Während ihre amerikanischen Berufskollegen den Hollywood-Betrieb per Streik zum Erliegen bringen, melden sich die deutschen Drehbuchautoren mit einem Zehn-Punkte-Plan und einem Praxisleitfaden zu Wort. Die sind zwar nicht halb so disruptiv, haben aber immerhin das Zeug dazu, für heftige Branchendiskussionen zu sorgen. Ein Dorn im Auge ist ihnen der Wildwuchs, der durch die inflationär scheinende Übernahme von Titeln und Funktionsbezeichnungen aus dem US-Markt entstanden ist. Seit auch hierzulande TV- und Streaming-Serien geschaffen werden, die international mithalten wollen, ist die Zahl der selbst ernannten "Creator" und "Showrunner" gefühlt exponentiell gewachsen.
Es ist der erste große Aufschlag des frisch formierten Deutschen Drehbuchverbands (DDV), der im Februar aus der Fusion des Verbands Deutscher Drehbuchautoren (VDD) und der Autoreninitiative Kontrakt 18 hervorgegangen war (DWDL.de berichtete). Das Papier mit der Überschrift "Autor*innen in Serien", das DWDL.de vorliegt, soll eine "Klärung des DDV" liefern und einen "neuen Branchenstandard" setzen. Es ist im Austausch mit der Writers Guild of America (WGA) und der Federation of Screenwriters in Europe (FSE) entstanden. Im Kern geht es darum, die Titel, die so enorme Begehrlichkeiten auslösen, für Autorinnen und Autoren zu reservieren. "Creator, Headwriter und Showrunner sind Funktionen, die Autor*innen vorbehalten sind", heißt es gleich zu Beginn des Zehn-Punkte-Plans. Und weiter: "Autor*in ist, wer einen urheberrechtlich relevanten Anteil am geschriebenen Werk erschafft. Die Bereitstellung einer Idee fällt ebensowenig darunter wie professionelle Anmerkungen und Änderungswünsche von Dramaturgie, Produktion, Regie und Auftraggebern/Verwertern."
Der Co-Creator der Sky-Serie "Das Boot", der einst auch Headwriter der RTL-Serie "Die Cleveren" war und Filme wie "Die weiße Massai", "Der Tunnel" oder "Hindenburg" geschrieben hat, war intensiv in die Formulierung des Leitfadens involviert. Selbstverständlich, so Betz, habe jeder, der an der Entstehung einer Serie beteiligt sei, seinen jeweiligen Credit verdient. Aber: "Creator kann nach unserem und nach international üblichem Branchenverständnis eben nur ein schreibender Autor oder eine schreibende Autorin sein. Das steht übrigens auch Produzenten oder Regisseuren offen – wenn sie denn eigenhändig wesentliche Ursprungsdokumente schreiben. Zum Creator wird man nicht, indem man jemandem ein paar Ideen zuruft."
Laut DDV-Definition umfasst das Creating "die Grundidee, die Vision und das Konzept der Serie, das Zusammenspiel von Thema, Erzählbögen, Figuren und emotionalen Bögen, Setting und Tonalität, entweder im Serienkonzept, im Pilotbuch oder beidem". Headwriter wiederum seien die "Schnittstelle zu Verwerter und Produktion in Bezug auf die Bucherstellung im Writers' Room. Sie leiten auf Basis der wesentlichen Ursprungsdokumente die Entwicklung der Drehbücher, überarbeiten sie und verantworten die Bücher bis zum Dreh." Und Showrunner schließlich definiert der DDV als "Autor*innen – in der Regel erfahrene Headwriter – die in Vor- und Postproduktion sowie während des Drehs die kreative Vision der Serie verantworten, indem sie auch die dafür relevanten produzentischen Aufgaben übernehmen". Dafür sollten sie einen "angemessenen produzentischen Credit" erhalten, international üblich sei "Executive Producer".
Nachdem deutsche Serien international anschlussfähig geworden sind, sollten wir das auch für unsere Begrifflichkeiten anstreben.
Marianne Wendt
"Die möglichst präzise Festlegung und Abgrenzung verschiedener Tätigkeiten ist nicht nur urheberrechtlich relevant, sondern führt am Ende auch zu einem viel reibungsloseren Entwicklungs- und Herstellungsprozess", so DDV-Mitglied Marianne Wendt gegenüber DWDL.de. Die langjährige Headautorin der ZDF-Serie "Letzte Spur Berlin" und Drehbuch-Professorin an der Filmuni Babelsberg hat zuletzt zwei Serien im vollen Dreiklang als Creator, Headwriter und Showrunner verantwortet: das Schweizer Familiendrama "Neumatt" für SRF und Netflix sowie die gerade in Postproduktion befindliche Umweltaktivisten-Serie "Juni" für die ARD.
"Weil die Serie bei uns lange Zeit so stiefmütterlich behandelt wurde, gibt es kein eingeübtes System, auf das wir zurückgreifen können", glaubt Wendt. "Deshalb haben wir unsere Erfahrungen der letzten Jahre und etablierte internationale Modelle zusammengeführt, um eine Grundlage zur branchenweiten Verständigung über wesentliche Funktionen und Aufgaben zu schaffen. Nachdem deutsche Serien erfreulicherweise international anschlussfähig geworden sind, sollten wir das auch für unsere Begrifflichkeiten anstreben. Mit einer rein deutschen Erfindung wie 'Creative Producer' kann im Ausland niemand etwas anfangen."
Ausweislich seines Papiers legt der DDV auch Wert darauf, dass Creating, Headwriting, Drehbucherstellung und Showrunning "eigenständige Funktionen" seien: "Sie bedürfen gesonderter Verträge und Vergütungen. Diese dürfen nicht miteinander verrechnet werden." Spätestens an diesem Punkt wird klar, dass die Titel-Frage beileibe nicht nur Eitelkeiten berührt, sondern auch handfeste finanzielle Interessen, die auf der anderen Seite wiederum Produzenten und Auftraggeber vor potenzielle Mehrkosten stellen.
Anders als bei der Selbstverpflichtungserklärung, mit der Kontrakt 18 vor ziemlich genau fünf Jahren begann, neue Vertrags- und Verhandlungsstandards für Drehbuchautoren durchzusetzen, verbindet der DDV seine Definitionen von Funktionen und Titeln diesmal jedoch nicht mit einem unmittelbaren Druckmittel. Ob Produzenten ohne Weiteres bereit sein werden, die Definitionen zu übernehmen, ist dennoch fraglich. "Marianne und ich sind in der privilegierten Lage, dass wir um unsere Titel nicht mehr kämpfen müssen", sagt Johannes Betz. "Viele andere Kolleginnen und Kollegen – vor allem auch jüngere – berichten hingegen sehr wohl von solchen Konflikten."