir gewünscht, dass der Brief ebenfalls an mich adressiert gewesen wäre und ich ihn nicht von Branchenkolleg:innen hätte weitergeleitet bekommen müssen. Begrüßenswert ist für mich, dass ich bei unserer Pressekonferenz heute Vormittag direkt die Möglichkeit hatte, öffentlich Stellung zu nehmen und meine uneingeschränkte Bereitschaft zu erklären, zu allen Anschuldigungspunkten alles Notwendige offenzulegen, um diese zu entkräften."
Konkret werfen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dem Festival und ihrer Chefin außerdem vor, Scheinselbstständigkeiten befördert zu haben. Über Jahre hinweg hätten langjährige Mitarbeitende monatliche Rechnungen schreiben müssen, wobei sie immer zu festen Arbeitszeiten im Büro hätten sein müssen. "Ihre Arbeitsleistung wurde dabei wechselnd über alle drei Firmen von Martina Richter abgerechnet", heißt es in dem offenen Brief. Es geht um die Cologne Conference GmbH, SGP Social Globe Projects UG und HMR International GmbH & Co. KG
Dazu sagt Richter: "Die drei Firmen haben komplett unterschiedliche Zwecke und arbeiten völlig unabhängig von einander in unterschiedlichen Bereichen mit jeweils eigenen Projekten. Dieser Projektbedingheit ist auch geschuldet, dass wir viel mit Freiberuflern mit den unterschiedlichsten Kompetenzen und beruflichen Hintergründen arbeiten. Es kommt aber natürlich auch vor, dass wir, wie z.B. bei unserem Grafiker, projektbezogen in allen drei Firmen mit denselben Personen arbeiten, die dann natürlich auch ihre Rechnungen an die jeweilige Firma stellen. Alle von uns beschäftigen Freiberufler arbeiten übrigens auch noch für andere Arbeitgeber und/oder an eigenen Projekten." Und bezüglich der Bürozeiten schreibt sie: "Die Freiberufler arbeiten in den seltensten Fällen bei uns im Büro, außer das jeweilige Projekt benötigt einen intensiven persönlichen Austausch. Bei den Festanstellten hingegen gibt es feste Bürozeiten."
Auch soll Martina Richter ihren Ehemann in einem "gut dotierten Job" bei der SGP Social Globe Projects UG installiert haben, so der erhobene Vorwurf. Richter dazu: "Mein Ehemann Till Stein arbeitet an unterschiedlichen Projekten bei der SGP, die inhaltlich und strukturell nichts mit der fürs Festival verantwortlichen Cologne Conference GmbH zu tun hat. Er hat auch keinen gut dotierten Job bei der SGP. Till Stein arbeitet nicht unter mir und ist nicht weisungsgebunden, sondern ob seiner Ausbildung und beruflichen Laufbahn der Kommunikationsexperte, von dessen Expertise wir profitieren."
Die Unterzeichnenden des offenen Briefs sind jedoch überzeugt, die Stimme erheben zu wollen. "Die Versuchung ist groß, die erlebten Übergriffe als Ausrutscher einer cholerischen Persönlichkeit zu bagatellisieren. Doch wenn wir bagatellisieren und wegsehen, dann entsteht ein Konsens, dass es als Teil der Kreativbranche dazu gehört, sich übergriffigen Führungspersönlichkeiten unterzuordnen", schreiben die ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Man wolle die eigenen Erfahrungen als das beschreiben, was sie gewesen seien: "Formen von Machtmissbrauch und psychischer Gewalt".
Zum Arbeitsklima erklärt Richter gegenüber DWDL.de: "Die Briefschreibenden schreiben, dass ich alle Arbeitsschritte überwache, von der Auswahl der Festivalgäste und des Programms bis hin zu Posts. Dies entspricht auch genau dem Verständnis meines Aufgabe als Festivalleiterin und Geschäftsführerin und Inhaberin der Cologne Conference GmbH, die ja das Festival verantwortet. Ich nehme meine Verantwortung in diesen Funktionen sehr erst, u.a. weil wir mit öffentlichen Geldern arbeiten, mit denen seriös und sorgsam umgegangen werden muss. Ich denke nicht, dass diese Haltung korrekt mit 'Misstrauen, Mikroaggressionen, Mikromanagement, Kontrollwahn und Willkür' zu bezeichnen ist. Auch beschimpfe ich Fördergeber nicht, sondern habe ein kollegiales Verhältnis zu ihnen. Das würden sie Ihnen bestimm auf Nachfrage auch bestätigen."
Öffentliche Trägerschaft war mal geplant
Die neun ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Film Festival Cologne wollen nach eigenen Angaben einen öffentlichen Diskurs über die Arbeitsbedingungen beim Festival anstoßen. Darüber hinaus fordern sie, dass das Festival als öffentlich gefördertes Projekt in eine mehrheitlich öffentliche Trägerschaft übergeht. Immerhin erhielt das Film Festival Cologne im vergangenen Jahr Fördermittel in Höhe von 1,09 Millionen Euro - allein verwaltet von Martina Richter, die nicht nur alleinige Geschäftsführerin der Cologne Conference GmbH ist. Auf Anfrage bestätigt sie: "Ich bin die alleinige Gesellschafterin der Cologne Conference GmbH."
Das ist durchaus überraschend, gab es doch vor wenigen Jahren bereits Pläne, das Festival in eine öffentliche Trägerschaft zu überführen. Die Stadt Köln kommunizierte im April 2020, dass das Kölner Filmfestival eine neue Organisationsform erhalte. Geplant war, dass das Land NRW 50,1 Prozent an einer neuen GmbH hält, die Stadt Köln weitere 39,9 Prozent. Die restlichen 10 Prozent sollten bei Martina Richter liegen. Ein Blick ins Handelsregister zeigt: 100 Prozent der Anteile der Cologne Conference GmbH liegen nach wie vor bei Martina Richter.