Die Entscheidung um die Führung ist gefallen: Nach gut achteinhalb Jahren - und davon zweieinhalb an der Spitze des Unternehmens - verlässt CEO Bernd Reichart laut Informationen des Medienmagazins DWDL.de die Mediengruppe RTL Deutschland und räumt das Feld. In welcher Form er Bertelsmann erhalten bleibt, ist noch unklar. Ersetzt wird in Köln übrigens ein Mann durch zwei Männer: Die Führung des Hauses, welches in den kommenden Monaten die meisten Aktivitäten des Verlagshauses Gruner+Jahr integrieren soll, liegt künftig in den Händen eines neuen Duos.
Gemeinsam mit Stephan Schäfer, dem CEO von Gruner+Jahr und seit 2019 auch Geschäftsführer Inhalte & Marken bei der Mediengruppe RTL Deutschland, wird der langjährige Chefvermarkter und AdAlliance-Chef Matthias Dang das Unternehmen führen. Beide stehen für den schon länger etablierten Austausch in Form von aufgebauten Allianzen der beiden Häuser in Hamburg und Köln, die auf Wunsch von Bertelsmann-CEO Thomas Rabe, jetzt auch organisatorisch zusammenwachsen sollen.
Ein flottes Stück des „Manager Magazins“ vermittelte vor einigen Wochen das Gefühl eines Machtkampfes um die Führung und zeichnete dabei das Bild von einem erbitterten Duell zweier Manager, die sich so gar nicht ausstehen können. Dabei ist der Führungswechsel bei der Mediengruppe RTL Deutschland, die bald unter RTL Deutschland firmieren will, nur oberflächlich so schmissig zu beschreiben. Viel mehr ist es die Geschichte einer plötzlichen Hürde und ergriffenen Gelegenheit in Folge eines Strategiewechsels in Gütersloh.
Am Anfang stand der gemeinsame Neuanfang
Als Bernd Reichart Anfang 2019 die Geschäftsführung der Mediengruppe RTL Deutschland von Anke Schäferkordt übernahm, wurde die Branche Zeuge einer radikalen Transformation des Hauses und das in einem so zügigen Tempo, dass kaum vorstellbar ist, dass davon nichts vorbereitet war, bevor Schäferkordt im November 2018 das Misstrauensvotum von Bertelsmann erhielt. Reicharts Revolution in Köln-Deutz war der neue Führungsstil im Kontrast zu Schäferkordt, also die offenere Kommunikation nach innen aber auch außen gegenüber Partnern im Markt. Teamplay war das Motto der Stunde, die Führungskräfte-WG im 4. OG wurde geschaffen. Harte Einschnitte oder Sanierungen gab es unter Reichart nicht. Ein Freiwilligenprogramm zwar, aber das war es auch.
Schon bei den Screenforce Days im Juni 2019 präsentierte sich der Kölner TV-Konzern wie ausgewechselt - und das sowohl im Außenauftritt wie auch aufs Personal bezogen. Nicht alle Besetzungen sollten sich als dauerhaft erweisen: Etwa Jörg Graf als RTL-Chef oder Tanit Koch als erste Journalistin des Hauses. Neu an Bord geholt war aber auch: Stephan Schäfer, bis dahin Markenchef bei Gruner+Jahr und nun auch Geschäftsführer Inhalte & Marken in Köln. Durch die Ad Alliance und Content Alliance gab es schon Verbindungen beider Häuser. Schäfers neue Aufgabe war daher unternehmenspolitisch verständlich, wenn gleich sie am Standort Köln zunächst irritiert aufgenommen wurde.
Dann kam er, hörte zu und fragte nach. Ein Blick von außen, der sich allen voran im vorgefundenen Markendickicht der RTL Group verfing. So wurde Stephan Schäfer zu einem der Treiber des Projekts „RTL United“, das vom Selbstverständnis des Hauses bis zur Markenarchitektur und Produkten einiges erstmals und vieles neu definieren will. Die Expertise für Markenführung brachte Schäfer schließlich mit und offenbarte mit externem Blick auf den Status Quo einige Baustellen. Reichart hielt sich im Hintergrund, ließ Stephan Schäfer bei RTL United und bei Vermarktungsthemen "WG"-Kollege Matthias Dang den Vortritt.
Erst im Frühjahr spitzte sich die Führungsfrage zu
Kritisch wurde die Führungsfrage und das Verhältnis zwischen beiden dann erst im Februar diesen Jahres: Parallel zur längst angestoßenen Neuaufstellung der Mediengruppe RTL Deutschland durch das Projekt „RTL United“ kam der Wunsch aus Gütersloh, die beiden Medienhäuser von Bertelsmann in Hamburg und Köln jetzt also doch gänzlich zu vereinen. Ein nationaler Champion solle entstehen. Zwei Jahre zuvor wies Bertelsmann-CEO Thomas Rabe genau das, also die Aufgabe der unabhängigen Einheiten, in einem „Spiegel“-Interview noch trotz aller bereits existierenden Allianzen weit von sich.
Beim Bekanntwerden der Fusions-Pläne im Februar benutzte Rabe ein interessantes Narrativ (DWDL.de berichtete), bei dem ihm jedoch nur wenige Branchenbeobachter folgten: Der CEO von Bertelsmann inszenierte sich damals inbesondere in einem via Intranet verbreiteten Interview zu den Gesprächen als beinahe Unbeteiligter dieser Entwicklung, der seine Freude darüber zum Ausdruck brachte, dass es in den beiden Bertelsmann-Töchtern in Köln und Hamburg den eigenständigen Wunsch gebe, zu fusionieren. Nichts daran war natürlich ergebnisoffen.
Und plötzlich war die Hürde da: Die Mediengruppe RTL Deutschland, allen Unkenrufen über das lineare Fernsehen zum Trotz eine lukrative Cashcow für die RTL Group und Bertelsmann, soll mitten im eigenen Transformationsprozess („RTL United“) und der Übernahme von Super RTL, auch noch Gruner+Jahr schlucken. Man braucht kein Insiderwissen um zu verstehen: Die Begeisterung in Köln über die Integration eines Verlages in Zeiten, in denen man an anderer Front non-linear herausgefordert wird, hielt sich in Grenzen und sorgte in der Belegschaft für viele Fragezeichen. Schließlich regierte bislang zwei Jahre Optimismus, das Streaming im Blick und jetzt eine Fusion mit dem Zeitschriftengeschäft, die Einsparungen mit sich bringen wird?
Vorbehalte gibt's auch bei Gruner+Jahr - besonders bei denen, die mit Nostalgie auf die Vergangenheit des Verlags blicken. Für das zuletzt schwächelnde Verlagshaus bzw. seine Marken ergibt sich durch die verordnete Fusion immerhin eine neue Perspektive - inklusive eines Chefs, der sie gestalten will. Hier ist sie, die angesprochene Gelegenheit: Stephan Schäfer kennt durch seine Doppelrolle inzwischen beide Häuser und bringt den Willen - manche sagen den Zwang - zum Gelingen mit. Schäfer hat ein Interesse an der Transformation des Print-Geschäfts, Reichart wiederum hatte in den bisher 14 Jahren für Bertelsmann keine Berührungspunkte mit dem Verlagsgeschäft. Er wird Schäfer zumindest die Gelegenheit, nach der Macht zu greifen, kaum verübeln.
Wie lange wird man mit sich beschäftigt sein?
Die wichtigste Botschaft des neuen Führungs-Duos Stephan Schäfer und Matthias Dang in den kommenden Wochen ist durchaus knifflig: Sie werden für die Einheit der beiden Häuser möglichst Kontinuität vermitteln müssen, gleichzeitig aber ist auch klar: Eine Fusion mit dem Wunsch nach einem effizienteren nationalen Champion wird nicht ohne Einsparungen umgesetzt werden können. Eine lockere Zusammenarbeit auf vielen Ebenen gab es schließlich schon, war aber nicht genug. Und gerade in Köln-Deutz dürfte so mancher auch noch zu knabbern haben an dem Umstand, dass "der Bernd" von Bord geht.
Am Steuer sind jetzt zwei, die ihre jeweiligen Häuser sehr gut kennen: Der gelernte Journalist Schäfer ist seit mehr als zwölf Jahren bei Gruner+Jahr, rückte dort 2013 in die Geschäftsführung auf, zunächst als Chief Product Officer. Und Matthias Dang kennt das Geschäft der Mediengruppe RTL Deutschland wie kein Zweiter: Seit 28 Jahren arbeitet er dort, ist seit 18 Jahren in der Geschäftsführung der Vermarktungstochter - einst IP Deutschland, heute Ad Alliance. In den vergangenen Monaten verhielt er sich für einige Beobachter in Köln-Deutz schon vorausschauend neutral, auch weil über die Ad Alliance schon mehr Zusammenarbeit mit Gruner+Jahr bestand.
Eine Doppelspitze für RTL Deutschland sah DWDL.de vor wenigen Wochen bereits als Option für das neue große Medienhaus mit den beiden Hauptstandorten Köln und Hamburg. Dass es nicht Bernd Reichart und Stephan Schäfer werden konnten, lag an der Dopplung der Expertise: Beide sind in den Inhalten zuhause. Mit Matthias Dang sind die Zuständigkeiten zwischen Finanzen und Inhalten in der neuen Führung klarer verteilt, um die Mammut-Aufgabe zu stemmen: Weite Teile von Gruner+Jahr aufzunehmen und für Bertelsmann den Wunsch nach einem integrierten deutschen Medienhaus zu realisieren.
Entscheidend für den Erfolg in dieser Frage ist, wie lange das neue RTL Deutschland vorrangig mit sich selbst beschäftigt sein wird.