Man kann wohl mit Fug und Recht behaupten, dass das Jahr 2023 fürs deutsche Netflix-Team ein außergewöhnlich erfolgreiches war. Mit Preisen von den Oscars ("Im Westen Nichts Neues") über die International Emmys ("Die Kaiserin") bis Grimme- und Deutschem Fernsehpreis ("Kleo", "King of Stonks", "Queer Eye Germany") wurde man geradezu überhäuft, mit "Liebes Kind" gelang zudem die bislang erfolgreichste deutsche Netflix-Serie - wie man dem "Next on Netflix"-Abend in Berlin auch selbstbewusst in einem Trailer voranstellte, verbunden mit dem Versprechen "das war erst der Anfang".

Dabei fiel verglichen mit den letzten Jahren auch auf, dass auch die non-fiktionale Unterhaltung bei Netflix einen immer wichtigeren Stellenwert einnimmt. (Mehr dazu auch in unserem ausführlichen Interview mit Wiebke Schodder). In Berlin zeigte man da nicht nur Bilder aus der zweiten Staffel von "Too hot to handle Germany", sondern auch erste Szenen von "Love is Blind: Germany". Die US-Version davon gibt's schon seit 2020, laut Schodder ist es weltweit die erfolgreichste Netflix-IP im Reality-Bereich. Es ist also nur folgerichtig, dass nun also auch 30 deutschsprachige Singles zum wortwörtlichen Blind-Dating antreten, bei dem man den potentiellen neuen Partner zunächst rein durch Gespräche kennenlernen muss, ohne ihn oder sie dabei sehen zu können.

Doku oder Reality mit "Kaulitz und Kaulitz" und Shirin David

Während neue Folgen von "Too hot to handle" erst 2025 zu sehen sein werden und auch der Starttermin von "Love is Blind: Germany" lediglich für irgendwann im Jahr 2024 avisiert wird, steht der Start von "Fight for Paradise: Wem kannst du trauen?" mit dem 23. April schon kurz bevor. In dem von Banijay Productions Germany produzierten Sozialexperiment muss sich eine Gruppe Fremder vom kargen Camp in eine traumhafte Villa kämpfen. Dabei gilt es taktisch klug Beziehungen aufzubauen und die Gunst der Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu gewinnen.

Daneben will Netflix aber nun auch aus Deutschland heraus mit "Stars & Icons" punkten - also Promis mit der Kamera begleiten, wie man das international ja beispielsweise mit David Beckham erfolgreich vorexerziert hat. Den Anfang machen am 25. Juni Bill und Tom Kaulitz in "Kaulitz und Kaulitz". Über acht Monate ließen sie sich von einem Team von Constantin Entertainment zuhause in LA, im Tourbus oder auch bei einem Roadtrip mit der Kamera begleiten - und ob dabei nun ein Docu-Follow- (Tom) oder ein Reality-Format (Bill) herausgekommen ist, dürfte zwischen den beiden Protagonisten noch einige Zeit diskutiert werden.

Auf jeden Fall hat es Netflix geschafft, dass Tom Kaulitz live auf der Bühne seinen ersten Instagram-Post absetzte und dafür anders als alle anderen auch sein Handy aus der Tüte holen durfte, in die Netflix die Smartphones aller Besucherinnen und Besucher verbannt hatte, damit auch ja niemand einen der gezeigten kurzen Ausschnitte noch nicht veröffentlichter Formate abfilmt. Die Kaulitz-Brüder sind aber nicht die einzigen, die Netflix mit der Kamera beglietet hat. Auch die erfolgreichste Rapperin Deutschlands, Shirin David, lässt sich für Netflix von W&B Television auch im privaten Umfeld filmen, Launch ist hier aber erst im kommenden Jahr.

Tom und Bill Kaulitz © Netflix "Wir können ja offen reden, weil alle ihre Handys wegpacken mussten": Tom und Bill Kaulitz hatten sichtbar Spaß beim Spiel "Never have I ever" mit Jenny Augusta, die als Moderatorin durch den Abend führte

Und dann widmet sich Netflix auch verstärkt dem Genre True Crime. In "Jack Unterweger" wird einer der unglaublichsten Kriminalfälle beleuchtet. Während eben jener Jack Unterweger sich als Autor und Paradebeispiel des resozialisierten Mörders feiern ließ, tötete er nämlich ungestört weiter. In der Dokuserie von The Thursday Company kommen Frauen, die ihn überlebt haben, zu Wort. Zudem geht es in "Pinzner: German Hitman" um den Auftragsmörder Werner "Mucki" Pinzner, der 1986 im Hamburger Polizeipräsidium erst den Staatsanwalt, dann seine Frau und schließlich sich selbst erschießt. Anhand unveröffentlichter Tonbandaufnahmen und exklusiver Zeugenaussagen geht es in der Produktion von Beetz Brothers vor allem auch um Motive der Mittäterinnen des Kiez-Killers.

Matthias Schweighöfer und Ruby O. Fee werden eingemauert

Im Ficiton-Bereich hatte man vor allem eine echte Neuigkeit im Gepäck: Ein neuer Film mit dem Arbeitstitel "Brick". Matthias Schweighöfer und Ruby O. Fee - die auch im echten Leben in einer Partnerschaft sind - spielen darin ein Paar, das plötzlich in seiner eigenen Wohnung gefangen ist, weil über Nacht eine schwarze, undurchdringliche Wand den Weg nach draußen versperrt. Gemeinsam mit verschiedenen Nachbarn aus ihrem Haus, denen das gleiche Schicksal widerfahren ist, suchen sie verzweifelt einen Weg aus der Falle. Kreativer Kopf hinter der Serie ist Philip Koch, der als Autor, Regisseur und Produzent fungiert. In weiteren Rollen sind Frederick Lau, Salber Lee Williams, Axel Werner, Sira-Anna Faal, Murathan Muslu und Alexander Beyer zu sehen. Produziert wird der Film, der allerdings erst 2025 bei Netflix zu sehen sein wird, von Nocturna Productions und W&B Television.

Schon deutlich früher warten einige andere deutsche Filme bei Netflix, darunter der ebenfalls von W&B produzierte "Spieleabend" - der so extrem eskaliert, dass plötzlich alles auf dem Spiel steht. In den Hauptrollen sind Dennis Mojen, Janina Uhse, Edin Hasanovic, Anna Maria Mühe, Taneshia Abt, Axel Stein, Stephan Luca und Max Bretschneider zu sehen. Hier gibt es mit dem 12. Juli nun einen konkreten Veröffentlichungstermin.

Taneshia Abt, Edin Hasanovic © Netflix Taneshia Abt wurde von Edin Hasanovic noch nie privat zum Spieleabend eingeladen, obwohl der jede Woche einen veranstaltet...

Noch keinen konkreten Starttermin nannte man für "Delicious" von Komplizenfilm mit Fahri Yardim, Valerie Pachner, Naila Schuberth , Caspar Hoffmann, Carla Diaz. Eine deutsche Familie nimmt darin im Sommerurlaub in Südfrankreich eine junge Frau bei sich auf, die sie auf der Landstraße antreffen. Schnell stellt sich heraus, dass jeder in der Familie die Frau für ganz eigene Zwecke nutzen will, was sich bald rächen soll. Drehbuch und Regie liegen in der Hand von Nele Mueller-Stöfen. Im Film mit dem Arbeitstitel "Extraterritorial" verschwindet der kleine Sohn einer ehemaligen Special-Forces-Soldatin Sara (gespielt von Jeanne Goursaud) während des Besuchs im US-Konsulat in Frankfurt spurlos - und niemand will überhaupt gesehen haben, wie er das Gebäude betrat. Auf der verzweifelten Suche nach ihrem Sohn taucht Sara im Labyrinth des Konsulats unter. Christian Zübert ist hier für Regie und Drehbuch verantwortlich, produziert wird der Film von Constantin Film.

Die Tücken des Smarthome aus den 70ern

Im Serienbereich gab es einen ersten Blick auf einige vielversprechende Produktionen, die allerdings schon vor einiger Zeit angekündigt worden waren. Lavinia Wilson und Mina Tander gewärten erste Einblicke in ihre demnächst startende Serie "Cassandra" (Rat Pack Filmproduktion), hinter der Benjamin Gutsche als Autor und Regisseur steht. Die Story: Neue Bewohner ziehen in das älteste Smarthome Deutschlands, das nach dem mysteriösen Verschwinden der Eigentümer 50 Jahre leer stand, und treffen dort auf die elektronische Haushaltshilfe Cassandra aus den 70ern, die bald alles daran setzt, nicht noch einmal allein gelassen zu werden. Das klingt vor allem kurios, sah in den ersten Bildern aber reichlich actionreich und dramatisch aus.

Lavinia Wilson, Mina Tander © Netflix "Ich spielte ein ganzes Haus": Lavinia Wilson und Mina Tander plauderten über ihre neue Serie "Cassandra"

Schon einen konkreten Starttermin gibt's für "Crooks", das ab dem 4. April zum Abruf bereit steht. Darin müssen sich zwei Gauner (Frederick Lau und Christoph Krutzler), die eigentlich inzwischen ein ruhiges Leben führten, plötzlich gegen Clans aus Berlin, Wien und Marseille behaupten und begeben sich auf einen abenteuerlichen Roadtrip über drei Ländergrenzen hinweg. Die Serie stammt von Marvin Kren und wurde von W&B Television produziert.

Neben neuen Staffeln für "Kleo", "Die Kaiserin" und "How to sell drugs online (fast)" ist ebenfalls für 2024 noch der Start von "Achtsam Morden" angekündigt. Tom Schilling spielt darin den erfolgreichen Anwalt Björn Diemel, der unverhofft zum Mörder wird. Er belegt ein Achtsamkeits-Seminar, eigentlich um seine Ehe zu retten und mehr Zeit mit seiner Tochter zu verbringen - im Zuge der neu erlernten Achtsamkeitstechnik muss allerdings sein Mandant, ein rücksichtsloser Mafia-Boss, dran glauben.

Am Ende dieses 90-minütigen recht wilden Ritts durch die deutschen Netflix-Pläne in den unterschiedlichsten Genres war jedenfalls klar, was 2024 nicht mehr selbstverständlich ist: In Zeiten, in denen andere internationale Konzerne ihre internationalen Ambitionen zuletzt massiv eingedampft haben, machte man deutlich: Netflix als inzwischen profitabler Marktführer ist gewillt, auch weiter in gleichem Umfang in lokale Produktionen zu investieren. "Wir glauben daran, dass tolle Geschichten aus jeder Region kommen können", so Katja Hofem, die die Netflix-Produktionen im DACH-Raum verantwortet. Mit den internationalen Auszeichnungen im vergangenen Jahr hat man das ja auch tatsächlich schon bewiesen.