Fingerspitzengefühl kann man Thomas Gottschalk nicht unbedingt unterstellen, als er am Sonntagabend live bei RTL mit Sarah Connor telefonierte. Die Sängerin hatte sich gerade dafür entschuldigt, wegen einer Erkältung nicht wie geplant bei "Menschen, Bilder, Emotionen" auftreten zu können, da überraschte der Moderator mit einem bemerkenswerten Spruch - und berichtete davon, was er dem Team nach Connors Absage erzählt habe. Er habe gesagt: "Es war ein Scheiß-Jahr, aber es gibt auch gute Nachrichten: Sarah Connor hat abgesagt."
Offensichtlich bemerkte Gottschalk, dass seine Worte nicht allzu passend waren und schob direkt hinterher: "Die haben sich alle auf dich gefreut, ich mich ja auch, aber man tut ja immer so, als wäre es einem wurscht." Connor blieb während des Telefonats noch gelassen, machte ihrem Ärger allerdings später bei Instagram Luft. "Ok, was war das denn eben?", fragte sie in ihren Stories - und versah das Posting mit drei Hashtags: "Alte weiße Männer", "RTL, ihr habt noch viel zu lernen" und "Muss ich mir nicht gefallen lassen."
Gottschalks Gespräch mit Sarah Connor war an diesem Sonntagabend nicht der einzige Tiefpunkt im Jahr eins nachdem Günther Jauch nach 25 Jahren seinen Abschied vom RTL-Jahresrückblick verkündet hatte. Neben Gottschalk hatten RTL und die Produktionsfirma i&u überraschend den ehemaligen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als Co-Moderator verpflichtet, was insbesondere in den Anfangsminuten einigen Slapstick-Charakter mit sich brachte, weil es das Team offensichtlich für eine gute Idee hielt, Gottschalk und "KT", wie Guttenberg lieber genannt werden wollte, als Stand-up-Duo in die Sendung einzuführen.
"Den Herren kennen Sie seit vielen Jahren", sagte Guttenberg über Gottschalk. "Das ist, wenn Sie so wollen, der Silberrücken der deutschen Fernsehlandschaft. Bei mir ist das ein bisschen anders. Mich kannten sie mal als einen früheren politischen Lackaffen." Mehr als ein gequältes, fast schon mitleidiges Lachen war da kaum zu erwarten - und die ersten Momente wirkten, als habe Produzent Fred Kogel eine zusätzliche Folge seiner leider wenig gelungenen Comedyshow "One Mic Stand" an RTL verkauft. Schon dort erwies es sich nicht gerade als zündende Idee, Politiker und Promis zu Comedians auszubilden.
Viel Raum für schwere Themen
Glücklicherweise war die folgende Arbeitsteilung zwischen Gottschalk und Guttenberg nicht ganz so schlecht wie es der Anfang vermuten ließ. Allerdings auch nicht besonders gut. Viele Gespräche, die das ungleiche Duo mit seinen Gästen führte, wirkten entweder gestelzt oder gehetzt. Und im schlechtesten Fall sogar beides. Dabei gab sich RTL sichtlich Mühe, auch den ernsten Themen dieses Jahres großen Raum zu geben, was die in der Vergangenheit oft so bunte Rückblicksshow über weite Strecken hinweg freilich wenig vergnügenssteuerpflichtig anmuten ließ.
Die Proteste der Frauen im Iran, das Leid der Menschen in der Ukraine, die Sorgen der Deutschen wegen der steigenden Preise, dazu Fragen an Christian Lindner, Sahra Wagenknecht, Vitali Klitschko, Kavita Sharma und Paul Ronzheimer - schwere Kost für eine Primetime-Show mit Shiny Floor. Da wirkte plötzlich selbst der vermeintlich leichtere Teil mit dem Musiker Marius Müller-Westernhagen schnell bedeutungsschwanger und ermüdend. Auch die Spielerinnen der Frauen-Fußball-Nationalmannschaft und Lotto-Millionär Chico, die sich ebenfalls ins Studio begeben hatten, konnten das Ruder am Ende eines Jahres zum Vergessen nicht mehr herumreißen.
Zum Schluss eines langen Abends blieb das Gefühl, dass alle irgendwie erleichtert waren - über das baldige Ende eines Jahres voller schlechter Nachrichten, aber auch darüber, die Live-Show irgendwie über die Bühne gerumpelt zu haben. "Wenn es nach Twitter geht, haben wir es verkackt", fasste Thomas Gottschalk den Abend zusammen, für den es fast schon sinnbildlich war, dass Guttenberg ihm bei der Verabschiedung ins Wort fiel. Ein Grund mehr darauf zu hoffen, dass 2023 ein besseres Jahr werden möge.