Ein nach der Intervention von Verleger Dirk Ippen gar nicht erschienener Artikel mit neuen Details über "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt war das Gesprächsthema des Tages - und hat am Ende desselben nun tatsächlich Konsequenzen: Die Axel Springer SE hat Reichelt mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben als "Bild"-Chefredakteur entbunden.

Als Begründung heißt es in der Mitteilung: "Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen. Diesen Informationen ist das Unternehmen nachgegangen. Dabei hat der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat."

Im Frühjahr hatte Springer nach Vorwürfen des Machtmissbrauchs schon einmal eine Compliance-Untersuchung eingeleitet. Obwohl man schon damals Fehler Reichelts festgestellt und "Änderungsbedarf bei der Führungskultur" konstatiert hatte, kam er letztlich mit einem blauen Auge davon. Er musste zwar Macht abgeben und bekam "BamS"-Chefredakteurin Alexandra Würzbach als Co-Chefredakteurin zur Seite gestellt, blieb aber weiter der bestimmende Mann an der Spitze.

 

"Wir hätten den mit der Redaktion und dem Verlag eingeschlagenen Weg der kulturellen Erneuerung bei 'Bild' gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetzt. Dies ist nun nicht mehr möglich."
Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner

 

Johannes Boie © Axel Springer Johannes Boie, bislang "WamS"-Chef, wird Vorsitzender der "Bild"-Chefredaktion
Würzbach bleibt nun weiterhin Chefredakteurin der "Bild am Sonntag" und weiter auch für Personal- und Redaktions-Management zuständig, doch den Posten des neuen Vorsitzenden der dreiköpfigen Chefredaktion und Mitglied des "Bild"-Boards übergibt man bei Springer lieber an einen, der zwar aus dem eigenen Konzern kommt, bislang aber die "Welt am Sonntag" führte: Johannes Boie. Bevor er im Jahr 2017 zu Axel Springer kam, hatte Boie bei der "Süddeutschen Zeitung" als Reporter und Redakteur gearbeitet und das Paid-Content-Angebot der Zeitung entwickelt und geleitet. Dritter im Chefredaktions-Bunde ist Claus Strunz, der das Bewegtbildangebot verantwortet.

Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner, der im Rahmen der Untersuchungen ebenfalls in die Kritik geriet, sagt nun: "Julian Reichelt hat 'Bild' journalistisch hervorragend entwickelt und mit 'Bild Live' die Marke zukunftsfähig gemacht. Wir hätten den mit der Redaktion und dem Verlag eingeschlagenen Weg der kulturellen Erneuerung bei 'Bild' gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetzt. Dies ist nun nicht mehr möglich. Mit Johannes Boie haben wir einen erstklassigen Nachfolger. Er hat unter Beweis gestellt, dass er journalistische Exzellenz mit modernem Führungsverhalten verbindet."

Ippen findet mehr heraus als Springer selbst

Aus den Worten lässt sich erneut herauslesen, wie ungern Döpfner Julian Reichelt offenbar ziehen lässt - dass er sich nun aber zum Handeln gezwungen sah, dürfte auch mit der internationalen Dimension zusammenhängen. Während der Bericht in den Ippen-Blättern verhindert worden war, berichtete die "New York Times" über den Fall und die fragwürdige Unternehmens- und Führungskultur beim wichtigsten Medium des Verlages, der gerade eine immer größere Rolle in den USA anstrebt. Auch Döpfner selbst kommt in dem Bericht sehr schlecht weg, bei Springer-Großaktionär KKR dürfte man das alles andere als amüsant gefunden haben.

Dass die Investigativ-Journalistinnen und Journalisten von Ippen offenbar mehr herausgefunden haben als Springer selbst in seinem Compliance-Verfahren im Frühjahr, erklärt der Verlag unter anderem dadurch, dass alle Hinweisgeber damals auf Anonymität bestanden hätten. "Deshalb konnten die konkreten Vorwürfe und Protokolle der durch die Kanzlei Freshfields durchgeführten Befragungen dem Beschuldigten gegenüber nicht offengelegt werden. Julian Reichelt hat sich deshalb kaum gegen konkrete, sondern lediglich gegen abstrahierte Vorwürfe verteidigen können. Auch Axel Springer kannte maßgebliche Befragungsprotokolle auf Bitten von Zeugen nicht. Und diese liegen dem Unternehmen bis zum heutigen Tage nicht vor. Medien wurden diese Dokumente jedoch in Teilen oder vollständig von dritter Seite rechtswidrig zugespielt."

Springer kündigt rechtliche Schritte an

Obwohl Springer selbst Reichelt für nicht mehr tragbar erachtet, sieht sich das Unternehmen selbst und Julian Reichelt aber offenbar in einer Art Opferrolle. Man kündigte nun rechtliche Schritte gegen jene an, die versucht hätten "die Compliance-Untersuchung vom Frühjahr mit rechtswidrigen Mitteln zu beeinflussen und zu instrumentalisieren, offenbar mit dem Ziel, Julian Reichelt aus dem Amt zu entfernen und 'Bild' sowie Axel Springer zu schädigen". Dabei gehe es um die Verwendung und Nutzung vertraulicher Protokolle aus der Befragung von Zeugen, die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen und privater Kommunikation.

Mehr zum Thema