Es war Dezember 2020 als die ProSiebenSat.1 Media SE ihre Kehrtwende beim Journalismus ankündigte: Mit dem Aufbau einer eigenen Infrastruktur in Unterföhring wolle man das journalistische Angebot wieder inhouse produzieren, um der Sendergruppe aus eigener Hand wieder mehr journalistisches Gewicht zu geben. Eine Kehrtwende, da man sich genau zehn Jahre zuvor mit dem Verkauf des Nachrichtensenders N24, heute Welt, unter dem damaligen CEO Thomas Ebeling vom vermeintlich wenig profitablen News-Geschäft verabschiedet hatte.

Doch insbesondere das Corona-Jahr 2020 zeigte dann, so war aus der Sendergruppe zu vernehmen, die Grenzen einer externen Zulieferung der Informationsangebote auf: Es mangelte an Flexibilität für aktuelle Sondersendungen und angesichts der durchaus strittigen Themen während der Pandemie hier und da an der redaktioneller Hoheit. Deshalb der Strategiewechsel, übrigens parallel zum Neubau der ProSiebenSat.1-Zentrale, in der extra Platz geschaffen wurde für eine neue zentrale Nachrichtenredaktion sowie ein neues Nachrichtenstudio.

Wolfgang Link © ProSiebenSat.1
„Wir schlagen damit ein weiteres bedeutendes Kapitel unserer plattformunabhängigen Entertainment-Company auf“, erklärte Wolfgang Link, damals Vorstand ProSiebenSat.1 und CEO Seven.One Entertainment Group. „Wir bekräftigen mit diesem Schritt einmal mehr unser Selbstverständnis, die Menschen auf allen Plattformen zu informieren und damit zur Meinungsbildung in Deutschland beizutragen.“ Die neue ProSiebenSat.1-Zentrale, konzernintern New Campus genannt, ist immer noch nicht bezugsfertig. Wolfgang Link stört das nicht mehr - er ist seit mehr als einem Jahr raus bei ProSiebenSat.1.

Noch immer kein Starttermin fürs neue Studio in Sicht

Hat damit auch der strategische Fokus auf die Informationsoffensive das Unternehmen verlassen? Eine Frage, die sich auch deshalb stellt, weil mit dem Rückzug von Doppel-Senderchef Daniel Rosemann im vergangenen Oktober ein weiterer tapferer Verfechter von Relevanz und damit einhergehend dem Magazin „Zervakis & Opdenhövel Live“ von Bord ging. Die Nachrichten produziert man inzwischen zwar selbst und hat die Marke auf „Newstime“ vereinheitlicht. Jedoch sendet man noch nicht wie geplant aus dem extra dafür gebauten Nachrichtenstudio auf dem New Campus, sondern aus einem Provisorium.

Sven Pietsch © Seven.One
Im vergangenen November lud ProSiebenSat.1 zum Baustellenbesuch nach Unterföhring: "Wenn es nach mir geht, dann könnten wir direkt loslegen“, erklärte Sven Pietsch, Chefredakteur von ProSiebenSat.1, bei der Begehung des fast fertigen neuen Studios. Das Problem ist das Drumherum: Der Gebäudekomplex an sich war noch Baustelle, Abnahmen noch nicht erfolgt. Irgendwann 2024 erhoffe man sich die Inbetriebnahme, so die Auskunft im vergangenen November. Auf Anfrage von DWDL will man das bei ProSiebenSat.1 auch heute nicht konkretisieren: „Wann wir ':newstime' aus dem neuen Studio senden, werden wir rechtzeitig mitteilen“, teilt ein Sprecher mit.

Eine Hängepartie, die allen Beteiligten viel abverlangt. Man hoffe über den Sommer voranzukommen, ist aus Unterföhring zu hören. Im Herbst stehen schließlich viel beachtete Landtagswahlen an, im November dann die US-Wahl und mit ihr ein drohendes Comeback von Donald Trump. Naheliegenderweise rückte der Nachrichtensender Welt beim Screenforce Festival die Bedeutung von Journalismus in den Mittelpunkt, auch RTL Deutschland feierte seine neue "Viererkette" fürs Aushängeschild "RTL Aktuell". 

Ronzheimer kommt, Zervakis bleibt

Ronzheimer © DWDL.de
ProSiebenSat.1 kündigte vergangene Woche Paul Ronzheimer als prominenten Neuzugang für Sat.1 an. Er macht für den Sender eine mehrteilige Reportage-Reihe über Deutschland. Doch davon abgesehen kein Wort zur Informationsoffensive oder der bevorstehenden Inbetriebnahme des modernsten Nachrichtenstudios im deutschen Markt. In früheren Zeiten hätte man das gemeinsam mit der Fertigstellung der neuen Konzernzentrale vermutlich groß inszeniert. "Die Fertigstellung müsste dafür natürlich mal in Sicht sein", ulkte dazu einer aus Unterföhring.

Sieht sich die Sendergruppe denn gut gerüstet für den bevorstehenden politischen Herbst? „Die US- und die Landtagswahlen werden wir intensiv auf Joyn, Sat.1 und ProSieben mit unserer Nachrichtenmarke :newstime und in unseren Magazinen begleiten. Darüber hinaus planen wir mehrere Reportagen auf Joyn und unseren linearen Sendern, die wir im Vorfeld der Wahlen genauer vorstellen werden“, erklärt ein Sprecher auf Anfrage von DWDL diese Woche. 

Und doch wirkt es so als sei die Euphorie und Priorität der Informationsoffensive noch vor der Einweihung des New Campus verflogen - daran ändert auch der stolz angeführte Ausbau der werktäglichen "Newstime" bei Sat.1 auf 30 Minuten wenig. „Akte“ als regelmäßiges Format ist eingestellt, bei ProSieben ist „Zervakis & Opdenhövel Live“ („ZOL“) längst Geschichte und die einzige Ankündigung aus dem Bereich beim Screenforce Festival ist das Reportage-Format „Ronzheimer“, das man sich extern von i&u TV zuliefern lässt. Und was ist eigentlich mit Linda Zervakis?

Linda Zervakis © Imago / Horst Galuschka
„Wir haben uns nach dem Ende von ‚ZOL’ mit ihr hingesetzt und mit dem Produzentenmarkt an Ideen gearbeitet. Die sortieren wir gerade mit Linda und werden dann festlegen, mit welchem neuen Format wir gemeinsam weitermachen“, erklärte ProSieben-Chef Hannes Hiller im DWDL-Interview Mitte April. Das war fünf Monate nachdem beschlossen wurde, dass man das ehrbare Primetime-Experiment beendet. Noch einmal zwei Monate später gab es beim Screenforce Festival in Düsseldorf auch keine Ankündigung zu Zervakis. Das fiel auf, wurde zum Tuschel-Thema.

Gefragt ist Information, die auch nonlinear funktioniert

Henrik Pabst © Seven.One
Aber jetzt. Gegenüber DWDL bestätigt die Sendergruppe im Nachgang: „Linda Zervakis wird noch 2024 mit neuem Programm auf ProSieben zu sehen sein.“ Womit, bleibt damit noch ein Geheimnis. Und doch ist es immerhin konkreter als ein Datum für den Bezug des neuen Nachrichtenstudios. In der Außendarstellung ist die Informationsoffensive des Hauses dem nicht zu überhörenden Joyn-Fokus gewichen: Die "Joyn-Relevanz" ist oberste Prämisse bei allen Programminvestitionen, erklärte in Düsseldorf auch noch einmal der Chief Content Officer des Hauses, Henrik Pabst. Gemeint ist Verwertbarkeit von linearen Programmen im Non-Linearen. Keine Präsentation aus dem Hause ProSiebenSat.1 kommt mehr ohne diese Maxime aus.

Und das geht nicht immer mit dem Journalistischen zusammen. Die Verwertbarkeit aktueller Informationsprogramme auf Abruf ist begrenzt, was einerseits das Aus von „Akte“ und „ZOL“ erklärt - und andererseits die Investition in längere Reportage-Formate wie „Ronzheimer“ bei Sat.1 oder die Filme von Mischke und Jenke für ProSieben. Diese mitunter sogar preisgekrönten Reportagen entstehen aber oft in Auftrag und damit abseits des Aufbaus einer mehr als 60-köpfigen Redaktion in Unterföhring, die sich nach Einstellung aller regelmäßigen Primetime-Informationsprogramme der Gruppe also vorerst auf "Newstime“ fokussiert. Umso wichtiger, dass das längst fertige, neue Studio möglichst bald auf Sendung gehen kann.