Auch wenn Joyn von außen schon immer vor allem als Streaming-Angebot von ProSiebenSat.1 wahrgenommen wurde: Seit der Gründung im Jahr 2017 handelte es sich um ein 50:50-Joint-Venture zwischen ProSiebenSat.1 und Discovery - inzwischen Warner Bros. Discovery. Doch in den letzten Jahren zeigte sich immer mehr, dass die Beteiligung an dem Streaming-Dienst in Deutschland immer weniger zu den Plänen des internationalen Konzerns passte: Mit Discovery+ hat man inzwischen seinen eigenen Streaming-Dienst nach Deutschland gebracht, obendrein steht international auch noch die Zusammenführung mit HBO Max an - die aber aufgrund der Verträge mit Sky hierzulande wohl nicht so schnell kommen dürfte.
Wie sich Joyn hier einfügen sollte, konnten die Warner Bros. Discovery-Führung jedenfalls schon in den letzten Jahren nicht wirklich erklären. Nun folgte der eigentlich längst überfällige Schlussstrich: ProSiebenSat.1 gab am Dienstagmorgen die Komplettübernahme bekannt. Man werde Joyn in das Segment Entertainment von ProSiebenSat.1 überführen und die Streaming-Plattform zu einem "integralen Teil der Wertschöpfungskette" machen. Trotz des Ausstiegs von Warner Bros. Discovery bleiben dessen Inhalte aber weiter im kostenfreien, werbefinanzierten Bereich zur Verfügung. Joyn ist generell als offene Plattform angelegt und beinhaltet schon immer auch Inhalte externer Partner. Wer das Abo-Angebot Joyn Plus+ abgeschlossen hat, erhält für einen Zeitraum von zwölf Monaten nun sogar noch Zugang zu Discovery+ kostenlos dazu.
Wieviel ProSiebenSat.1 für die Übernahme an Warner Bros. Discovery bezahlt, wurde nicht bekannt gegeben. Dafür gibt's ein paar andere finanzielle Details. Obwohl man im vierten Quartal Joyn dann erstmals voll konsolidieren wird, erhöht sich die Umsatzprognose für den Gesamtkonzern nicht, sondern bleibt unverändert bei 4,375 Milliarden Euro mit einer Schwankungsbreite +/- 75 Millionen Euro. Weil man nun die Verluste, die Joyn derzeit schreibt, nicht mehr nur zur Hälfte, sondern ganz auffangen muss, wird das erwartete EBITDA aber um 25 Millionen Euro geringer als bislang prognostiziert ausfallen. Für Effizienzmaßnahmen in den Streaming-Aktivitäten" werden 20 Millionen Euro veranschlagt.
Doch die Komplettübernahme hat auch einen direkten positiven finanziellen Aspekt: Joyn hat bislang Verluste von deutlich über 400 Millionen Euro angehäuft. Diese Verlustvorträge kann ProSiebenSat.1 jetzt mit seinen Gewinnen verrechen und so seine Steuerlast drücken. In den kommenden Jahren erwartet man dadurch einen "ertragsteuerlichen Vorteil aus der Transaktion von deutlich über 100 Millionen Euro", wie es heißt. Bis 2025 will ProSiebenSat.1 Joyn nun aber in die Gewinnzone führen. Im kommenden Jahr sollen die Vorsteuer-Verluste schon auf 40 Millionen Euro begrenzt werden, 2024 auf rund 25 Millionen Euro. Durch die genannten Steuervorteile und Synergien soll es schon 2023 aber gar keine negativen Auswirkungen mehr auf den Netto-Gewinn geben und schon 2024 sogar einen positiven Effekt.
ProSiebenSat.1-Vorstandschef Rainer Beaujean sieht die Übernahme als weiteren Schritt in der digitalen Transformation der Gruppe und erwartet Synergien durch eine deutlich stärkere Verzahnung nicht nur mit den TV-Sendern, sondern auch weiteren Aktivitäten von ProSiebenSat.1. Beaujean: "Unserer Strategie entsprechend erweitern wir unsere Reichweite insbesondere bei jungen Zielgruppen und schaffen neue Möglichkeiten der Monetarisierung. Die vollständige Kontrolle über Joyn gibt uns die dafür notwendige unternehmerische Flexibilität. Künftig setzen wir einen stärkeren Fokus auf die Interaktion mit und zwischen den Nutzer:innen und dem Community Management. Dafür verzahnen wir unsere Streaming-Plattform noch enger mit unserem Influencer Business und unseren Marken aus dem Dating & Video- sowie Commerce & Ventures-Segment. Zum digitalen Ökosystem der Gruppe gehört auch der Single-Sign-On-Registrierservice 7Pass mit seinen über 20 Millionen registrieren Nutzer:innen. Über ihn können wir die Nutzer:innen im Zusammenspiel mit Joyn künftig noch zielgerichteter adressieren."
Wolfang Link, der im ProSiebenSat.1-Vorstand für den Entertainment-Bereich zuständig ist, fügt hinzu: "Wir haben Joyn gemeinsam mit Warner Bros. Discovery zu einem erfolgreichen und relevanten Player auf dem deutschen Streaming-Markt entwickelt und freuen uns, dass ihre Inhalte auch weiterhin auf Joyn zur Verfügung stehen. Mit der kompletten Übernahme machen wir Joyn ab sofort zum wichtigsten Eckpfeiler unseres digitalen Inhalte-Angebots – und haben große Wachstumspläne: Wir bauen unser Angebot um lokale, relevante Live-Inhalte weiter aus, steigern damit sukzessive unsere vermarktbare Gesamtreichweite und eröffnen uns zusätzliche Monetarisierungsmöglichkeiten. Denn wir wollen Joyn zur größten, frei zugänglichen Streaming-Plattform für Premium-Videoinhalte im deutschsprachigen Raum machen." Neben den Formaten der linearen Sender will er bei Joyn das Angebot an Live-Events ausbauen und auf Eigenproduktionen mit "Stars der ganz jungen Zielgruppe" und Realityformate setzen.
Die Strategie, als Aggregator-Plattform auch die Inhalte anderer Anbieter zu zeigen, bleibt dabei unverändert. Neben den Livestreams der klassischen linearen Sender aus dem TV setzt man zunehmen auf sogenannte "FAST"-Kanäle (Free Advertising-Supported Streaming TV) - hier werden ähnlich wie bei einer Playlist kuratierte werbefinanzierte Inhalte linear hintereinander abgespielt. Ab 2023 soll die neue Nachrichtenredaktion von ProSiebenSat.1 "relevanten Content" für Joyn produzieren. Außerdem setzt man auf eine engere Verzahnung mit den Creator-Netzwerken wie Studio71 und Buzzbird und will das Angebot an vermarktbarem Short-Form-Content ausbauen. In Sachen Vermarktung wird Joyn für ProSiebenSat.1 auch bislang schon wichtiger: Im ersten Halbjahr 2022 seien die Werbebuchungen im Vergleich zum Vorjahr schon um 50 Prozent gestiegen. Dass man nun alleine schalten und walten kann, soll das weiter beschleunigen. Künftig könne man auch erstmals Vermarktungsangebote für alle unsere Werbekunden basierend auf linearer und digitaler Reichweite der Formate erstellen, heißt es in der Mitteilung.
Hannes Heyelmann, General Manager von Warner Bros. Discovery Deutschland, kommentiert den Deal so: "Wir freuen uns, dass wir gemeinsam mit ProSiebenSat.1 eine für beide Seiten gute und einvernehmliche Lösung gefunden haben, mit der wir unsere Partnerschaft bei Joyn auf neue Beine stellen. Die Lösung erlaubt es uns, uns bei unseren Plattform-Aktivitäten in Deutschland voll auf unsere globale Marke discovery+ zu konzentrieren, während die Zuschauerinnen und Zuschauer weiterhin von attraktiven Angeboten von Warner Bros. Discovery auf Joyn profitieren und zusätzlich einen zwölfmonatigen Zugang ohne zusätzliche Kosten zu discovery+ erhalten."