Während man beim klassischen Fernsehen gewohnt ist, schon am nächsten Morgen mit Veröffentlichung der TV-Quoten mehr darüber zu wissen, wie viele Menschen eine Sendung wohl erreicht hat, kehrte mit dem Aufkommen der Streamingdienste die große Geheimniskrämerei in die Branche ein. Netflix sah über viele Jahre keinerlei Veranlassung, etwas zu seinen Nutzungszahlen preiszugeben - und alle anderen taten es dem Marktführer gleich.
Doch in jüngerer Vergangenheit wird Netflix Stück für Stück offener. Seit rund zwei Jahren veröffentlicht man auf der eigenen Website nun Woche für Woche Top 10-Listen mit den meistgesehenen Filmen und Serien der vergangenen sieben Tage, zunächst basierend auf der reinen Anzahl der gestreamten Stunden. Weil dadurch langlaufende Serien erheblich im Vorteil waren, hat man hier die Metrik inzwischen gewechselt und bezieht die Laufzeit mit ein. Auch eine Alltime-Top10 wird gepflegt, der die Nutzung innerhalb der ersten 91 Tage nach Veröffentlichung zugrunde liegt.
Daran lässt sich ablesen, was aktuell die großen Erfolge auf der Plattform sind - über Misserfolge sagen diese Listen weniger aus, zumal es häufig gelingt, durch entsprechende Promo und die Algorithmen, neue Serien kurz nach der Veröffentlichung massiv zu pushen. Wie lange sich Serien dann oben halten können, steht schon wieder auf einem anderen Blatt. Und kleinere Produktionen lassen sich so ohnehin schlechter abbilden. Das wird künftig besser möglich sein, weil Netflix in Sachen Transparenz den nächsten Schritt geht.
Daten für mehr als 18.000 Serien und Filme
Zwei Mal im Jahr wird man künftig "What We Watched: A Netflix Engagement Report" veröffentlichen und darin die Gestreamten Stunden für jeden einzelnen Titel veröffentlichen, der es im betrachteten Sechs-Monats-Zeitraum auf mindestens 50.000 Stunden gebracht hat - womit nach Netflix-Angaben 99 Prozent der gesamten Netflix-Nutzung abgebildet wird. Insgesamt umfasst dieser Report damit über 18.000 Titel, für die sich nun erstmals öffentlich Nutzungszahlen einsehen lassen, vor allem auch was den "Long Tail" angeht, also die Nutzung weit nach der Erstveröffentlichung.
Beim Lesen des Reports gibt es aber natürlich viele Dinge zu beachten, das Ranking an sich sagt nicht wirklich etwas über den Erfolg einer Serie aus. Denn hier setzt Netflix als Metrik wieder auf die gestreamten Stunden, was naturgemäß eine Telenovela mit hunderten Folgen im Vergleich zu einer sechsteiligen Comedyserie oder Filme im Ranking bevorteilt. Dazu kommen natürlich die unterschiedlichen Veröffentlichungs-Zeitpunkte - was wiederum natürlich Produktionen bevorteilt, die am Beginn des Zeitraums online gingen. Insofern werden diese veröffentlichten Daten mit jedem künftigen Report interessanter, wenn man die Zahlen also auch über den jeweiligen Halbjahreszeitraum hinaus zusammenrechnen kann.
Die Zahlen müssen also richtig interpretiert werden, aber nun liegt erstmal das Rohmaterial vor, mit dem man sich tatsächlich selbst ein Bild über die bunten Top10-Listen hinaus machen kann. "Das sind die Daten, auf deren Basis wir unser Geschäft betreiben", wurde Netflix-Co-CEO Ted Sarandos nicht müde zu betonen - wobei zur Beurteilung über Erfolg oder Misserfolg freilich noch viele weitere Parameter ausschlaggebend sind. Sarandos spricht von einem "wichtigen Meilenstein für unsere Branche". Dass sich die Konkurrenz daran ein Beispiel nehmen wird, ist freilich trotzdem nicht zu erwarten - denn der weltweit haushohe Marktführer hat natürlich leicht reden, alle anderen dürften in der Regel weit hinterher hinken.
Ein Blick auf den ersten Report
Doch was zeigen die ersten veröffentlichten Daten, die sich auf das erste Halbjahr 2023 beziehen, denn nun? Am meisten Streamingstunden entfielen da auf "The Night Agent", über 812 Millionen waren es insgesamt, die zweite Staffel von "Ginny & Georgia" bringt es auf 665 Millionen, die koreanische Serie "The Glory: Season 1" auf 623 Millionen. über 500 Millionen liegen auch "Wednesday" und "Queen Charlotte: A Bridgerton Story".
Produktionen mit den meisten Streaming-Stunden
Titel | Streaming-Stunden (1. Halbjahr 2023) |
Veröffentlichung |
The Night Agent | 812.100.000 | 23.03.2023 |
Ginny & Georgia (Staffel 2) | 665.100.000 | 05.01.2023 |
The Glory (Staffel 1) | 622.800.000 | 30.12.2022 |
Wednesday (Staffel 1) | 507.700.000 | 23.11.2022 |
Queen Charlotte: A Bridgerton Story | 503.000.000 | 04.05.2023 |
You (Staffel 4) | 440.600.000 | 29.02.2023 |
La Reina del Sur (Staffel 3) | 429.600.000 | 30.12.2022 |
Outer Banks (Staffel 3) | 402.500.000 | 23.02.2023 |
Ginny & Georgia (Staffel 1) | 302.100.000 | 24.02.2021 |
FUBAR (Staffel 1) | 266.200.000 | 25.05.2023 |
Sucht man nach deutschen Produktionen, dann stößt man mit "Totenfrau" auf eine österreichisch-deutsche Koproduktion, die es auf über 85 Millionen gestreamte Stunden bringt. "Transatlantic" lag bei etwas mehr als 45 Millionen gestramten Stunden. Bemerkenswert ist aber vor allem auch, welch hohe Nutzung Filme und Serien erreichten, die schon aus dem vergangenen Jahr stammen. "Im Westen Nichts Neues" haben dabei sicher die zahlreichen Auszeichnungen u.a. mit dem Oscar geholfen, als Film noch auf satte 80 Millionen Streaming-Stunden zu kommen, "Die Kaiserin" und "1899" lagen bei über 50 Millionen. "1899" bewahrte das bekanntlich trotzdem nicht vor der Absetzung nach einer Staffel. Die schon 2017 veröffentlichte erste Staffel von "Dark" generierte noch über 24 Millionen Streamingstunden im ersten Halbjahr. Auch der Erfolg von lizenzierten deutschen Serien und Filmen lässt sich nun im Detail nachvollziehen.
Ausgewählte deutsche Produktionen
Titel | Streaming-Stunden (1. Halbjahr 2023) |
Veröffentlichung |
Totenfrau | 85.400.000 | 05.01.2023 |
Im Westen Nicht Neues (Film) | 80.000.000 | 28.10.2022 |
Die Kaiserin | 56.000.000 | 29.09.2022 |
1899 | 51.800.000 | 17.11.2022 |
Transatlantic | 45.300.000 | 07.04.2023 |
Dark (Staffel 1) | 24.100.000 | 01.12.2017 |
Kleo | 16.500.000 | 19.08.2022 |
Dark (Staffel 2) | 13.200.000 | 21.06.2019 |
Dark (Staffel 3) | 11.700.000 | 07.06.2020 |
Tribes of Europa | 5.900.000 | 19.02.2021 |
Alles in allem ergibt sich aus dem Report, dass 30 Prozent der gesamten Netflix-Nutzung inzwischen auf Titel entfällt, die nicht in englischer Sprache gedreht wurden. Und die englischsprachigen Titel werden zu 45 Prozent übrigens in der Synchronfassung oder mit Untertiteln angeschaut. Interessant auch: Nur etwas mehr als die Hälfte (55 Prozent) der gesamten Netflix-Nutzung entfällt auf Netflix-Eigenproduktionen, 45 Prozent hingegen auf lizenzierte Serien und Filme. Hier profitiert Netflix häufig davon, dass von diesen Serien viele Staffeln vorliegen. "Breaking Bad", "The Walking Dead" und "Suits" brachten es so jede Serie für sich allein genommen auf über 500 Millionen gestreamte Stunden. Insofern sind es also auch für Netflix gute Nachrichten, wenn die Medienkonzerne allesamt wieder offener werden, ihre Produktionen nicht nur auf den eigenen Diensten verwerten zu wollen. "Davon profitieren alle", so Ted Sarandos.