Wenn am 21. März im Filmhaus in Köln die Preisträgerinnen und Preisträger des 59. Grimme-Preises bekannt gebenen werden und diese ihre Auszeichnungen dann genau einen Monat später im Theater der Stadt Marl erhalten, dann werden wieder überwiegend Akteure öffentlich-rechtlicher Produktionen im Mittelpunkt stehen. ARD, ZDF, aber auch 3sat und Arte lagen in der Gunst der Nominierungs-Jurys weit vorn. Abseits öffentlich-rechtlicher Formate tauchen Produktionen von RTL Deutschland drei Mal auf, Seven.One ist einmal dabei - die beiden großen Privatsender-Gruppen bringen es damit zusammen auf so viele Grimme-Nominierungen wie Netflix. Magenta TV kommt noch auf eine Nominierung, Sky geht dagegen komplett leer aus. Der Pay-TV-Anbieter war 2022 etwa noch mit seinen Serien "Die Ibiza Affäre", "Die Wespe", "Ich und die Anderen" und der "Wirecard"-Doku vorgeschlagen.



Insgesamt suchte die erstmals seit der Pandemie wieder in Präsenz tagende Jury 69 Produktionen/Einzelleistungen aus 780 Einreichungen in den unterschiedlichen Kategorien aus. Grimme-Direktorin Frauke Gerlach erklärte, die Nominierungen zeigten, wie viel "herausragendes Programm" es im vergangenen Jahr zu den Themenkomplexen rund um den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, die Energiekrise und die Iran-Proteste gegeben habe. Auch die Dringlichkeit und Relevanz anderer gesellschaftlicher Themen sei bei den Nominierungen nicht außer Acht gelassen worden. So sei deutlich, wie relevant das Thema Vielfalt ist.

Vielfalt im Fokus

Im Unterhaltungsbereich behandeln gleich vier von zehn nominierten Formaten das Feld Diversität. Mit dabei sind der diverse WDR-Talk "Andaz", die deutsche "Queer Eye"-Version von Netflix sowie die inklusiven Dokus "Down the Road" vom SWR und "Zum Schwarzwälder Hirsch" von Vox über Menschen mit Down-Syndrom. Auffallend: Große Studioshows haben es diesmal nicht unter die Nominierten geschafft. Dafür darf Jan Böhmermann, der für sein "ZDF Magazin Royale" vorgeschlagen ist, ebenso auf einen Grimme-Preis hoffen wie das Team hinter "Szene Report" (MDR/ARD Kultur), "Normaloland" vom ZDF, der "Gedankenpalast" vom BR und "Music Impossible - Mein Song. Dein Sound." (ZDF).

Joko und Klaas sind unterdessen für die "nachhaltige Schaffung von Aufmerksamkeit für die Revolution in Iran und die Souveränität anzuerkennen, dass das Medium Fernsehen dabei an seine Grenzen stößt" für einen Spezial-Preis nominiert. Die beiden hatten im Rahmen ihrer 15-Minuten-Aktion bei ProSieben ihre Instagram-Accounts dauerhaft an zwei iranische Frauen übergeben.

Information in öffentlich-rechtlicher Hand

Die mannigfachen Krisen auf der Welt, ein Krieg in Europa mit direkten Auswirkungen auch auf die deutsche Bevölkerung, wenn man an die Inflation denkt, habe Berichte aus anderen Krisenregionen in den Hintergrund gerückt. Nominiert wurden daher gezielt auch Produktionen, die etwa Afghanistan oder Syrien dennoch nicht aus dem Blick verloren haben: "STRG_F bei den Taliban: Warum finden Menschen sie gut?" (NDR/funk) etwa, aber auch rbbs "Mission Kabul-Luftbrücke" oder "The Other Side of the River" (Arte) rund um Syrien im Bürgerkrieg. Mit deutschen Sorgen und Problemen befasste sich etwa "Genderation" (ZDF/3sat) oder "Atomkraft Forever" (SWR/NDR). Die Tatsache, dass überhaupt nur eine privatwirtschaftlich beauftragte Sendung im Informations-Bereich vorgeschlagen ist, verdeutlicht, welchen Stellenwert die Grimme-Jury dem öffentlich-rechtlichen Angebot beimisst. Nicht von dort kommt einzig das von Film Five für Netflix umgesetzte "Gladbeck: Das Geiseldrama".

Netflix hofft auf "1899" und "Kleo"

Auch in der Kategorie Fiktion sind mehrheitlich öffentlich-rechtliche Stoffe vorgeschlagen, etwa die mit ukrainischen Filmschaffenden entstandene ZDF/ZDFneo-Serie "Himmel & Erde" oder Charlotte Links "Safe". Hier tauchen vermehrt aber auch private Anbieter auf, RTL+ etwa doppelt mit Nennungen für "Hübsches Gesicht" (Moovie) und "Ze Network" (Syrreal Entertainment/CBS Studios). Die Firma Zeitsprung Pictures könnte einen Preis für "Kleo" (Netflix) abräumen, Jantje Friese und Baran bo Odar sind für "1899" (ebenfalls Netflix) vorgeschlagen  und auch Deutsche Telekom und Warner TV Comedy hoffen: Gewinnt "Oh Hell" den begehrten Preis? Die Menschen, so sagt es Gerlach, würden sich bei den vielen Krisen "auch nach Abwechslung, Unterhaltung und Ablenkung vom Alltag sehnen".

Im Kinderbereich führt indes kaum Weg am öffentlich-rechtlichen Kika vorbei, viele der Nominierungen sind unter anderem dort gelaufen. Im Jugendbereich fallen gleich mehrere Produktionen von Funk auf der Nominerungsliste auf; darunter sind Formate wie"Hypeculture", "Sympathisch" oder Coldmirror als "prägende Internetpersönlichkeit mit hochwertigen und innovativen Inhalten" sowie eine "STRG_F"-Ausgabe für ihre differenzierte Auseinandersetzung mit Afghanistan.

Die Nominierten in der Übersicht

Kategorie Fiktion

  • 1899 (Dark Ways für Netflix)
  • Am Ende der Worte (klinkerfilm production für NDR/3sat)
  • Die Bürgermeisterin (Network Movie Film- und Fernsehproduktion für ZDF)
  • Die Wannseekonferenz (Constantin Television für ZDF)
  • Exil (Komplizen Film für WDR/ARTE)
  • Fett und Fett (Staffel 2) (Trimafilm/Network Movie Film- und Fernsehproduktion für ZDF/ZDFneo)
  • Himmel & Erde – Небо та Земля (Studio Zentral für ZDF/ZDFneo)
  • Honecker und der Pastor (Radio Doria Film für ZDF/ARTE)
  • Hübsches Gesicht (MOOVIE für RTL+)
  • Im Feuer - Zwei Schwestern (Pallas Film/Match Factory Productions/View Master Films für ZDF/ZDF – Das kleine Fernsehspiel/ERT/ARTE)
  • Kalt (kineo Filmproduktion für WDR)
  • Kleo (Zeitsprung Pictures für Netflix)
  • Oh Hell (good friends Filmproduction für Magenta TV/Warner TV Comedy)
  • Safe (Claussen + Putz Filmproduktion für ZDF/ZDFneo)
  • Schlaf (Junafilm für ZDF)
  • So laut du kannst (Relevant Film Produktion für ZDF)
  • Ze Network (Syrreal Entertainment/CBS Studios für RTL+)

Spezial:

  • Nina Gummich für die darstellerische Leistung in „Alice“ (Neue Schönhauser Filmproduktion für (rbb/WDR/ARD Degeto/ORF)
  • Manuel Nevosad für das Lichtdesign in „Riesending - Jede Stunde zählt“ (Senator Film für BR/ARD Degeto/SWR)

 

Kategorie Information & Kultur

  • Alles ist Eins. Außer der 0. (Interzone Pictures für NDR)
  • Atomkraft Forever (PIER 53 Filmproduktion für SWR/NDR)
  • Bettina (solo:film für rbb)
  • Chaddr - Unter uns der Fluss (Karbe Film für NDR)
  • Die Story im Ersten: Leben nach Butscha - Trauma und Hoffnung (Wildfilms für WDR)
  • Endlich Tacheles (HANFGARN & UFER Filmproduktion/Schramm Matthes Film für ZDF/3sat/WDR)
  • Geld für Mutter nach Simbabwe (Ma.ja.de Filmproduktion/STEPS für ZDF/ARTE)
  • Genderation (Hyena Films für ZDF/3sat)
  • Gladbeck: Das Geiseldrama (Film Five für Netflix)
  • Habermas – Philosoph und Europäer (Vincent Productions für ZDF/ARTE)
  • Melodie Raum 222 (zischlermann filmproduktion/AP Produktion für ZDF/ZDF – Das kleine Fernsehspiel)
  • Mensch Horst (Unterholz Filmkollektiv für rbb)
  • Mission Kabul-Luftbrücke (DOCDAYS Productions für rbb)
  • Nachspiel (Corso Film/Christoph Hübner Filmproduktion für WDR)
  • Sommerfahrt - Zeit heilt keine Wunden (Südkino Filmproduktion für WDR)
  • Spuren und Wunden der NSU-Morde (Ma.ja.de Filmproduktion für ZDF/ARTE)
  • The Other Side of the River (Doppelplusultra Filmproduktion/Pink Shadow Films/Greenlity OY für ARTE)
  • Unrecht und Widerstand - Romani Rose und die Bürgerrechtsbewegung (strandfilm/Navigator Film für ZDF/3sat)

Spezial: 

  • Jagoda Marinić für die außergewöhnliche Gesprächsführung in "Das Buch meines Lebens" (Westend Film & TV für ZDF/ARTE)
  • Hajo Seppelt und sein Team für das Konzept der Dokumentation „Wie Gott uns schuf. Coming Out in der katholischen Kirche“ und des dazugehörigen Online- Begleitprojekts (EyeOpening Media für rbb/SWR/NDR)

Bes. journalistische Leistungen:

  • Golineh Atai für ihre Berichte aus der arbischen Welt (ZDF)
  • Katrin Eigendorf für ihre Berichte aus der Ukraine (ZDF) 
  • die kontinuierlichen Recherchen der "Kontraste"-Redaktion zu Randthemen des Rechtsradikalismus (rbb)

 

Kategorie Unterhaltung

  • Andaz - Der diverse Talk (GermanDream für WDR)
  • Down the Road - Eine ganz besondere Abenteuerreise (SEO Entertainment/Roses Are Blue für SWR)
  • Gedankenpalast (Turbokultur für BR)
  • Music Impossible - Mein Song. Dein Sound. (DEF Media für ZDF)
  • Normaloland (PSSST! Film für ZDF/ZDF – Das kleine Fernsehspiel)
  • Queer Eye Germany (ITV Studios Germany für Netflix)
  • Szene Report (sendefähig für ARD Kultur)
  • ZDF Magazin Royale (Unterhaltungsfernsehen Ehrenfeld für ZDF)
  • Zum Schwarzwälder Hirsch - Eine außergewöhnliche Küchencrew und Tim Mälzer (Vitamedia Film für VOX)

Spezial:

Joko & Klaas 15 Minuten Live: Aufmerksamkeit für #IranRevolution für die nachhaltige Schaffung von Aufmerksamkeit für die Revolution in Iran – und die Souveränität anzuerkennen, dass das Medium Fernsehen dabei an seine Grenzen stößt. (Florida Entertainment für ProSieben)

Kinder & Jugend

Kinder:

  • Die Abenteuer von Neema und Joshua (FF-movie.tv für SWR)
  • Die Sendung mit dem Elefanten - Warum gibt es unterschiedliche Hautfarben? (WDR/Kika)
  • Sandmann-Rahmen: Recycling-Fahrzeug (ANDERTHALB Medienproduktion für rbb)
  • Schau in meine Welt: #Ukraine - Mein Land im Krieg (BlindCat Documentary für Radio Bremen/rbb/hr/SWR/rbb/MDR/KiKA)
  • TickTack Zeitreise mit Lisa & Lena: DDR und BRD – das geteilte Deutschland (tvision für SWR)

Jugend:

  • Ab 18! – Following Valeria (Chromosom Film für ZDF/3sat)
  • Die Frage: Heute muss ich ihm vor Gericht gegenübertreten| Macht Knast krimineller? #1 (BR/funk)
  • Futur Drei (Jost Hering Filme/Iconoclast Germany/La Mosca Bianca Films)
  • Hypeculture (BANKproduziert (6ANK) für funk)
  • Science for Future (i&u für SWR)
  • Smypathisch (whylder für funk)

Spezial:

  • Lea Drinda für ihre herausragende darstellerische Leistung in Becoming Charlie"(U5 Filmproduktion für ZDF/ZDFneo)
  • Coldmirror als prägende Internet-Persönlichkeit mit hochwertigen und innovativen Inhalten (für hr/funk)
  • Hype für die besondere Form als Rap-Musical-Serie (Pic- ture me Rollin'/eitelsonnenschein für WDR)
  • Friedrich "Fritzi'" Ngceni für Kostüm und Szenenbild für „Mysterium“ (TV60 Filmproduktion für BR)
  • Rudis Rabenteuer für die Präsentation origineller Einzelstücke (studio.tv.film für ZDF/KiKA)
  • STRG_F bei den Taliban: Warum finden Menschen sie gut? für die sehr differenzierte Auseinandersetzung mit Afghanistan (NDR/funk)