In den vergangenen Jahren sind die Reichweiten im Fernsehens fast überall gesunken. Viele Menschen schauen die Inhalte inzwischen on demand, dabei müssen sie sich nicht an einen Ort oder eine Uhrzeit halten. Einige Sender haben bereits darauf reagiert und verstärkt Sendungen ins Programm genommen, bei denen der Live-Moment zählt - bei denen den Zuschauern also womöglich etwas entgeht, wenn sie erst später schauen. Tele-5-Chef Alberto Horta, Sport1-Finanzchef Matthias Kirschenhofer und Claus Strunz, Programmchef des neuen Senders von "Bild", haben auf der ANGA COM darüber gesprochen, welche Inhalte auch künftig linear funktionieren. Moderiert wurde das Panel von Britta Schewe, Chief Sales & Marketing Officer bei den Rocket Beans.
Für Claus Strunz ist das "Kuratieren in Echtzeit die journalistische Herausforderung" in der aktuellen Zeit. Habe man früher das Programm eines TV-Senders Tage und Wochen im Voraus geplant, gehe es heute um das Hier und Jetzt. Und Strunz ließ sich auch schon einmal ein wenig in Sachen Bild TV in die Karten schauen. Man wolle immer da sein, wenn etwas Spektakuläres passiere. So werde der Sender 24 Stunden am Tag bereit sein, mit Breaking News on Air zu gehen. Hier schränkt der Programmchef aber auch sogleich ein: Man müsse abwägen, wo das Investment in Journalismus in ein potenzielles Millionengrab umschlage. Wenn nachts um 3 Uhr etwas passiere, müsste das schon vergleichbar sein mit dem 11. September 2001, so Strunz.
Was zunächst klingt wie eine Selbstverständlichkeit, ist alles andere als das - und Strunz übt dann auch Kritik an den bestehenden Sendern. "Die Lücke im Journalismus im Fernsehen ist der Journalismus", sagt Strunz und verweist auf die Öffentlich-Rechtlichen. Dort müsste man bei Breaking-News-Lagen oft erst diskutieren, ob und wenn ja wie man auf Sendung gehe. Die privaten Nachrichtensender, von denen Welt ja ebenso wie die "Bild" zu Axel Springer gehört, nennt Strunz nicht, aber natürlich sind die bei dieser Kritik auf mitgemeint. Für "Bild" gehe es auch darum, schnell zu sein. Während andere noch diskutieren, müsste man beim neuen "Bild"-Sender schon zuschauen können. Strunz sieht hier eine "interessante Marktlücke". Möglichen Schlagzeilen einer niedrigen Reichweite des linearen "Bild"-Senders will Strunz schon vor dem Start den Wind aus den Segeln nehmen: Die niedrigen Reichweiten würde es vielleicht geben. "Es wird sich aber anfühlen wie ein großer Sender", so Strunz. Wie auch schon jetzt will die "Bild" alles, was auf dem Sender passiert, auch in der Zeitung und im Netz mit eigenen Artikeln fahren, um so noch mehr Reichweite für die Inhalte zu generieren.
Live ist Sport - aber nicht nur
Einig waren die Diskussionsteilnehmer, dass Sport immer etwas sein wird, das linear gesehen wird. Das sei manchmal auch eine Wette, so Matthias Kirschenhofer. Wenn das deutsche Team bei einem teuer eingekauften Turnier plötzlich früh raus sei, könnte das manchmal bares Geld verbrennen. Bei der Frage, ob es überhaupt ein 24-stündiges Live-Programm brauche, spricht der Sport1-Manager von einer Lok, die es brauche. Diese würde dann auch die restlichen Formate anschieben. Als Beispiel nennt er den "Doppelpass", der immer auch das nachfolgende Programm am Sonntag anschiebt. Grundsätzlich, so Kirschenhofer, sei live der "USP der Linearität". Er verweist dabei nicht nur auf den Sport, sondern auch auf News oder Shows wie "Let’s Dance" bei RTL.
"Am Ende des Tages lebt Linearität von Live-Events und die können in unterschiedlicher Weise stattfinden", sagt Kirschenhofer - und da konnte auch Tele-5-Chef Alberto Horta nur beipflichten. Dort hat man ja kein wirkliches "Live"-Programm. Mit der Marke "SchleFaz" hat man für die Zuschauer aber eine Art Live-Event geschaffen, so Horta. "Das Format lebt davon, dass Oliver Kalkofe und Peter Rütten während der Ausstrahlung im Bereich Social Media sehr aktiv sind." Dadurch würde die Reihe zu einem Erlebnis für die Zuschauer werden. Vor allem das gleichzeitige und gemeinsame Erleben sei wichtig, so Horta.
Der Tele-5-Chef untersicht in der Diskussion dann auch noch einmal, wie wichtig Pünktlichkeit und Verlässlichkeit ist - sowohl für die Zuschauer, als auch für die Werbekunden. Auch die solide Messbarkeit des Fernsehens sei ein wichtiger Eckpfeiler für den Erfolg des Mediums, sagt Horta, der all diese Gründe nennt, weshalb nun wohl auch die "Bild" ins lineare Fernsehgeschäft drängt. Claus Strunz überlegte derweil, wie man das Live-Erlebnis, das es beim Sport gibt, auch auf andere Ereignisse übertragen kann. Als Beispiel nennt er einen Gerichtsprozess. Vorher könnte es eine Einordnung geben, dann live den Prozess (bzw. einen Ticker) und dann die Analyse eines Urteils. Man setze sich sehr mit der Frage auseinander, wie man die Magie von Live-Momenten auf Bereiche außerhalb des Sports ausdehnen könne.
Und bei der Frage, welche Inhalte künftig noch linear funktionieren, durfte der Satz der vergangenen Jahre natürlich nicht fehlen: Das lineare Fernsehen ist nicht tot. Auch da waren sich alle Diskutanten am Mittwoch einig.