Noch stehen in der medialen Betrachtung der RBB-Affäre vor allem die Verfehlungen der abberufenen Intendantin Patricia Schlesinger im Vordergrund. Doch mit jeder weiteren Enthüllung durch "Business Insider" und das RBB-eigene Rechercheteam gerät zunehmend auch die amtierende Geschäftsleitung des Senders um den geschäftsführenden Intendanten Hagen Brandstäter ins Visier. Die ebenso hilflos wie ungeschickt wirkenden Auftritte der vergangenen Tage machten überdeutlich, dass die fünfköpfige Spitze weder das Krisenmanagement im Griff hat noch in der Lage ist, Ruhe in den eigenen Betrieb zu bringen.

Nach dem am Samstagmorgen erfolgten Rücktritt der RBB-Rundfunkratsvorsitzenden Friederike von Kirchbach (DWDL.de berichtete) geht der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow nun in neuer Schärfe auf Distanz zu Brandstäter & Co. In einem Statement, das dem Medienmagazin DWDL.de vorliegt, schreibt Buhrow: "Friederike von Kirchbach setzt damit das Signal für einen tiefgreifenden Neuanfang beim RBB. Dieser wird auch die amtierende Geschäftsführung des Senders betreffen müssen. Ich muss leider sagen: Wir, die Intendantinnen und Intendanten der ARD, haben kein Vertrauen mehr, dass der geschäftsführenden Leitung des Senders die Aufarbeitung der diversen Vorfälle zügig genug gelingt. Nach wie vor erfahren wir immer neue Vorwürfe ausschließlich aus der Presse. Es ist fraglich, dass der RBB mit dieser Aufstellung stabilisiert werden kann. Das ist aber im elementaren Interesse der ARD, der leidgeprüften Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und auch der Menschen im RBB-Sendegebiet."

Der Vertrauensentzug – ein historisch einmaliger Vorgang innerhalb des öffentlich-rechtlichen Senderverbunds – wurde am späten Freitagabend in einer Schalte der Intendantinnen und Intendanten besprochen, als diese zum ersten Mal seit Beginn der RBB-Affäre ohne einen RBB-Vertreter tagten. In nahezu täglichen Krisenschalten hatten Brandstäter & Co. zuvor dem Vernehmen nach versichert, nun Herr der Lage zu sein. Teils wenige Stunden später erfuhren die Kollegen aus den anderen Anstalten dann von neuen Skandal-Enthüllungen. Und nicht nur das: Aus den Veröffentlichungszeitpunkten ließ sich simpel zurückrechnen, dass die jeweiligen Fragenkataloge von den recherchierenden Journalisten den RBB-Granden bereits vorgelegen haben müssen, als diese der ARD-Runde versicherten, man wisse nichts von weiteren Vorwürfen.

 

"Die Runde der ARD-Intendanten ist der Meinung, dass es sicher Beratungspunkte geben wird, bei denen wir uns vorerst eher zu acht als zu neunt austauschen müssen"
Tom Buhrow, ARD-Vorsitzender

 

Gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de spricht Buhrow von einer gemeinsamen Sorge aller ARD-Intendanten, dass "mit jeder neuen Zuspitzung beim RBB auch die gesamte ARD in Mitleidenschaft gezogen" werde. "Unsere Häuser sind rechtlich und organisatorisch komplett autonom und wir haben stabile Strukturen. Aber wir erleben ja gerade tagtäglich, wie die Vergehen einzelner Personen die Stabilität und das Ansehen eines Senders und der ARD beschädigen können."

Zwar hat das Statement zum Vertrauensentzug keine formaljuristischen Konsequenzen, dennoch dürfte der ohnehin große Druck auf die Aufsichtsgremien des RBB dadurch wachsen, möglichst bald eine professionelle Übergangsgeschäftsführung mit der nötigen Sanierungskraft zu bestellen. Bis dahin wird der RBB weiter auf Distanz gehalten: Die Runde der ARD-Intendanten ist laut Buhrow "der Meinung, dass es sicher Beratungspunkte geben wird, bei denen wir uns vorerst eher zu acht als zu neunt austauschen müssen". Und weiter: "Alle Intendantinnen und Intendanten der ARD haben ein elementares Interesse daran, dass der RBB zur Ruhe kommt und dass dort ein tiefgreifender Neuanfang geschieht. Wir sind nicht die Aufsicht des RBB und können insofern keinen Druck ausüben, aber wir wollen helfen. Wir sind im Kreis der Intendanten der Überzeugung, dass es unter der jetzt amtierenden Führung des RBB immer unruhiger und instabiler wird, und zwar sowohl in der Zusammenarbeit mit der ARD-Familie als auch innerhalb des Senders. Das kann uns ARD-Intendanten nicht kalt lassen."

Die RBB-Direktoren – neben Brandstäter sind das derzeit die geschäftsführende Verwaltungsdirektorin Sylvie Deléglise, die juristische Direktorin Susann Lange, Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus sowie Produktions- und Betriebsdirektor Christoph Augenstein – sind allein schon dadurch beschädigt, dass sie persönlich von dem ARD-weit einmaligen System der Bonuszahlungen profitiert haben. Im Kreis der übrigen ARD-Intendanten soll das Wort "Hofschranzen-Boni" die Runde machen. Selbst ARD-intern hatte der RBB nicht die vollständigen Spitzengehälter seiner Intendantin und Direktoren angegeben. Hinzu kommen individuelle Fragezeichen, etwa die Rolle von Lange und Deléglise bei der überteuerten Vorruhestandsregelung für den früheren RBB-Media-Geschäftsführer (DWDL.de berichtete) oder ob Brandstäter als Verwaltungsdirektor bestimmte Aspekte von Schlesingers mutmaßlicher Untreue und Vorteilsnahme zulasten des RBB hätte bemerken und stoppen können.

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