Es ist eine Mammutaufgabe, die sicher nicht immer vergnügungssteuerpflichtig ist: Den Wunsch von Bertelsmann umzusetzen, die deutschen Medientöchter zu vereinen auch um drohende Verluste im Verlagsgeschäft zu kaschieren, ist auf vielerlei Ebenen eine beispiellose Herausforderung für die beiden Co-CEOs Stephan Schäfer und Matthias Dang. Ein Verlag, der viel auf seine Historie hält, und die laute Sendergruppe - da stoßen überspitzt dargestellt Welten aufeinander, die vereint werden wollen.

Mit der vollzogenen Fusion entsteht ein Entertainmentunternehmen - wie man sich selbst nennt - mit 7.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in Mediengattungen agieren, die bislang vielleicht punktuell kooperierten, aber nicht gemeinschaftlich organisiert waren. Mit entsprechender Spannung wurde in Hamburg wie Köln - aber auch darüber hinaus - die personelle Aufstellung und strukturelle Aufteilung der Aufgaben im vereinten RTL Deutschland erwartet. Seit diesem Mittwoch liegt sie vor.

Und wer hinter das Aufmacherfoto der neuen Führungsriege blickt, entdeckt schon den lautetesten Kritikpunkt, der binnen Stunden gleichermaßen in Hamburg wie Köln artikuliert wurde: Beim Fotoshootings des neuen Führungsteams für Social Media und Presse wurden fünf Kollegen und vier Kolleginnen ausgewählt. Die Macht der Bilder vermittelt ein ausgewogenes Bild. Die Geschäftsführung von RTL Deutschland und das jetzt darunter sortierte Führungsteam besteht nach dem angekündigten Abgang von Julia Reuter allerdings aus 18 Männern und nur vier Frauen, keine davon in der Geschäftsführung.

Frauen bleiben die Ausnahme

Julia Reuter © RTL Deutschland / Marina Rosa Weigl Von Reichart geholt und jetzt weg: Julia Reuter
Nun ist eine Fusion zweier Medienhäuser schon eine große Herausforderung: Aus zwei Führungen muss eine werden. Wenn beide Häuser schon nicht divers aufgestellt waren und möglichst viele vertraute Namen und Gesichter unterzubringen sind, besteht noch weniger Spielraum für externe Neuzugänge. Umso bedauerlicher ist deshalb aus Sicht vieler der selbstgewählte Abgang von Stratgie- und Personalchefin Julia Reuter. Sie wurde geholt von Bernd Reichart und hätte in der neuen Aufstellung wenig vertraute Anknüpfungspunkte gehabt.

Ohne Reuter in der Geschäftsführung bleibt RTL Deutschland eine Bertelsmann Boyband, in der eine Ebene darunter im Führungsteam Karin Immenroth (Data), Christina Dohmann (Endkundenvertrieb), Eva Messerschmidt (RTL+) und Mirjam Trunk (Crossmedia) die Ausnahme bilden. Doch Verlierer der Rochade ist nicht nur die Diversität: Der bisherige Unternehmenssprecher Christian Körner hat im Wettbewerb mit Frank Thomsen, dem bisherigen Sprecher von Gruner+Jahr, den Kürzeren gezogen. 

Ob Körner im Unternehmen verbleibt oder ausscheidet - dazu gab es am Mittwoch auf Nachfrage von DWDL.de zunächst noch keine Antwort. Des einen Leid, des anderen Freud: Frank Thomsen ist einer der Gewinner der Rochade, wobei er mit dem Medium Fernsehen eine große Hürde vor sich hat. Wer Stellvertreter oder eben Stellvertreterin wird, um TV-Expertise in die Unternehmenskommunikation einzubringen, bleibt abzuwarten. Gerade auch durch die zwei Standorte Hamburg und Köln ist eine Aufgabenteilung zu erwarten.

Henning Tewes steigt auf

Henning Tewes © MG RTL D / Marina Rosa Weigl Verantwortet fast alle Sender: Henning Tewes
Zu den großen Gewinnern mit mehr Verantwortung und Gestaltungsspielraum gehört zweifelsohne Henning Tewes, der künftig die Verantwortung für alle Sender (außer ntv) trägt, weiterhin die Programminhalte von RTL+ und darüber hinaus auch die Produktionstochter RTL Studios verantwortet. Seine neue Rolle als zentraler Kopf für TV & Entertainment wirft allerdings auch die Frage auf, ob Vox-Chef Sascha Schwingel sich auf Dauer damit arrangieren wird, dass der bisherige Kollege jetzt sein Chef ist.

Ebenso perspektivisch ein Stück weit im Abseits steht möglicherweise der gemeinhin geschätzte Oliver Schablitzki, der in der früheren Mediengruppe RTL Deutschland schon zahlreiche Aufgaben übernahm, auch zuletzt weitere Verantwortungen übertragen bekam. Doch scheinbar waren diese nicht groß genug, um mit ihnen nachhaltig glänzen zu können. Er ist Executive Vice President Multichannel und berichtet - wie jetzt auch Kollege Schwingel - an Henning Tewes. Natürlich ist das per se kein Problem, ob das aber in der Konstellation dauerhaft attraktiv bleibt, ist eine offene Frage, die sich am heutigen Mittwoch einige in Köln-Deutz gestellt haben.

Ein Aufsteiger in der großen Personalrochade ist auch Oliver Radtke, bisher Chief Operating Officer bei Gruner+Jahr und Vertrauter von Co-CEO Stephan Schäfer. Dass die neue Geschäftsführung von RTL Deutschland dank ihm aus zwei Kollegen von RTL und zwei von Gruner+Jahr besteht, erscheint auf den ersten Blick vielleicht naheliegend, aber war angesichts des Entwicklung von Gruner+Jahr in den letzten Jahren nicht zwingend zu erwarten. Es ist ein Erfolg und Zugeständnis an die Verlagskolleginnen und -kollegen in Hamburg, sich im neuen RTL Deutschland wiederzufinden.

Erster Journalist kommt nicht von G+J

Stephan Schmitter © MG RTL D / Marina Rosa Weigl Chef aller journalistischen Inhalte: Stephan Schmitter
Denn eine Personalie wird man in Hamburg erst einmal verdauen müssen: Der erste Journalist im neu aufgestellten Hause RTL Deutschland bzw. Chef aller journalistischen Inhalte kommt nicht vom nach eigener Ansicht altehrwürdigen Verlagshaus Gruner+Jahr. Stattdessen ist es Stephan Schmitter, was außerhalb von G+J weit weniger überraschend wirkt angesichts seiner bisherigen Rolle als Geschäftsführer von RTL News. 

Zusammen mit Henning Tewes ist Stephan Schmitter ohne Zweifel der größte Gewinner der neuen Aufstellung. Beide eint ein ähnlich rasanter Aufstieg in Köln. Tewes kam vor weniger als drei Jahren von RTL Croatia an den Rhein. Und Schmitter war bis 2018 zwar schon Geschäftsführer der RTL Radio Center Berlin GmbH, doch die Radioaktivitäten von RTL waren über Jahre nicht einmal vernetzt mit den Aktivitäten der Mediengruppe RTL Deutschland und liefen weitgehend autark parallel. Erst im Frühjahr 2019, vor weniger als drei Jahren, übertrug die RTL Group die Verantwortung für RTL Radio Deutschland an die Mediengruppe RTL Deutschland. Schmitter wurde in diesem Zuge Head of Audio, im September 2020 dann Geschäftsführer von InfoNetwork, das später in RTL News aufging.

Die neue Aufstellung des Führungsteams von RTL Deutschland gab den 7500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Mittwoch erste Antworten und Orientierung. Wie genau weitere Zuständigkeiten auf weiteren Ebenen geregelt werden und wer sich auf Dauer mit den neuen Strukturen anfreunden kann - und wer nicht -, werden die kommenden Wochen und Monate zeigen. Das neue RTL Deutschland ist innerhalb von nur gut drei Jahren zum zweiten Mal nach dem Wechsel von Schäferkordt zu Reichart eine radikale Neuaufstellung. Ein Erbe aus Schäferkordts Zeiten - die auch wenig für Gender Equality getan hat - bleibt allerdings ungelöst: Den vielen Bertelsmännern stehen wenige Frauen in Führungspositionen gegenüber.