Keine Woche ist es her, dass auf "tagesschau.de" eine Analyse von Michael Stempfle über Boris Pistorius erschien. Der Korrespondent des ARD-Hauptstadtstudios lobte den bisherigen Innennminister Niedersachsens, der inzwischen als Nachfolger von Christine Lambrecht zum Bundesverteidigungsminister ernannt wurde, mit fast schon überschwänglichen Worten. Schon im Anreißer-Text heißt es: "Der Niedersachse ist ein Vollblutpolitiker und was er tut, hat er sich gut überlegt."
Demzufolge dürfte sich Pistorius auch gut überlegt haben, Stempfle nur sechs Tage später als neuen Sprecher des Verteidigungsministeriums zu ernennen. "Ich freue mich, dass wir mit Michael Stempfle einen in Berlin gut vernetzten Medienprofi mit viel Erfahrung für die anspruchsvolle Aufgabe haben gewinnen können", erklärte Pistorius am Montag. Wann genau der bisherige ARD-Journalist seinen Posten antreten wird, steht noch nicht fest. Der Zeitpunkt des Wechsels werde derzeit abgestimmt.
Innerhalb der ARD - aber auch darüber hinaus - löste der schnelle Seitenwechsel nicht nur Begeisterung aus. Auch wenn in der Vergangenheit immer wieder Journalistinnen und Journalisten vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Sprecherinnen und Sprecher in die Politik wechselten - dass Stempfle seinen künftigen Chef nur wenige Tage zuvor auf "tagesschau.de" derart über den Klee lobte, ist mindestens unglücklich und dürfte der ohnehin angekratzten Glaubwürdigkeit der ARD kaum zuträglich sein, schließlich lässt sich der Text rückblickend wie ein Bewerbungsschreiben lesen.
Kritische Worte über den neuen Verteidigungsminister finden sich in Stempfles "Tagesschau"-Analyse jedenfalls nur wenige. Stattdessen attestiert Stempfle dem SPD-Politiker, er sei ein Politiker-Typus, "der anpackt - mit einem sicheren Gespür für Themen und für pragmatische Lösungen", dazu sei er "selbstbewusst, ehrgeizig" und hartnäckig, "wenn es um die Sache geht". Der Erwartungsdruck auf Pistorius sei zwar hoch, findet der Journalist. "Und doch", so schließt Stempfles Kommentar, "dürften alle vorgewarnt sein, denn Pistorius weiß sich einzuarbeiten und sich zu verteidigen."
Für den neuen ARD-Vorsitzenden Kai Gniffke bedeutet die Personalie unterdessen die erste Bewährungsprobe zu Beginn seiner Amtszeit - erst recht, weil Michael Stempfle vom SWR aus Mainz ins Berliner Hauptstadtstudio abgestellt war, also von jenem Sender, dessen Intendant Gniffke ist. Vor allem stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Wechsel eingefädelt wurde.
Update 17:20 Uhr: Beim SWR heißt es am Nachmittag, dass man erst am heutigen Montag von Michael Stempfle über die Beendigung seines Arbeitsvertrages informiert worden sei, zuvor habe man dazu keine Informationen gehabt. Den Artikel auf tagesschau.de werde man nun aus Transparenzgründen nun mit dem Hinweis versehen, dass Stempfle zu diesem Zeiptunkt noch Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio war.
Der künftige Sprecher des Verteidigungsministeriums dankte derweil auf Twitter dem SWR und der ARD für "großartige Jahre" und richtet den Blick bereits nach vorne: "An großen Themen und Aufgaben wird es nicht fehlen", schrieb Stempfle am Montag. Seinen Profiltext hat er schon mal angepasst.