Ab dem 1. September wird die Quotenmessung in Österreich auf völlig neue Beine gestellt. Entscheidend für Reichweiten und Marktanteile sind dann nicht mehr wenige Haushalte in einem TV-Panel, sondern mehr als 1,1 Millionen mit dem Internet verbundene HbbTV-Geräte. Die Nutzung dieser Geräte wird künftig gemessen und mit den bestehenden Panel-Daten verschmolzen, um so auch künftig personenbezogene Daten zu erhalten. Eine genaue Erklärung, wie die neue Messung unter dem Titel Teletest 2.0 funktioniert, finden Sie hier.
Die deutsche Branche wurde von der Ankündigung der Österreicher ein wenig überrumpelt. Diesen Eindruck konnte man jedenfalls in den vergangenen Tagen erhalten, wenn man mit Vertretern von Verbänden gesprochen und diese um Statements gebeten hat. Die Organisation Werbungtreibende im Markenverband (OWM) kann oder will sich überhaupt nicht äußern, ebenso wie der Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW), wo man allerdings auf die verschiedenen Mitgliedsverbände verweist, unter anderem Vaunet.
Nach einer Anfrage beim Verband der privaten Medien äußert sich Vaunet-Geschäftsführer Frank Giersberg zu der Thematik. Auf die Frage, wie er die TV-Quotenmessung in Deutschland aufgestellt sieht, antwortet er, dass diese hierzulande "hochverlässlich" funktioniere und als Werbewährung "allseits anerkannt" sei. Darüber hinaus sei die Messung in den zurückliegenden Jahren "mit hohem Innovationstempo weiterentwickelt" worden und ermögliche heute die konvergente Erfassung der gesamten TV-, Video- und Digitalnutzung. "Damit ist die TV-Quotenmessung in Deutschland sehr gut aufgestellt", sagt Giersberg.
Auf die Frage, wie er die neue Messung in Österreich bewertet, unterstreicht der Vaunet-Chef die Bedeutung von HbbTV für die TV-Sender und sagt, dass vorliegende Rückkanaldaten bereits heute im Rahmen der datenschutzrechtlichen Vorgaben auch in Deutschland genutzt würden - ebenso wie andere technische Datenquellen. "Gleichzeitig bleibt aber die Panelmessung schon wegen der notwendigen Gewichtung technischer Messdaten für die Validität der Werbewährung unverzichtbar. Folglich kommen in Deutschland wie ja auch in Österreich Paneldaten weiterhin zum Einsatz", so Giersberg.
Die Crux mit der zeitversetzten Nutzung
Und doch gibt es künftig aber einen wesentlichen Unterschied, denn in Österreich basieren die ausgewiesenen TV-Quoten direkt auf der Messung der HbbTV-Geräte und nicht mehr wie in Deutschland allein auf Panel-Daten. Ist das perspektivisch vielleicht auch ein denkbares Szenario bei der Ermittlung der TV-Quoten in Deutschland? Vaunet-Chef Frank Giersberg verweist dazu an die AGF, in Deutschland zuständig für die Messung der TV-Quoten.
Von der AGF heißt es dazu: "Die Nutzung eines HbbTV-Signals zur Messung klassischer linearer Angebote evaluieren wir im Rahmen der kontinuierlichen Weiterentwicklung unseres Systems." Etwas weiter ist die AGF bei der Streamingmessung, wo man heute schon auf ein hybrides Modell setzt und eine Vollerhebung, in die u.a. bei korrekter Einbindung einer Nielsen-Software auch HbbTV-Daten einfließen, mit Ergebnissen aus zwei Panels verschmilzt. Der Ansatz weist also durchaus Ähnlichkeiten mit dem österreichischen Modell auf, nur dass er dort mit der Abbildung der linearen Nutzung deutlich weiter geht.
Für Aufsehen sorgt die Arbeitsgemeinschaft Teletest (AGTT) in Österreich auch damit, dass man künftig direkt am Tag nach der Ausstrahlung einzig eine Reichweite veröffentlicht, in der auch bereits die - zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht stattgefundene - zeitversetzte Nutzung für sieben Tage abbilden soll. Dazu will man die Daten für die zeitversetzte Nutzung modellieren - also schätzen. Frank Giersberg will sich dazu einstweilen nicht äußern, weil man noch keine Detailinformationen zur Methode der Kolleginnen und Kollegen in Österreich hat.
"Gleichzeitig bleibt aber die Panelmessung schon wegen der notwendigen Gewichtung technischer Messdaten für die Validität der Werbewährung unverzichtbar."
Vaunet-Geschäftsführer Frank Giersberg
In jedem Fall ist das eine wesentliche Veränderung der bisherigen Praxis, auch wenn man in Österreich betont, die Daten nach acht Tagen noch einmal in eine Korrekturschleife zu schicken, um so Fehler auszumerzen. Außerdem heißt es, dass die Abweichung zwischen geschätzter, zeitversetzter Nutzung und tatsächlich gemessener, zeitversetzter Nutzung über drei Monate über alle Sender hinweg bei weniger als 1 Prozent liege. Das dürfte für einen Großteil der Sendungen und im Mittel realistisch sein - aber was ist bei einmaligen Events oder neuen Sendungen, bei denen es nicht so viele vergleichbare Daten aus der Vergangenheit gibt? Transparenter wäre es, die tatsächlich gemessenen und modellierten Daten beide zur Verfügung zu stellen.
Spätestens ab September wird sich zeigen, wie gut die Modellierung in Österreich tatsächlich funktioniert. Nach der Ankündigung der AGTT gab es aber keine nennenswerte Kritik an der geplanten Umstellung - im Gegenteil. Die Präsidentin der österreichischen Interessengemeinschaft der Media Agenturen saß bei der Vorstellung der Änderungen mit auf dem Podium und beide Seiten betonten, dass man bei der Einführung des neuen Systems eng zusammengearbeitet habe.
TV-Nutzung wird "besser als vorher abgebildet"
Lob für die generelle Richtung, in die Österreich bei der Quotenmessung geht, kommt auch aus der deutschen Mediaagentur-Szene. Klaus-Peter Schulz, Geschäftsführer der Organisation der Mediaagenturen (OMG) bzw. des kürzlich gegründeten Vereins Die Mediaagenturen sagt gegenüber DWDL.de: "State of the Art bei Audience Measurement Lösungen ist es, mit einer Kombination aus technischer Messungen und Panels zu realisieren. In Österreich wird hier ein sehr pragmatischer Ansatz durchgeführt, der zu begrüßen ist, weil die TV Nutzung besser als vorher abgebildet wird."
Was er damit meint: Durch die neue Methode kommt es so gut wie nie mehr zu sogenannten Nullerreichweiten, also Strecken im Programm, bei denen aufgrund der Panel-Messung eine Reichweite von 0 ausgewiesen wird. Auch die Verlaufskurven sehen ruhiger aus, weil einzelne Panelisten nicht mehr einen so großen Einfluss haben. Signifikante Veränderungen in den ausgewiesenen Reichweiten oder Machtverhältnissen im Markt sind dagegen nicht zu erwarten.
Klaus-Peter Schulz bezeichnet das neue Österreich-Modell als einen "guten Zwischenschritt zur Messung von Total Video, bei dem dann auch weitere Angebote wie Netflix oder Amazon zu berücksichtigen sind, deren Nutzung mehr über kleinere Screens stattfindet." So weit ist man in Österreich noch nicht, aber die Hoffnung ist groß, diesem Ziel durch den Teletest 2.0 einen großen Schritt näher zu kommen.