Wird es Kabel Eins gerecht, wenn man behauptet, der Sender sei konservativ?

Stellt man Marc Rasmus diese Frage, dann kommt die Antwort prompt zurück: "Oh ja!", entfährt es ihm. Und er muss es wissen, schließlich ist Rasmus seit mehr als sieben Jahren für den Sender verantwortlich und damit so lange wie niemand zuvor. Seither hat er zusammen mit seinem Team intensiv an der Positionierung von Kabel Eins in der Senderlandschaft gearbeitet. "Wir wollen Traditionen und alt Bewährtes erhalten, natürlich ohne uns Neuem zu verschließen und uns weiterzuentwickeln", erkärt er die Strategie in einem Satz.

Wofür der frühere Kabelkanal stehen sollte, war lange nicht ganz klar: Die besten Filme aller Zeiten? Glücksrad? Oder doch Bud Spencer?

Seine Vorgängerin Katja Hofem, heute bei Netflix in hoher Position, brachte Kabel Eins einst mit dem Begriff des "Bügelfernsehens" in Verbindung. Marc Rasmus ist das zu wenig, auch wenn sich bei stundenlangen Wiederholungen von Krimiserien wie "Castle" oder "Navy CIS" auch heute noch zweifelsohne gut bügeln lässt. Doch außerhalb dieser günstigen Programmstrecken hat Rasmus geschafft, wovon manche seiner Kollegen nur träumen: Er hat Marken etabliert. "Kabel Eins war gefühlt immer eine Monokultur", sagt der Senderchef im Gespräch mit DWDL.de. "Alles war reportagig erzählt. Das Wie, das Was, das Wer, das Warum – irgendwie war immer alles gleich." Vieles, findet er im Rückblick, sei "sehr  eindimensional" gewesen.

"Wir hatten immer die Vision, Sendergesichter aufzubauen", betont Rasmus. "Aber so etwas muss wachsen." Wo einst allenfalls Frank Rosin oder der inzwischen verstorbene "Knochenbrecher" Tamme Hanken das Programm prägten, kann Marc Rasmus heute stolz auf Peter Giesel, die Reimanns, seine "Trucker Babes" oder demnächst auch wieder den "Quiz Taxi"-Chauffeur Thomas Hackenberg verweisen. "Wir müssen längst nicht mehr die Frage beantworten, ob uns nichts Besseres einfällt als alte Bud-Spencer-Filme zu zeigen", betont Rasmus. Dass diese trotzdem noch immer mit großem Erfolg laufen, versteht sich von selbst.

Kabel Eins - Entwicklung der Marktanteile (14-49)

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Quelle: DWDL.de-Recherche; Aufbereitung: DWDL
dwdl.de/zahlenzentrale
Marktanteil

Mehr Budget steht Kabel Eins trotz des wachsenden Erfolgs nicht zur Verfügung. Dass es derzeit so gut läuft, hängt wohl mit einer Mischung aus Wirtschaftlichkeit, Fleiß und guten Ideen zusammen. 2022 habe Kabel Eins eine Flop-Rate von rund 33 Prozent gehabt, rechnet Marc Rasmus vor. Das sei etwa halb so viel wie im Markt üblich. "Auch wir müssen sparen, aber wir versuchen das Beste herauszuholen, was bei unserer Positionierung etwas einfacher ist als bei Sendern, die zum Beispiel auf große Shows setzen."

Im Zweifel hält Rasmus auch dann an Formaten fest, wenn diese objektiv betrachtet gar nicht mehr erfolgreich sind. So wie "Achtung Kontrolle", ein seit 15 Jahren laufendes Format, in dem Ordnungshüter aller Art begleitet werden. "Das Format wurde schon oft totgeschrieben - zwischenzeitlich zurecht", sagt Rasmus und lacht. "Wenn ich weiß, dass ich mir eigentlich keine großen Sprünge erlauben kann, um ein Format zu ersetzen, ich aber immer noch den Glauben daran habe, dass es nicht auserzählt ist, dann ist es für einen Sender wie Kabel Eins viel effizienter, so lange daran zu arbeiten, bis man wirklich alles ausprobiert hat."

"Fernsehmarken werden in der Regel nicht auf T-Shirts getragen"

Auch "Mein Lokal, Dein Lokal", das in diesen Tagen seinen zehnjähriges Jubiläum im Vorabendprogramm feiert, gelang nach intensiver Formatarbeit der Turnaround. Nun sind es die "Trucker Babes", die zuletzt schon von manchen Beobachtern abgeschrieben wurden, nachdem der anfängliche Hype um die Brummifahrerinnen im Frühjahr spürbar nachgelassen hat. Rasmus führt das zum Teil auf die Corona-Pandemie zurück. Standen die "Trucker Babes" zunächst für Freiheit, Eskapismus und Verheißung, verkehrte sich dieser Eindruck in der Corona-Zeit ins Gegenteil. Plötzlich seien die Truckerinnen von Teilen des Publikums als einsam empfunden worden. "Das, was vorher eine Verheißung war, ist jetzt ein Makel", sagt Rasmus und räumt ein, dass es schwer sei, das Format inhaltlich weiterzuentwickeln. Versuchen will er es trotzdem und stattdessen in der nächsten Staffel die Trucker-Community und das Gemeinschaftsgefühl stärker herauszuarbeiten.

Kabel Eins - Formate © Kabel Eins / Stefan Hobmaier / Boris Breuer / Michael de Boer / Benedikt Müller Keine Monokultur mehr: Die Eigenproduktionen von Kabel Eins sind in den zurückliegenden Jahren vielfältiger geworden.

Es sind Werte, die gut zu Kabel Eins und seiner konservativen Anmutung passen, den Sender aber, wie Marc Rasmus selbst zugibt, mitunter "graubrotig" wirken lassen. Kommt man auf das Thema Haltung zu sprechen, fallen schnell Begriffe wie Verlässlichkeit oder Anständigkeit. "Das sind ganz wichtige Dinge, die es aus der Sicht unseres Markenverständnisses zu konservieren gilt – gerade in einer Zeit wie dieser, in der sich vieles sehr schnell verändert." Selbst das lineare Fernsehen. "Fernsehmarken werden in der Regel nicht auf T-Shirts getragen", weiß der Kabel Eins-Chef. "Und doch genießen sie ein gewisses Vertrauen beim Publikum, weil sie Alltagsbegleiter sind und für viele Menschen zum persönlichen Belohnungssystem gehören. Wenn wir also unser Markenversprechen nicht halten, laufen wir Gefahr, das Vertrauen zu verspielen." Von eher wilden Formate wie "Die strengsten Eltern der Welt" oder "Ab ins Kloster" lässt Kabel Eins unter Marc Rasmus daher inzwischen lieber die Finger.

Kabel Heinz © Kabel Eins Der Kabel Heinz war nur kurzzeitig das Testimonal von Kabel Eins.
Genauso wie vom "Kabel Heinz", einem bärtigen Testimonial, das vor acht Jahren für Unverechselbarkeit sorgen sollte. Die Figur hat Rasmus kurz nach seinem Amtsantritt jedoch schnell wieder abgeschafft. "Ich fand die Figur nicht sehr zuschauerfreundlich, weil diesem Kabel Heinz eine leicht augenzwinkernde Herablassung innewohnte." Und die passt nach Auffassung des Senderchefs nicht zu seinem Publikum, das Rasmus mit Blick auf seine Zusammensetzung als "die echte Mitte" bezeichnet. Vor diesem Hintergrund hat Kabel Eins auch bewusst entschieden, im Programm nicht zu gendern. "Wir versuchen das Gendern mit Doppelpunkt oder Stern zu umgehen und so zu sprechen, wie es die Menschen auf der Straße tun", betont Marc Rasmus im Gespräch mit DWDL.de. Ein "schwieriges Thema" sei das, räumt er ein, "weil es stark polarisiert und zum Teil sehr populistisch diskutiert wird". Aus diesem Grund sei es "fast schon gefährlich für uns, diese Position einzunehmen", findet Rasmus. "Gegenseitiger Respekt und Anstand sind uns wichtig, das leben wir jeden Tag in unseren Programmen vor. Aber wir wollen niemanden bevormunden oder belehren."

Mit dieser Herangehensweise fährt Kabel Eins derzeit so gut, dass der Sender jüngst zwei Monate in Folge wieder einen Marktanteil von mehr als fünf Prozent in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen verbuchte und zuletzt an mehreren Tagen sogar das finanziell deutlich besser ausgestattete Sat.1 hinter sich lassen konnte. Darauf angesprochen, übt sich Marc Rasmus in Demut. "Wir alle wissen, dass Sat.1 der größere Sender ist und auch wieder wachsen wird", sagt er. "Ich freue mich, dass wir die fünf Prozent erreicht haben, weiß aber auch, wie schwierig es wird, sie halten zu können." Ohnehin bildeten Marktanteile "einen zunehmend kleineren Teil der Wahrheit ab", betont Rasmus. "Der lineare Markt verliert jedes Jahr an Reichweite." Kabel Eins verliere jedoch weniger Reichweite als andere Sender, teils konnten Formate wie "Achtung Abzocke" sogar zulegen. "Das sind gute Botschaften, die mich zuversichtlich stimmen. Die Leute finden uns und schenken uns ihr Vertrauen."

Wohl dem, der das in der Fernsehbranche in diesen Tagen von sich behaupten kann.