Jubel bei Moovie respektive Constantin Film und RTL Deutschland: Bei der Preisverleihung zum Abschluss der vierten Ausgabe des Serienfestivals Canneseries räumte die Miniserie „Ferdinand von Schirach - Glauben“ gleich doppelt ab - und gewann neben der Auszeichnung fürs Drehbuch auch den Grand Prix Dior. Diese Auszeichnung würdigt laut Festival-Angaben besonders Originalität und Innovation. Beste Serie wurde übrigens die finnische Produktion „Mister 8“. Der Publikumspreis ging an das serbische Format "Awake".
Der doppelte Triumph für „Glauben“ ist die finale Krönung einer sehr erfolgreichen Messe für RTL+, wie der Streamingdienst TVNow ab 4. November heißen wird. Ein überaus kluger Schachzug, die ansonsten themenarme Messe für den großen PR-Aufschlag zu nutzen und neben „Glauben“ auch „Sisi“ von Storyhouse Productions in Cannes als Premiere zu zeigen, um RTL+ als Absender von Festival-Serien in den Köpfen zu verankern. Dass dann noch die Jury des Serienfestivals die Kirsche auf die Torte setzt, dürfte RTL Deutschland schmecken.
Kein Wunder, dass Hauke Bartel als Verantwortlicher für die Fiction bei RTL Deutschland, in Cannes strahlte - auch schon beim Gespräch auf dem Pink Carpet vor der Weltpremiere von „Sisi“, wozu auch die Hauptdarstellerinnen und -darsteller nach Cannes gereist waren. Einzig das von allen Beteiligten gerne genutzte Narrativ, hier traue sich RTL Deutschland Produktionen, die man so sonst nicht von RTL erwartet hätte, lässt aufhorchen: Ähnlich beurteilt wurde vor sechs Jahren „Deutschland 83“, inklusive internationaler Vorschusslorbeeren.
Aber gab es in Cannes nicht viel mehr als zwei Serien von RTL+, die Schlagzeilen machten? Nein, nicht wirklich. Klar, es gab die große Freude all derjenigen, die sich über das persönliche Wiedersehen nach der Pandemie-Pause freuten. Mag auch insgesamt weniger los gewesen sein, so war der abendliche Spaziergang durch Cannes dennoch ein großes Wiedersehen mit vielen bekannten Gesichtern. Inhaltlich jedoch gab es wenig Impulse und sogar eine eher irritierende Entwicklung.
Die Präsentationen des Marktforschungsunternehmen The Wit, wie immer moderiert von Geschäftsführerin Virginia Mouseler, werden von vielen Besucherinnen und Besucher seit Jahren als Indikator für Formattrends der Messe genommen. In vielen Berichten über Cannes wird ihr Urteil allerdings missgedeutet als umfassendes Fazit dessen, was es auf der Messe zu sehen gibt. Eine oft nicht unproblematische Vereinfachung.
Als ein Indikator von vielen aber helfen die „Fresh TV“-Präsentationen: Während im Genre Gameshow gerade Flaute herrscht, ist Dating weiter heiß im Kurs und das in Form von Reality-Shows sowie TV-Experimenten. Verblüffend und irritierend insofern als dass im Formatgeschäft zuletzt Sendungen wie „The Masked Singer“, „I can see your voice“ oder auch „LOL“ eher auf breite Familienunterhaltung als spitze schräge Nische gingen. Die Pandemie habe wieder zusammengebracht und das Lagerfeuer befeuert, wurde gemeinhin geurteilt.
Doch in den Formatideen, die auch über The Wit hinaus auf der MIPCOM angeboten wurden, spiegelte sich diese große Umarmung, die klassische Familienunterhaltung, wenig. Stattdessen Gimmicks: Entweder technische Spielereien oder Modethemen wie Tiny Houses. Zusätzlich zu den seit Jahren etablierten Präsentationen von The Wit präsentierte auch das Marktforschungsunternehmen Glance am Montagvormittag Formattrends aus aller Welt - und fuhr der lange unbestrittenen Hausherrin Virginia Mouseler in die Parade, etwa mit einem Fokus auf dem tatsächlichen Trend der Doku-Serien.
Die Analyse von Glance zeigt: Nicht nur explodiert die Anzahl der Produktionen in diesem Genre, es öffnet sich auch thematisch. Waren vor wenigen Jahren die international erfolgeichen Dokuserien noch fast auschließlich der Natur oder Geschichte gewidmet und kamen von BBC Studios, ist die Bandbreite inzwischen größer, viel politischer und gesellschaftspolitischer. Durch „The Crown“ spielen aber auch Royals eine Rolle im Dokuserien-Bereich, ebenso wie Sport - aus dem Corona-bedingten Mangel an Sportevents heraus. Und auch True Crime bleibt ein Thema.
Aus Branchensicht fiel mitten in die Messetage in Cannes die Ankündigung des Wechsels von Maarten Meijs zu John de Mols Talpa. Er war bisher President ITV Studios Global Entertainment, wird jetzt CEO beim neuen Talpa. Mit de Mol arbeitete Meijs schon zuvor - als COO von Talpa Media. Das war dann auch schon die größte Aufregung. Es war eben eine ruhige Messe von deutlich reduzierter Größe mit wenig Zwingendem. Natürlich gab es Keynotes, auch erneut einen Diversify TV Excellence Award (prominentester Gewinner war hier die britische Serie 'It's a sin").
Aber neben dem, was die Veranstalter zu stemmen versuchten, war es leiser als sonst in Cannes, die Trends und Formate weniger sichtbar. Kaum Leuchtreklame an der Croisette, weit weniger Plakatwerbung, fast keine Pavillons rund um das Palais und keine tägliche MIPCOM-Zeitschrift. Distributoren wie Global Agency, die sonst nach dem Motto „Erfolg durch Penetranz“ wo immer möglich für sich werben, fehlten. Beta Film aus Deutschland gehörte zu den wenigen Marktteilnehmern, die sich bei dieser ungewöhnlichen MIPCOM in unveränderter Größe präsentierten - und das obwohl Grandseigneur Jan Mojto früher erklärtermaßen auf Kriegsfuß stand mit Messeveranstalter Reed Midem. Auch weil sein Beta Brunch-Event außerhalb der Messe stattfindet.
Auch hier ein smarter Move von Beta Film, die Messe zu kapern und in Kombination mit der „Sisi“-Weltpremiere bei Canneseries die Wahrnehmung zu dominieren. Während andere Events diesmal fehlten, darunter der inoffizielle Treffpunkt der Branche vor dem diesmal geschlossenen Grand Hotel bis zu den zahlreichen abendlichen Events am Strand, wie etwa der German MIP Cocktail, zog Beta Film seinen Empfang am Dienstagmittag durch - und es kamen so viele wie eh und je. Ohnehin war es erstaunlich, wie viele sich Last Minute doch noch für eine Reise nach Cannes entschieden haben.
Selbst einige der großen Hollywoodstudios waren - wenn auch nicht mit eigener Präsenz, so aber personell vor Ort, wie deutsche Einkäufer überrascht berichten. Ein interessantes Signal, auch für die MIPTV und MIPCOM im kommenden Jahr? Denn über die Relevanz des zweimal jährlich stattfindenden Branchentreffens in Cannes wurde schon vor der Pandemie diskutiert und die Rückkehr der Amerikaner oft bezweifelt. Vielleicht ist die personelle Präsenz in den vergangenen Tagen ein kleiner Indikator dafür, dass der persönliche Austausch in diesem Peoples Business dann doch die Begeisterung für Videokonferenzen schlägt. Dass diese MIPCOM im Herbst 2021 auch aufgrund von vielen Reiserestriktionen ruhiger werden würde, war allen klar. Wirklich spannend wird es erst 2022.