Es dauerte zwar anderthalb Jahrzehnte bis man bei Netflix selbst bemerkte, dass man im Abo-Geschäft tätig ist, doch jetzt zahlt sich die bemerkenswert späte Erkenntnis und der im Mai diesen Jahres eingeläuteten Kampf gegen das zuvor vom Unternehmen jahrelang ausdrücklich erlaubte Account-Sharing offenbar aus: Mit der Bekanntgabe der Geschäftszahlen für das zweite Quartal 2023 vermeldet Netflix ein Abo-Wachstum von netto 5,9 Millionen Accounts und verzeichnet global 238,4 Millionen zahlende Kundinnen und Kunden.
In jedem der über 100 Territorien in denen Netflix gegen das Account-Sharing vorgeht, sei der Umsatz gestiegen und ab sofort werde man diese Bemühungen auf fast alle Märkte ausweiten. Der Gewinn stieg im vergangenen Quartal im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um drei Prozent auf 1,49 Milliarden Dollar. Trotz dieser Entwicklung fiel die Reaktion der Wall Street zunächst verhalten aus, weil Analysten beim Umsatz mit mindestens 8,3 Milliarden Dollar gerechnet hatten, der Streamingdienst aber nur 8,19 Milliarden Dollar erzielte. Auch beim Ausblick auf das 3. Quartal blieb Netflix unter den Erwartungen der Börsianer.
Und doch ist es bemerkenswert, welchen Unterschied ein Jahr ausmachen kann: War im Frühling 2022 noch vom Netflix-Schock die Rede, hat sich der Streamingdienst inzwischen stabilisiert und ist zügiger als erwartet mit seinem werbefinanzierten Einstiegstarif gestartet, den man jetzt weiter stärken will. Auch in Großbritannien und den USA schafft Netflix den günstigsten werbefreien Tarif ab, um entweder mehr Umsatz mit den kostspieligeren Abos oder aber mehr Reichweite für die verkaufte Werbung zu bekommen. Man will das Werbegeschäft ausbauen, betont daher auch: Noch sei es nicht substanziell für das Unternehmen.
Ganz schön substanziell ist hingegen der höhere Cashflow, den Netflix für das Finanzjahr 2023 erwartet. Hier rechne man inzwischen mit 5 statt bislang 3,5 Milliarden Dollar. Das spiegele die geringeren Ausgaben für Content im Jahr 2023 wider, was auf das Timing mancher Produktionen „und die laufenden Streiks der WGA und SAG-AFTRA zurückzuführen ist.“ Die Freude des einen Jahres wird somit die Herausforderung des nächsten: Ohne neuen Content wird man 2024 nur schwer Abos verkaufen können und der Doppelstreik in Hollywood ist längst zum Machtkampf geworden, bei dem ein schnelles Ende unwahrscheinlich scheint. Das macht ihn zum unberechenbaren Faktor für Netflix wie auch andere Plattformen und trübt die allgemeine Stimmung.
Beim genaueren Blick in die Performance in den Regionen verstetigt sich übrigens eine Entwicklung, die im vergangenen Sommer eingesetzt hat: EMEA (also Europe, Middle East and Africa) hat den nordamerikanischen Markt in der Zahl der Abos überholt und ist nach der Kenngröße wichtigste Region, wenn gleich der Umsatz pro Kunde im Heimatmarkt USA sowie Kanada mit 16 Dollar zu 10,87 Dollar deutlich höher bleibt. In Lateinamerika, Asien und Australien sammelt Netflix ebenso weiter Abos ein, verzeichnet aber einen sinkenden Umsatz pro Kunden, maßgeblich durch die Einführung und Promotion des werbefinanzierten Einstiegstarifs. Zusammen tragen Lateinamerika, Asien und Australien weiterhin weniger zum Umsatz bei als EMEA oder Nordamerika einzeln.
Die richtige Balance zwischen den traditionellen Abo-Einnahmen und möglichen Werbe-Einnahmen zu finden, wird neben dem Doppel-Streik die zweite große Herausforderung für die beiden Co-CEOs Greg Peters und Ted Sarandos. Tatsächlich wirkt Netflix mit den vorlegten Zahlen und eingeläuteten Schritten jedoch manchem Konkurrenten einen Schritt voraus. Disney steht unter dem zurückgekehrten CEO Bob Iger gerade noch vor einem Reset mancher Strategien. Und auch von Paramount und Warner Bros. Discovery gab es zuletzt unterschiedliche Signale, geschweige denn vom noch nicht abgeschlossenen internationalen Rollout. Unter all diesen Umständen wirkt das aktuelle Update zum Geschäft von Netflix sehr solide.