Es war Dezember 2020 als die ProSiebenSat.1 Media SE ihre Kehrtwende beim Journalismus ankündigte: Mit dem Aufbau einer eigenen Infrastruktur in Unterföhring wolle man das journalistische Angebot wieder inhouse produzieren, um der Sendergruppe aus eigener Hand wieder mehr journalistisches Gewicht zu geben. Eine Kehrtwende, da man sich genau zehn Jahre zuvor mit dem Verkauf des Nachrichtensenders N24, heute Welt, unter dem damaligen CEO Thomas Ebeling vom vermeintlich wenig profitablen News-Geschäft verabschiedet hatte.
Doch insbesondere das Corona-Jahr 2020 zeigte dann, so war aus der Sendergruppe zu vernehmen, die Grenzen einer externen Zulieferung der Informationsangebote auf: Es mangelte an Flexibilität für aktuelle Sondersendungen und angesichts der durchaus strittigen Themen während der Pandemie hier und da an der redaktioneller Hoheit. Deshalb der Strategiewechsel, übrigens parallel zum Neubau der ProSiebenSat.1-Zentrale, in der extra Platz geschaffen wurde für eine neue zentrale Nachrichtenredaktion sowie ein neues Nachrichtenstudio.
Noch immer kein Starttermin fürs neue Studio in Sicht
Hat damit auch der strategische Fokus auf die Informationsoffensive das Unternehmen verlassen? Eine Frage, die sich auch deshalb stellt, weil mit dem Rückzug von Doppel-Senderchef Daniel Rosemann im vergangenen Oktober ein weiterer tapferer Verfechter von Relevanz und damit einhergehend dem Magazin „Zervakis & Opdenhövel Live“ von Bord ging. Die Nachrichten produziert man inzwischen zwar selbst und hat die Marke auf „Newstime“ vereinheitlicht. Jedoch sendet man noch nicht wie geplant aus dem extra dafür gebauten Nachrichtenstudio auf dem New Campus, sondern aus einem Provisorium.
Eine Hängepartie, die allen Beteiligten viel abverlangt. Man hoffe über den Sommer voranzukommen, ist aus Unterföhring zu hören. Im Herbst stehen schließlich viel beachtete Landtagswahlen an, im November dann die US-Wahl und mit ihr ein drohendes Comeback von Donald Trump. Naheliegenderweise rückte der Nachrichtensender Welt beim Screenforce Festival die Bedeutung von Journalismus in den Mittelpunkt, auch RTL Deutschland feierte seine neue "Viererkette" fürs Aushängeschild "RTL Aktuell".
Ronzheimer kommt, Zervakis bleibt
Sieht sich die Sendergruppe denn gut gerüstet für den bevorstehenden politischen Herbst? „Die US- und die Landtagswahlen werden wir intensiv auf Joyn, Sat.1 und ProSieben mit unserer Nachrichtenmarke :newstime und in unseren Magazinen begleiten. Darüber hinaus planen wir mehrere Reportagen auf Joyn und unseren linearen Sendern, die wir im Vorfeld der Wahlen genauer vorstellen werden“, erklärt ein Sprecher auf Anfrage von DWDL diese Woche.
Und doch wirkt es so als sei die Euphorie und Priorität der Informationsoffensive noch vor der Einweihung des New Campus verflogen - daran ändert auch der stolz angeführte Ausbau der werktäglichen "Newstime" bei Sat.1 auf 30 Minuten wenig. „Akte“ als regelmäßiges Format ist eingestellt, bei ProSieben ist „Zervakis & Opdenhövel Live“ („ZOL“) längst Geschichte und die einzige Ankündigung aus dem Bereich beim Screenforce Festival ist das Reportage-Format „Ronzheimer“, das man sich extern von i&u TV zuliefern lässt. Und was ist eigentlich mit Linda Zervakis?
Gefragt ist Information, die auch nonlinear funktioniert
Und das geht nicht immer mit dem Journalistischen zusammen. Die Verwertbarkeit aktueller Informationsprogramme auf Abruf ist begrenzt, was einerseits das Aus von „Akte“ und „ZOL“ erklärt - und andererseits die Investition in längere Reportage-Formate wie „Ronzheimer“ bei Sat.1 oder die Filme von Mischke und Jenke für ProSieben. Diese mitunter sogar preisgekrönten Reportagen entstehen aber oft in Auftrag und damit abseits des Aufbaus einer mehr als 60-köpfigen Redaktion in Unterföhring, die sich nach Einstellung aller regelmäßigen Primetime-Informationsprogramme der Gruppe also vorerst auf "Newstime“ fokussiert. Umso wichtiger, dass das längst fertige, neue Studio möglichst bald auf Sendung gehen kann.