Etwas mehr als zwei Monate nach der Veröffentlichung eines Berichts von ZDF und "Spiegel", wonach der Journalist hunderttausende Euro von dem Putin-nahen Oligarchen und langjährigen Tui-Großaktionär Alexei Mordaschow erhalten haben, was letztlich in unkritischen Berichte über den russischen Präsidenten Wladimir Putin mündete. Der NDR, der etwa für Seipels Porträt "Ich Putin" verantwortlich zeichnete, hat daraufhin eine Prüfung der Vorgänge durch den ehemaligen "Spiegel"-Chefredakteur Steffen Klusmann in Auftrag gegeben, der wiederum am Donnerstag seine Ergebnisse im Rahmen einer digitalen Pressekonferenz vorstellte.
Klar ist inzwischen: Bereits vor dem Ende 2014 in der damaligen Talkshow "Günther Jauch" ausgestrahlten Putin-Interview Seipels ist Geld geflossen. Klusmanns 32-seitiger Bericht attestiert Seipel daher nun explizit ein Fehlverhalten. Demnach hätte der freie Autor gegenüber dem NDR Geldzahlungen eines russischen Oligarchen offenlegen müssen. Allerdings habe sich der Vorwurf, Seipel habe das Porträt vor Ausstrahlung vom Kreml "absegnen" lassen, nicht bestätigt. Zwar beteuer Seipel bis heute, dass auch sein russischer Sponsor keinen Einfluss auf seine Buchprojekte oder die Filme ausgeübt habe. Der Bericht kommt aber zu dem Schluss, dass der Autor "zugänglich für Bestechung durch Nähe" gewesen ist.
Seipel, so heißt es, hätte gegenüber dem NDR Geldzahlungen eines russischen Oligarchen offenlegen müssen. Mit Blick auf den NDR und die ARD gab es keine Hinweise darauf, dass an der Produktion Beteiligte von den russischen Zahlungen gewusst oder sogar davon finanziell profitiert haben. Auch der Verdacht, der NDR habe eine "Warnung" des WDR vor Seipel oder russischem Einfluss missachtet, hat sich nicht bestätigt. Eine konkrete und belastbare Warnung hat es dem Bericht zufolge nicht gegeben.
"Auch wenn wir es nicht abschließend beweisen können: Es drängt sich der Verdacht auf, als sei das Geld von Mordaschow gar nicht nötig gewesen, um aus Seipel einen 'Putin-Freund' zu machen", heißt es in dem Bericht. "Es sieht vielmehr danach aus, als sei der Autor seiner Eitelkeit erlegen und zugänglich für eine Bestechung durch Nähe gewesen – auch wenn er bestreitet, die nötige Distanz verloren zu haben. Einige hatten im Laufe der Zeit den Eindruck gewonnen, Seipel sei mit Putin sogar befreundet. Das hätte ihn, den großen Journalisten, eigentlich misstrauisch werden lassen müssen, aber der exklusive Zugang war offenbar zu schmeichelhaft."
"Der war halt hier ein Star"
Tatsächlich hat Hubert Seipel seine Projektideen in der Regel nicht der Arbeitsebene, also den Redaktionen, sondern den Chefs direkt gepitcht, allen voran dem Intendanten, Programmdirektor und der Leitung des Programmbereichs Kultur und Dokumentation - das war zum damaligen Zeitpunkt übrigens eine gewisse Patricia Schlesinger, die die gesamte ARD bekanntlich später als Intendantin des RBB in ihre wohl tiefste Krise stürzte. "Sie schienen die andere Seite des erfolgreichen Filmemachers zu verdrängen, von der ebenfalls viele erzählen", heißt es im Klusmann-Bericht. Gemeint sei die des "Besserwissers", der Kritik als "Majestätsbeleidigung" auffasse und unter einer "Hybris" leide. Doch verhindert werden konnten die unkritischen Filme letztlich nicht. "Der war halt hier ein Star", sagte Klusmann am Donnerstag über den NDR.
Und auch im Klusmann-Bericht selbst wird deutliche Kritik am NDR geübt. Der Sender müsse sich vorwerfen lassen, sich von Seipels exklusiven Stoffen mitreißen lassen zu haben. Wenngleich keinerlei Pflichtverletzungen bei Mitarbeitenden des NDR oder der Produktionsfirma Cinecentrum vorliegen, so habe man Seipel über die Jahre "zu viel hofiert und zu wenig kritisch hinterfragt", wie es heißt. "Als Kreml-Versteher auch in der ARD insgesamt." Tatsächlich war Seipel noch bis Anfang 2022 immer wieder in ARD-Talkshows zu Gast.
Seipel selbst kann in den Honoraren von Mordaschow bis heute übrigens keinen Interessenkonflikt erkennen, sie seien für seine Bücher bestimmt gewesen. Ohne das Geld hätte er die nicht schreiben können, erklärte er. "Und doch", so schreibt es Klusmann in seinem Bericht, "schien der Geld- und Status-bewusste Seipel zu wissen, dass die Zahlungen sein Ende als TV-Journalist bedeutet hätten. Sonst hätte er sie transparent machen und sich die Verschachtelungen über Briefkastenfirmen sparen können."
Juristische Folgen muss Seipel indes nach Angaben des NDR-Chefjustitiars Michael Kühn wohl nicht befürchten - was eben auch daran liegt, dass Seipels unkritische Putin-Nähe weitläufig bekannt war und der NDR wusste, was er bekommt, wenn er eine Dokumentation oder ein Interview von Seipel bestellt. Doch Steffen Klusmann, nach dem Relotius-Skandal erfahren in der Aufklärung von Verfehlungen, schlägt dem NDR zumindest mehrere Lehren vor, die aus der Causa Seipel zu ziehen sind. So könne es "nicht schaden, die Rollenverteilung zwischen Redaktion und freien Autoren immer wieder zu schärfen" und eine "gesunde Form des Argwohns" zu etablieren, wenn etwas zu schön sei, um wahr zu sein.
"Wir werden das Spannungsfeld zwischen Nähe und Distanz zu Protagonisten in großen Portraits klarer austarieren, genauso wie jenes zwischen Skepsis und Begeisterung – auch und gerade bei besonders starken Stoffen", erklärte NDR-Intendant Joachim Knuth am Donnerstag. "Ich habe nun drei Kolleginnen und Kollegen aus Redaktion und Justitiariat gebeten, diese Anregungen aus dem Bericht von Steffen Klusmann aufzugreifen und für uns zu konkretisieren." Bleibt zu hoffen, dass die Umsetzung dabei hilft, einen neuerlichen Fall dieser Art zu verhindern.