Eine Strategie, zwei Perspektiven: Folgt man dem Narrativ von RTL Deutschland, dann fokussiert sich das Medienhaus künftig auf jene Kernmarken, die zuletzt 70 Prozent der Publishing-Umsätze generierten. Das bedeutet: "Stern", "Geo", "Capital" und "stern Crime" werde man aufgrund der "großen Synergien" künftig direkt unter dem Dach von RTL News angedockten.
Darüber hinaus bleibt in Hamburg sogar die eigentlich abgeschaffte Verlagsmarke Gruner+Jahr Deutschland erhalten. Ohnehin findet sich in der gehaltenen Präsentation interessanterweise die Formulierung "RTL und G+J bleiben zusammen". Dort bei Gruner+Jahr sowie in verschiedenen Tochtergesellschaften erscheinen weiterhin "Brigitte", "Gala", "Schöner Wohnen", "Häuser", "Couch" sowie "Geolino" und "Geolino Mini" sowie künftig nur noch digital und nicht länger gedruckt: "Eltern" und "Chefkoch".
Doch eine andere Perspektive auf die Neuigkeiten von RTL Deutschland wird von den Betroffenen in Hamburg am Morgen weitaus mehr Aufmerksamkeit bekommen: 500 Stellen werden im Haus abgebaut, 200 weitere würden durch geplante Verkäufe von Titeln "abgegeben". Denn für einige Marken wolle man nun Verkaufsgespräche führen. Am Dienstagvormittag wurde betont, dass dies entgegen aller Spekulationen und Berichte dieslang nicht geschehen sei.
So sollen für das junge Wirtschaftsmagazin "Business Punk", den Kunsttitel "Art", das Wissensmagazin "PM" und all seine Ableger sowie die beiden Highend-Marken "Salon" und "Beef" ein Verkauf geprüft werden, ebenso wie für die Beteiligungen an dem Fußballmagazin "11 Freunde" und der Deutschen Medien Manufaktur und ihren Titeln (u.a. "Landlust" "essen & trinken", "Living at home" und "Flow").
Doch noch länger ist die Liste der Zeitschriften, die RTL Deutschland einstellt, darunter zum Erstaunen zahlreicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Hamburg auch das gesamte Markenuniversum von "Geo" abseits der Kernmarke. Damit verschwinden das Reisemagazin "Geo Saison" ebenso wie "Geo Wissen", "Geo Kompakt", "Geo Epoche" und sechs weitere Submarken. Eine insofern überraschende Entscheidung, weil Bertelsmann sich seit Jahren an anderer Stelle immer stärker im Bildungsgeschäft engagiert.
Auch Printtitel von Schöneberger, Kretschmer und Hirschhausen eingestellt
Eingestellt wird auch das aus dem "Stern" hervorgegangene Foto-Magazin "View" sowie die "Stern"-Verlängerung "Hirschhausens Gesund leben". Ohnehin endet die Ära der Magazine mit Promi-Paten, die erst vor einigen Jahren am Baumwall als große Innovation eingeführt wurde. Auch die zusammen mit Barbara Schöneberger ("Barbara") sowie Guido Maria Kretschmer ("Guido" und "Guidos Deko-Queen") gelaunchten Magazine werden beendet. Darüber hinaus werden zahlreiche "Brigitte"-Ableger eingestellt und wie schon erwähnt: "Chefkoch" und "Eltern" erscheinen nicht mehr gedruckt.
Das ist ein Schock, den man am Baumwall erstmal verdauen muss, auch wenn die zuletzt ein bisschen über die Maßen romantisierte Verlagsmarke Gruner+Jahr und jene Titel mit dem größten Umsatzpotential erhalten bleiben. Die Notwendigkeit der Einschnitte wurde den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit der erwarteten Geschäftsentwicklung des Verlagshauses vermittelt: 2022 sei demnach nur ganz knapp überhaupt noch ein Gewinn erwirtschaftet worden - ohne Maßnahmen wäre demnach 2023 durch Umsatzeffekte (a.k.a. schlechtes wirtschaftliches Umfeld) und dazu steigenden Kosten ein zweistelliges Millionen-Minus zu erwarten gewesen.
Warum die wichtigsten Kernmarken künftig direkt RTL News und damit Geschäftsführer Stephan Schmitter unterstellt sind, erklärt RTL Deutschland-CEO Rabe mit den möglichen Synergien. "Der Verbund von TV-, Streaming- und Publishing-Geschäften von RTL Deutschland macht Sinn. Er schafft einen erheblichen Mehrwert von etwa 75 Millionen Euro jährlich in so wichtigen Bereichen wie Inhalte, Vermarktung, Tech & Data sowie bei den Corporate-Funktionen." Die bei Gruner+Jahr verbleibenden Titel sind künftig übrigens in der Verantwortung von Bernd Hellermann.
Investitionen in die verbliebenen Kernmarken, insbesondere Stern+
Während einerseits die Kosten gesenkt werden sollen, kündigt RTL Deutschland ein Investment von 80 Mio. Euro in die verbliebenen Kernmarken an. Dabei geht es in erster Linie um eine Verbesserung von Stern+, wo man mit der Performance des Bezahlangebots im Wettbewerbsvergleich alles andere als zufrieden ist. Unter Stern+ sollen sich auch „Geo“ und „Capital“ wiederfinden, eine intensivere Zusammenarbeit mit rtl.de und n-tv.de wird angestrebt ebenso wie eine Erweiterung um Bewegtbild.
30 Mio. Euro sollen hier investiert werden, 30 Millionen Euro in die weiteren verbleibenden Kernmarken. Strategische Priorität haben künftig digitale Bezahlinhalte, digitale Dienstleistungen, crossmediale Inhalte, E-Commerce sowie Lizenz- und Siegelgeschäfte. Bis Ende 2024 will man darüber hinaus eine neue Räumlichkeit für die Hamburgerinnen und Hamburger finden und kalkuliert dafür 20 Mio. Euro ein. Die „Corporate- Funktionen“ von Gruner+Jahr sollen allerdings schrittweise nach Köln umziehen.
Die Neuigkeiten, die die Führung von RTL Deutschland am Dienstagmorgen zuerst in Hamburg, dann später auch den Kolleginnen und Kollegen in Köln präsentiert, senden in vierlerlei Hinsicht gemischte Signale. Bemerkenswert: Die radikale Einheit von RTL Deutschland (einst effektvoll unter dem Projektnamen United geplant) wird wieder aufgebrochen und die Marke Gruner+Jahr darf weiterleben. Man "passe den Integrationsansatz an", wie es in der Präsentation heißt.
Doch G+J wird massiv geschrumpft auf ein Minimum an Marken, vornehmlich aus dem Segment Frauen, Promi, Wohnen, Deko. Die als wichtige Kernmarken definierten Titel wiederum rücken unters Dach von RTL News. Zahlreiche langjährige Titel wiederum werden komplett aufgegeben, 500 Stellen abgebaut. 200 weitere müssen weiter bangen und auf erfolgreiche Verkaufsgespräche hoffen. Es wird in Hamburg noch etwas dauern bis die angekündigten Investitionen von 80 Millionen Euro als positives Signal wahrgenommen werden.