Von Aufbruch war die Rede, als Christian Friedrichs im Mai 2020 Geschäftsführer der Hamburger Produktionsfirma Aspekt Telefilm (ATF) wurde. Laut Pressemitteilung der ATF-Mutter Spiegel TV sah der neue Chef, ein erfahrener Fiction-Produzent mit internationalem Netzwerk, damals "großes Potenzial" und wollte die "Traditionsmarke ausbauen". Anderthalb Jahre später war es dem Gesellschafter keine Mitteilung wert, als Friedrichs zum 31. Dezember 2021 aus der ATF-Geschäftsführung ausschied. Seit Jahresbeginn ist er an anderer Stelle tätig – als Produzent im Hamburger Büro der ndF.
Der operative Betrieb der ATF läuft seither auf Sparflamme, die beiden Spiegel-TV-Geschäftsführer Kay Siering und Michael Rathje führen die Tochter nebenbei. Wer im Zusammenhang mit laufenden Produktionen Kontakt zur ATF sucht, wird an eine neu gegründete GmbH namens All About Fiction verwiesen. Deren Gegenstand ist laut Handelsregister der "Erwerb von Rechten an fiktionalen Fernseh- und Filmproduktionen von der Aspekt Telefilm-Produktion GmbH sowie die Verwaltung und die Verwertung dieser Rechte einschließlich der Ko-Produktion von Filmen auf Basis von solchen Rechten". So umschreibt man Resteverwertung im Amtsdeutsch. Geschäftsführer und 51-Prozent-Gesellschafter dieser Auffangfirma ist – neben seinem neuen Hauptjob – Christian Friedrichs. Spiegel TV hält die restlichen 49 Prozent.
Wird die ATF also bald abgewickelt? Nein, sagt Anja zum Hingst, Sprecherin des Spiegel-Verlags, auf DWDL.de-Anfrage. Die ATF solle "auf Sicht" weiter bestehen bleiben, "allerdings künftig keine neuen Filmprojekte mehr akquirieren". Und weiter: "Gemeinsam mit Christian Friedrichs möchte die ATF als Gesellschafterin der All About Ficition die bestehenden Filmprojekte mit hoher Qualität realisieren. Das kann entweder über eigene Produktionen oder über Kooperationen mit anderen Produktionshäusern erfolgen. Dafür wird Christian Friedrichs seine langjährige Marktkenntnis und Kontakte nutzen. Die All About Ficition soll die Kontuinität in der Zusammenarbeit mit Kreativen und Senderpartnern bei den Entwicklungsprojekten garantieren, so dass die Projekte bestmöglich erfolgreich weitergeführt werden können. Dies ist Spiegel TV und ATF wichtig."
Ohne die Entwicklung neuer Projekte mag die ATF zwar noch einige Jahre weiter existieren, jedoch ist damit das Ende eines Traditionsunternehmens absehbar, das eng mit der Hamburger Produzentendynastie Trebitsch verbunden war. Markus Trebitsch, Sohn des legendären Studio-Hamburg-Gründers Gyula Trebitsch, hatte sich 1974 mit der ATF selbstständig gemacht. In den 80er und 90er Jahren entstanden populäre Serien und Reihen wie "Evelyn Hamanns Geschichten aus dem Leben", "Zwei Münchner in Hamburg" mit Uschi Glas und Elmar Wepper, "Heimatgeschichten" mit Inge Meysel oder "Schulz und Schulz" mit Götz George. 1998 stieg Spiegel TV bei der ATF ein und übernahm bis 2008 Trebitschs restliche Anteile.
Die größten anhaltenden Erfolge der vergangenen zehn Jahre waren die beiden Krimireihen "Spreewaldkrimi" fürs ZDF sowie "Nord bei Nordwest" für ARD Degeto und NDR. Beide wechselten 2020 bzw. 2021 mitsamt ihren Produzenten zu anderen Produktionsfirmen: "Spreewaldkrimi" mit Wolfgang Esser zur ZDF-Enterprises-Tochter Network Movie, "Nord bei Nordwest" mit Claudia Schröder zur Neugründung Triple Pictures. In beiden Fällen hingen die Formate an den freien Produzenten, die sie einst entwickelt und dann jahrelang unter dem Dach der ATF umgesetzt hatten. Schon vor diesen schwerwiegenden Verlusten hatte die Spiegel-Gruppe in ihrem Konzernabschluss für 2020 einen zehnprozentigen Umsatzrückgang im Segment Film und Fernsehen verzeichnet und als Grund dafür "insbesondere Einbußen bei den Auftragsproduktionen im fiktionalen Bereich der Aspekt Telefilm" genannt.
Dem Vernehmen nach hatte Friedrichs ein mehrjähriges Geschäftskonzept zur Revitalisierung der Firma mit nationalen und internationalen Serien- und Filmprojekten vorgelegt. Doch spätestens nach dem Abgang von Spiegel-TV-Co-Geschäftsführer Goetz Hoefer im August 2021, dem der Finanzchef des Spiegel-Verlags, Michael Rathje, nachfolgte, war die Bereitschaft zu weiteren Investitionen offenbar erloschen. Die Entscheidung basiere "auf den Erfahrungen eines langen Zeitraums", so Verlagssprecherin zum Hingst gegenüber DWDL.de. "Das in der ATF etablierte Modell der Zusammenarbeit mit freien Produzenten war leider nicht mehr zeitgemäß. Das war der Grund für die Umstrukturierung. Denn unsere Erwartungen an die ATF als strategischem und wirtschaftlichem Baustein für Spiegel TV wurden in den letzten etwa fünf Jahren leider nicht erfüllt. Die Vorgänge zu 'Nord bei Nordwest' haben uns in dieser Beurteilung bestätigt."