Die Quotenmessung funktioniert in Österreich bislang ähnlich wie in Deutschland: In einem repräsentativ zusammengesetzten Panel, bestehend aus rund 1.670 Haushalten, in denen mehr als 3.500 Menschen leben, wird die TV-Nutzung gemessen und anschließend auf das ganze Land hochgerechnet. Durch die Fragmentierung des Marktes und veränderte Nutzungsgewohnheiten stößt diese Methode aber zunehmend an Grenzen. Insgesamt werden zwar nachvollziehbare Reichweiten(verläufe) gemessen, zu Randzeiten, in spitzen Zielgruppen und bei Spartensendern wird das aber immer schwieriger. 

Und genau dieses Problem will die Arbeitsgemeinschaft Teletest (AGTT), die in Österreich die Ermittlung der TV-Quoten in Auftrag gibt, jetzt ändern.

Zum 1. September wird der sogenannte Teletest 2.0 eingeführt, dadurch wird die Quotenermittlung auf völlig neue Beine gestellt. Konkret werden die Reichweiten der TV-Sender dann nicht mehr über das bereits erwähnte Panel ermittelt, sondern anhand von mehr als 1,1 Millionen mit dem Internet verbundenen HbbTV-Geräten. Die Nutzung wird anonym erhoben und die Menschen haben der Messung irgendwann mal auf ihrem TV-Gerät zugestimmt. Das Teletest-Panel bleibt bestehen und mit den Ergebnissen der neuen Messung verschmolzen, sodass es weiterhin möglich sein wird, soziodemografische Merkmale (Alter, Beruf, Einkommen etc.) den einzelnen Zuschauerinnen und Zuschauern zuzuordnen. Die Quotenermittlung in Österreich soll auch weiterhin repräsentativ sein.

Das ist die AGTT

  • In der 2005 gegründeten Arbeitsgemeinschaft Teletest (AGTT) haben sich alle großen TV-Sender Österreichs zusammengetan, um einen Branchenstandard in der Quotenermittlung zu definieren. Der AGTT gehören der ORF, die ProSiebenSat.1Puls4-Gruppe inklusive ATV, RTL-Vermarkter IP Österreich (vermarktet u.a. auch Sky Sport Austria, oe24.TV, Sport1 und Canal+ First) und Goldbach Media (Comedy Central Austria, DMAX Austria, Nickelodeon Austria, TLC Austria) an. Die AGTT ist Auftraggeber des Teletests, also der Erhebung der täglichen TV-Quoten, durchgeführt von der GfK Austria.

Vier Jahre lang wurde entwickelt und getestet, nun wird der Teletest 2.0 schon bald eingeführt. Die Ergebnisse, die die neue Methode bringt, sind keine bahnbrechend anderen als bereits zuvor die Panel-Messung lieferte. An den grundsätzlichen Machtverhältnissen im Markt ändert sich nichts. Dafür sollen Schwankungen in kleineren Zielgruppen drastisch reduziert werden. Sogenannte Nullerstrecken durch zu geringe Fallzahlen soll es künftig so gut wie gar nicht mehr geben. 

Die AGTT rechnet vor: Bei einem kleinen und real existierenden (aber nicht benannten) Sender, der in seinen Werbeblöcken bei den 12- bis 49-Jährigen bislang 57,9 Prozent Nullerreichweiten hatte, reduziert sich dieser Anteil auf: 0. In jedem Werbeblock wird also eine gewisse Reichweite gemessen, wenn auch eine sehr kleine. Das Problem der Nullerstrecken traf aber auch den ORF, etwa zu Randzeiten in bestimmten Zielgruppen. Auch hier scheint in den Quotenlisten künftig nicht mehr eine ausgewiesene Reichweite in Höhe von 0 auf. Das ist wichtig für die Sender in der Außendarstellung, aber natürlich auch in der Vermarktung. 

Erste von der AGTT veröffentlichte Daten zeigen außerdem eine deutlich stabilere Entwicklung der Reichweiten, weil eben einzelne Panelisten nicht mehr einen so großen Einfluss auf Verlaufskurven haben. Ebenfalls neu: Durch die Umstellung der Messung stehen die Daten künftig prinzipiell live zur Verfügung. TV-Verantwortliche können also sehen, wie ihr Programm zu einem bestimmten Zeitpunkt performt - und wie es sich im Vergleich zur Konkurrenz schlägt. Das soll den Programmmacherinnen und Programmmachern mehr Flexibilität ermöglichen, unter anderem in der Planung von Werbepausen. 

+7 Daten bereits am Tag nach der Ausstrahlung

Die AGTT wird ab September wie gehabt die Top 3 der reichweitenstärksten Formate eines jeden Senders auf Tagesbasis veröffentlichen. Hier müssen sich dann auch Journalistinnen und Journalisten und alle anderen Interessierten umstellen: Diese Zahlen enthalten nämlich nicht nur die Zuschauerinnen und Zuschauer, die am Tag zuvor die jeweilige Sendung gesehen haben, sondern hochgerechnet auch die Zuschauer, die zeitversetzt gesehen haben werden - für sieben Tage. Dafür wird die zeitversetzte Nutzung "modelliert", wie es von der AGTT heißt. Acht Tage nach Erstausstrahlung einer Sendung wird diese Hochrechnung durch gemessene Daten ersetzt. 

AGTT, Teletest 2.0 Verlaufskurve © AGTT Weniger zackig: Die blaue Verlaufskurve (Teletest 2.0) vs. der Kurve auf Basis der bisherigen Mess-Methode

Hier setzt die AGTT an einem weiteren Problem für die Sender an: Nach wie vor spielen in der öffentlichen Wahrnehmung nur die Daten vom Vortag eine Rolle, die der zeitversetzten Nutzung werden kaum wahrgenommen, sind für die Sender im Allgemeinen und einzelne Formate im Speziellen aber natürlich enorm wichtig. DWDL.de blickt regelmäßig auf die endgültige Gewichtung der Quoten in Deutschland. Die Reichweiten, die die AGTT künftig einen Tag nach der Ausstrahlung veröffentlicht, beinhalten also eine zeitversetzte Nutzung (+7 Tage), ohne dass diese Nutzung zu diesem Zeitpunkt tatsächlich gemessen wurde (oder auch nur stattgefunden hat).

Ob sich dieser Ansatz in Österreich durchsetzen wird, hängt wohl nicht zuletzt davon ab, ob die hochgerechneten Zahlen dann auch tatsächlich bei der Überprüfung einige Tage später Bestand haben werden. Denn natürlich ist die Vorgehensweise mindestens ungewöhnlich - und wirft Fragen auf. Laut AGTT liegt die Abweichung zwischen geschätzter, zeitversetzter Nutzung und tatsächlich gemessener, zeitversetzter Nutzung über drei Monate über alle Sender hinweg bei weniger als 1 Prozent. Bei der AGTT betont man außerdem generell, bei der Entwicklung der neuen TV-Messung auch eng mit der Interessensvertretung der Mediaagenturen IGMA zusammengearbeitet zu haben. "Der Teletest 2.0 bietet durch den Einsatz von Big Data eine erheblich stabilere Messung der TV-Reichweiten und vermittelt ein klareres Bild der tatsächlichen TV-Nutzung", sagt Susanne Koll, IGMA-Präsidentin. 

Thomas Gruber © Moni Fellner Thomas Gruber
"Wir sind sehr stolz, als Österreich eine Innovation auf den Markt zu bringen, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat", sagt AGTT-Obmann Thomas Gruber, der auch Co-CEO von ProSiebenSat.1Puls4 ist, im Gespräch mit DWDL.de. Man sei durch die neue Messmethode theoretisch ein Rollout-Model für andere Märkte. "Wir wissen um die Herausforderungen, die ein solches Projekt mit sich bringt und insofern könnten wir unterstützend beraten. Letztlich müssen aber die Marktteilnehmer in allen Ländern selbst entscheiden, was sie tun." Man setze mit dem Teletest 2.0 auf noch mehr Transparenz und könne im Gegensatz zu globalen Plattformen Werbetreibenden und Agenturen "valide und auditierte Daten" bieten. 

Vorbild auch für andere Länder?

Gut möglich aber, dass das Österreich-Modell künftig auch in anderen Ländern ausgerollt wird. Das internationale Interesse jedenfalls ist groß. Der europäische Verband der TV-Werbevermarkter, egta, hatte sich bereits in der Vergangenheit wohlwollend über das Projekt geäußert, obwohl man in der Regel nicht über einzelne Lösungen in den verschiedenen Ländern spricht. Gegenüber DWDL.de hebt egta die Vorteile der neuen Methode hervor: Eine große Menge an Daten, die auch noch personenbezogen sind sowie der Live-Ansatz der Messung. "Wir glauben, dass diese Strategien das Potenzial haben, die Genauigkeit und Relevanz der Marktmessung zu verbessern und andere Länder inspirieren sollten", so die egta gegenüber DWDL.de. 

Alleine hat die AGTT das Projekt übrigens nicht gestemmt. Ursprünglich wurde die Entwicklung der neuen Quotenmessung bei einer Red-Bull-Tochter begonnen, Dosen-Milliardär Dietrich Mateschitz hatte das seinerzeit noch beschlossen. Inzwischen arbeitet man senderübergreifend zusammen: An der TV Insight GmbH hält Red Bull 98,75 Prozent der Anteile, der Rest liegt bei der AGTT. Und auch wenn die Gesellschaftsanteile es nicht vermuten lassen: Es soll eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe sein, bei der alle Partner an einem Strang ziehen. 

Auch die Werbung ändert sich

Die neue Quotenermittlung macht nun außerdem den Weg frei für eine weitere Neuheit, die vor allem Auswirkungen auf Werbekunden haben wird. Durch das Tool TV-Load soll es möglich werden, klassische Werbeblöcke in Echtzeit zu optimieren. TV-Load, das eigentlich schon 2022 starten sollte, greift künftig auf die neuen Live-Daten zu und kuratiert auf Basis der Menschen, die zuschauen, die Spots in dem Werbeblock. Das geschieht rund eine Minute, bevor die Werbung startet. 

Werbekunden buchen künftig nicht mehr einen Platz in einem Werbeblock, sondern vereinbaren mit den Vermarktern einen gewissen TKP und buchen eine bestimmte Reichweite. Erst wenn die erreicht ist, wird die Kampagne aus dem Umlauf genommen. Das heißt aber auch, dass bei dieser Form die Werbekunden nicht mehr aussuchen können, an welcher Stelle sie im Werbeblock erscheinen. Die Vermarkter entscheiden künftig anhand der Nachfrage der Agenturen und Werbekunden, inwieweit sie TV-Load einsetzen. Die klassischen Werbeblöcke gibt es auch weiterhin.