Wenn TV-Reporter Florian Naß Ortsnamen wie Saint-Jean-de-Maurienne, Gevrey-Chambertin oder Colombey-les-deux-Églises in den Mund nimmt, dann klingt das für viele Zuschauerinnen und Zuschauern nicht nur wie Musik in den Ohren, sondern ist ein ganz untrügliches Zeichen dafür, dass die Tour de France wieder ihren Lauf nimmt. Noch bis Sonntag findet die 111. Auflage des größten Radrennens der Welt statt - und ganz offensichtlich hat das hiesige Publikum seinen Frieden geschlossen mit der Tour, deren Image lange unter dem Doping-Thema litt.

2007 war es, als Sat.1 kurzerhand die Rechte übernahm, nachdem ARD und ZDF wegen neuerlichen Dopingfalls im damaligen T-Mobile-Team kurzerhand ihre Übertragungen stoppten. Winzige Quoten und verärgerte Werbekunden waren die Folge für Sat.1, wo eine Sprecherin damals ausrichten ließ: "Die 'Tour' gehört nicht mehr in einen großen Sender." Tiefer als die Tour de France ist eine Sportart im deutschen Fernsehen vermutlich noch nie gefallen.

Jochen Gundel © WarnerBros. Discovery Jochen Gundel
Tatsächlich fristete die Tour de France daraufhin lange ein Nischendasein, allen voran bei Eurosport, wo man die Frankreich-Rundfahrt auch heute noch zeigt. Es ist eine Konstanz, die sich für den inzwischen zu Warner Bros. Discovery gehörenden Sender auszahlt: 2023, als das offene Duell um das Gelbe Trikot die Fans begeisterte, konnte man mit der Tour die besten Quoten seit zehn Jahren feiern. In diesem Jahr liegen die Zahlen zwar ein wenig darunter, doch mit rund 200.000 Zuschauerinnen und Zuschauern sind die Verantwortlichen um Sportchef Jochen Gundel erklärtermaßen zufrieden.

Gundel spricht gegenüber DWDL.de davon, dass die Tour "ihr festes Stammpublikum bei Eurosport gefunden" habe und in der Quotentabelle der letzten Jahr sogar vier Etappen des diesjährigen Wettbewerbs in den Top 10 vertreten seien. "Und das große Finale mit spannenden Alpen-Etappen und dem besonderen Schlusszeitfahren in Nizza steht ja noch an - da steigt erfahrungsgemäß das Zuschauerinteresse weiter an." 

 

"Radsport ist definitiv eine Trendsportart."
SR-Sportchef Uli Fritz

 

Zufriedenheit auch bei der ARD, die vor einigen Jahren, zunächst zögerlich, wieder die Berichterstattung aufnahm - mit wachsendem Erfolg: Die ersten beiden Wochen der diesjährigen Tour erreichten im Schnitt mehr als eine Million Zuschauerinnen und Zuschauer im Ersten sowie einen Marktanteil von 11,3 Prozent. Auffällig ist, dass insbesondere beim jungen Pubklikum das Interesse an der Tour de France gestiegen ist. Mit einem Marktanteil von 19,1 Prozent markierte schon die erste Etappe bei den 14- bis 49-Jährigen den besten Wert seit Jahren und auch in den darauffolgenden Wochen blieben die Marktanteile meist zweistellig. Am vergangenen Wochenende etwa lagen die Marktanteile bei 13,7 und 15,8 Prozent. Starke Werte also, auch wenn sie nicht vergleichbar sind mit den Spitzen-Quoten, die vor mehr als 20 Jahren erzielt wurden, als Jan Ullrich einen Radsport-Hype auslöste und täglich bis zu neun Millionen Fans vor den Fernseher lockte.

2024 gelten andere Maßstäbe; das Schmuddel-Image, unter dem die Tour vor allem in Deutschland lange litt, scheint abgelegt. "Radsport ist definitiv eine Trendsportart", sagt Uli Fritz, Chef des ARD-Teams bei der Tour de France und zugleich Sportchef beim Saarländischen Rundfunk (SR), der traditionell die Tour-Übertragungen im Ersten verantwortet. "Das zeigt sich seit einigen Jahren schon, und im Fernsehen auch unabhängig von deutschen Erfolgen; ein Phänomen, das wir etwa auch in der Leichtathletik beobachten können." Gründe dafür sieht Fritz gleich mehrere. "Der Radsport liefert gerade bei der Tour de France spektakuläre Bilder und Geschichten. Der Mythos vom 'Leiden auf der Landstraße' ist auch in Zeiten der zunehmenden Verwissenschaftlichung des Radsports noch nicht erloschen." Dazu kommt, dass die Tour de France "so nahbar wie kaum ein anderes sportliches Großereignis" sei. "Die Fans zahlen am Streckenrand keinen Eintritt. Und täglich wechselt die Szenerie. Da lohnt es sich auch für die einfach 'nur' Frankreichbegeisterten einzuschalten."

Mehr Sendezeit - auch für die Frauen

Geholfen hat womöglich auch die Tatsache, dass die ARD die Länge der Übertragungen seit einiger Zeit wieder deutlich ausgeweitet hat. Drei Stunden und mehr füllt die Tour de France auch in diesem Jahr wieder pro Tag - was zugleich auch mit Blick auf die Programmkosten ein gutes Geschäft für den Sender ist, schließlich legen die eigenproduzierten Telenovelas zugunsten des Radrennens eine Pause ein. 

Uli Fritz © SR Uli Fritz
Doch mehr Sendezeit bedeute eben auch "mehr Vorbereitung für die Kommentatoren, mehr Planung für die Redaktion", sagt Uli Fritz, "denn wir wollen vorbereitet sein, wenn es sich mal etwas dahinzieht". Und es bedeutet eben auch "mehr Beiträge und mehr Recherche – bei weitgehend gleichem Etat", wie der SR-Sportchef gegenüber DWDL.de betont. In der Vergangenheit hatte man noch über den Spartensender One und "Sportschau.de" versucht, die Fans schon früher zu begeistern. "Für die reinen Fernsehzuschauerinnen und Fernsehzuschauerinnen ist es jetzt einfacher und verlässlicher, wenn sie schon ab 14 Uhr das Geschehen ins Auge fassen können."

Und nach der Tour ist vor der Tour - in diesem Jahr gilt das mehr denn je. Die Radsportbegeisterung in der ARD ist inzwischen nämlich so groß geworden, dass Mitte August auch die Tour de France Femmes täglich live übertragen wird. Zwei Stunden pro Tag, vereinzelt sogar länger, wird die erst 2022 eingeführte Frauen-Edition diesmal im Hauptprogramm gezeigt. Ob der Sender damit an die Erfolge der traditionellen Tour wird anknüpfen können, wagt Uli Fritz indes noch nicht zu prognostizieren. "Alles braucht seine Zeit", sagt er. "Der Tour de France Femmes sollte man deshalb noch ein bisschen Vorschuss gewähren. Andererseits: Frauensport boomt, der Radsport auch. Lassen wir uns positiv überraschen."