Über zu wenige Schlagzeilen konnte sich ProSieben rund um die jüngste "Germany’s Next Topmodel"-Staffel wahrlich nicht beschweren. Die Tatsache, dass man erstmals auch Männer in der Show zuließ, sorgte für ein spürbar gesteigertes Interesse der Presse. Nach vielen Jahren und kleineren Veränderungen war es die größte Stellschraube, an der das Team von Redseven Entertainment drehte - und es sollte sich auszahlen. Die Modelsuche von Heidi Klum war in diesem Jahr nicht nur aus Quotensicht erfolgreich, sondern hat auch frühere inhaltliche Schwächen überwunden (Hier geht's zur DWDL.de-TV-Kritik). Zu verdanken hatte man das vor allem dem neuen Fokus auf die männlichen Models.

Doch ganz offensichtlich waren nicht alle Zuschauerinnen und Zuschauer mit den Neuerungen einverstanden. Wie ProSieben gegenüber DWDL.de mitteilt, habe es im Verlauf der Staffel mehr als 285.000 Kommentare zur Show in den sozialen Netzwerken gegeben. Das waren 27 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr. Aber: Ein ziemlich großer Anteil dieser Kommentare war sehr problematisch.

So musste das Social-Media-Team von ProSieben 40.000 Kommentare ausblenden oder löschen. Alleine am Finaltag seien 3.000 von insgesamt 22.000 Kommentaren gelöscht worden. "Schlachtet solche Leute ab" oder "Um Gottes Willen, sowas gehört nach Buchenwald" war da zu lesen und bezog sich häufig auf die männlichen Models. Es sind nur zwei Beispiele von vielen, die als Mordaufruf zu verstehen sind. Viele Kommentare hatten zudem einen NS-Bezug. Es ist eine neue Qualität im Social-Media-Hass, selbst für das hart gesottene Audience Relations Team von ProSiebenSat.1, das aufgrund der hohen Reichweite der Formate immer wieder viele Kommentare auf Instagram, Facebook & Co. erhält.

Regelrechte Hass-Explosion

Die Beispiele zeigen eindrucksvoll, wie wichtig die Moderation der Social-Media-Kanäle ist, um Hass und Hetze einzudämmen. Manchmal reicht es aber eben nicht, Kommentare nur zu löschen oder auszublenden. Einige der Postings, die sich im Laufe der letzten Staffel der Modelsuche angesammelt hatten, sind nämlich vielleicht auch strafrechtlich relevant. Wie eine Unternehmenssprecherin gegenüber DWDL.de bestätigt, hat man 40 Kommentare bei der Staatsanwaltschaft München I zur Anzeige gebracht.

Im Vergleich zu den Vorjahren ist das ein deutlicher Anstieg. 2023 brachte ProSieben etwa nur einen Kommentar, der unter Bezug auf "Germany’s Next Topmodel" gepostet wurde, als Prüfbitte an die Staatsanwaltschaft. In den Jahren davor wurden keine Kommentare zur Anzeige gebracht. Dass es gerade 2024 so viel Hass und Hetze gab, ist wohl kein Zufall. Als die Staffel Anfang des Jahres startete, diskutierte die Republik gerade über ein Treffen hochrangiger AfD-Politiker und Neonazis, die auch Deutsche aus Deutschland abschieben wollten. Dadurch könnte sich die potenzielle Zielgruppe angespornt gefühlt und ihrem Hass freien Lauf gelassen haben.

GNTM 2024 Finale © Seven.One/Claudius Pflug Liebe statt Hass: Diese Botschaft kam nicht überall an

Von ProSiebenSat.1 heißt es, man wisse, dass "Germany’s Next Topmodel", wie andere große Formate auch, polarisiere. In diesem Jahr hätten Queerfeindlichkeit und Hass aber stark zugenommen, die Stimmung auf den Social-Media-Kanälen sei "krass anders" als sonst gewesen. Selbst im hart gesottenen Social-Media-Team, das solche Postings täglich sieht, sei man erschrocken gewesen über die teils unmenschlichen Kommentare.

"Verächtliche Kommentare sind leider mittlerweile Alltag auf Social Media – doch diese Menge an Hasskommentaren hat ein absurdes Level erreicht. Uns als Medienkonzern kommt da eine besondere Aufgabe zu und genau deshalb managen wir aktiv diese Accounts und bringen strafrechtliche Kommentare zur Anzeige. Solche Taten müssen auch Konsequenzen haben", sagt Unternehmenssprecherin Stefanie Rupp-Menedetter gegenüber DWDL.de. 

Was die Moderation der Social-Media-Kanäle für ein Kraftakt sein muss, kann man alleine schon an der Tatsache erahnen, dass dafür innerhalb der Gruppe nur fünf Menschen angestellt sind. Das Audience Relations Team hat ein Auge auf alle Ausspielwege, vor allem auf die Kanäle der großen Formate, zu denen es traditionell viel Feedback gibt. Sie selbst erhalten zudem ein regelmäßiges Gesprächsangebot und Trainingsmöglichkeiten, um die menschenverachtenden Dinge, die sie bei der Arbeit lesen, nicht mit nach Hause zu nehmen. Eine Unternehmenssprecherin sagt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter trainiert werden zu unterscheiden, ob ein Posting für die Staatsanwaltschaft relevant ist oder nicht.

"Solche Taten müssen auch Konsequenzen haben."
Unternehmenssprecherin Stefanie Rupp-Menedetter


Ist es ein Post nicht und geht trotzdem unter die Gürtellinie, wird er im Zweifel gelöscht oder ausgeblendet. Ist ein Kommentar potenziell strafrechtlich relevant, wird eine längere Eskalationskette in Gang gesetzt. Sind sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Teams nicht sicher, dienen Abteilungsleiter oder die Rechtsabteilung des Konzerns als Ansprechpartner. Hat man dann ein problematisches Posting identifiziert, arbeitet man mit der Initiative "Justiz und Medien – konsequent gegen Hass" des Bayerischen Staatsministeriums für Justiz und der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien zusammen.

Wie viele Anzeigen letztlich zu rechtskräftigen Verurteilungen führen, ist nicht klar. Wenn ProSiebenSat.1 die Anzeigen aufgegeben hat, erfährt der Konzern in der Regel nicht, wie die Sache ausgegangen ist. Eins aber ist sicher: 40 Anzeigen nach einem vermeintlich harmlosen Format wie "Germany’s Next Topmodel" zeigen eindrucksvoll, welches Ausmaß das Thema Hass im Netz mittlerweile angenommen hat.