"Dieses Experten-Trio schenkt uns Frust zum Fest" schrieb "Bild" am vergangenen Wochenende und war sich auch nicht zu schade, in die Collage der Fotos einer Wissenschaftlerin und zweier Wissenschaftler, die als "Lockdown-Macher" betitelt wurden, noch Geschenk-Pakete zu montieren, die etwa mit "Kino-Verbot für Ungeimpfte" und "Familienfest nach Corona-Regeln" beschriftet waren. Nach der Kampagne gegen Christian Drosten im vergangenen Jahr wird Springers Boulevard-Titel also auch unter dem neuen Chefredakteur Johannes Boie wieder persönlich, wenn es um Kritik an geplanten Maßnahmen geht - selbst wenn die Abgebildeten sie gar nicht zu verantworten haben.
Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen kritisiert diese Art der Berichterstattung nun mit deutlichen Worten: "Dass und auf welche Weise hier einzelne Forscherinnen und Forscher zur Schau gestellt und persönlich für dringend erforderliche, aber unpopuläre Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung verantwortlich gemacht werden, ist diffamierend. Es kann überdies leicht zu einem Meinungsklima beitragen, das an anderer Stelle bereits dazu geführt hat, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sich physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt sahen oder mit ihr bedroht wurden."
Und weiter: "Solche Formen der Auseinandersetzung sind aus Sicht der Allianz in keiner Weise akzeptabel und widersprechen den Grundregeln einer freien und offenen Gesellschaft sowie den Grundprinzipien unserer Demokratie. Gerade in Krisensituationen und einem ohnehin schon emotionalisierten Themenfeld ist Sachlichkeit in Diskussion und Berichterstattung in besonderer Weise geboten und weitaus zielführender. Politik und Gesellschaft werden, nicht nur in pandemischen Krisen, substanziell durch die Erkenntnisse der Wissenschaft unterstützt. Daher müssen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Expertise frei einbringen können."
Am Tag vor Erscheinen des "Bild"-Berichts war vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Gegner der Corona-Politik mit Fackeln aufgezogen, was offenbar einschüchternd wirken sollte. "Bild" hatte den Bericht darüber online am Samstag direkt unterhalb des nun kritisierten Artikels über die vermeintlichen "Lockdown-Macher" veröffentlicht. Nach Erscheinen des Artikels unter der Verantwortung von "Bild"-Chefredakteur Johannes Boie veröffentlichte dieser am Sonntag einen Kommentar, in dem er appellierte, das Land "zusammenzuhalten". Wörtlich hieß es darin unter anderem: "Wer dieses Land regiert, verändert, über das Leben der Menschen bestimmt, muss Kritik aushalten. Gerade auch von Journalisten. Umgekehrt muss Kritik angemessen geübt werden. Das gilt ausdrücklich auch für 'Bild'." Den Artikel über die "Lockdown-Macher" beließ er trotzdem online.