Während bei RTL in diesen Wochen eine News-Sondersendung zur besten Sendezeit die andere jagt und Jan Hofer für ein neues tägliches Nachrichten-Format in der Primetime verpflichtet wurde, stößt der geneigte ProSieben-Zuschauer um 20:15 Uhr plötzlich auf ein Live-Interview mit Annalena Baerbock, eine 7-stündige Pflege-Doku oder künftig auch noch auf ein wöchentliches Primetime-Magazin zu aktuellen Themen mit Linda Zervakis und Matthias Opdenhövel. Wer derzeit die Entwicklung bei den Privatsendern beobachtet, dürfte sich schon häufiger verwundert die Augen gerieben haben.
Eine in dieser Hinsicht also eigentlich ungewohnt komfortable Situation für einen Verband, der doch jahrelang eher gegen das Image des "Unterschichtenfernsehens" anzukämpfen hatte. Offiziell gibt sich der im Herbst letzten Jahres neu gewählte Vorstand um die Vorsitzende Annette Kümmel, die im Hauptberuf bei ProSiebenSat.1 den schönen Titel des Chief Sustainability Officers trägt, beim Pressegespräch am Mittwochvormittag vor allem überrascht von der Überraschung der Anderen. Schließlich habe die eigene Branche schon immer "Public-Value"-Inhalte geliefert, sie seien eben nur weniger wahrgenommen worden. Insofern gelte es aus Sicht des Verbandes derzeit eher, ein bislang schiefes Bild zurechtzurücken, wie es an diesem Vormittag mehrfach hieß.
Dieser Rückenwind, den die Privatsender mit den jüngsten Programmentscheidungen in der öffentlichen Wahrnehmung erhalten, kommt VAUNET aber so oder so gerade recht – schließlich könnte er beim wichtigsten Anliegen des Verbands Helfen: Den Forderungen, Maßnahmen zur Sicherung und Stärkung der "wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit" der privaten Medien durchzusetzen. Annette Kümmel rief das Jahr 2021 gar zum "Entscheidungsjahr" hinsichtlich der Zukunft privater Medien und damit auch der Medienvielfalt aus.
Dort drückt ganz kurzfristig gesehen gerade natürlich die Corona-Krise auf die Bilanzen. Die Mitgliedsunternehmen würden in diesem Jahr zum Teil Umsatzrückgänge im zweistelligen Prozent-Bereich erfahren, während zugleich die Fix-Kosten durch einen hohen Personalabteil, aber auch Zusatzkosten etwa durch Sondersendungen zur Pandemie, nicht so leicht zu senken seien. Zugleich sei der Umsatzrückgang aber häufig auch nicht stark genug, um die bisherigen Corona-Fördertöpfe anzapfen zu können.
Habe man 2020 angesichts eines damals starken Jahresstarts den Frühjahrs-Lockdown noch leichter überbrücken können, starte man nun schon schwach ins Jahr, Rücklagen seien dabei teils schon im Vorjahr aufgebraucht worden. Die Probleme seien dabei um so größer, je lokaler, kleiner und unabhängiger die Unternehmen sind, so Kümmel. Angesichts der Lage könne man bei einzelnen Mitgliedern des Verbandes auch Insolvenzen nicht ausschließen. Man fordere daher eine wirksame Kompensation von Corona-bedingten wirtschaftlichen Schäden.
Doch auch abgesehen von diesem kurzfristigen Effekt will man die Politik mit Verweis auf die Bedeutung der privaten Medien, die man im Info-Bereich auch als Gegengewicht zu Desinformationen in sozialen Medien sieht und mit einem Umsatz von zusammen über 13 Milliarden Euro auch als enormen Wirtschaftsfaktor, dazu bewegen, stärker auf die Belange der Branche zu schauen.
So fordert man unter anderem ein "Belastungsmoratorium". Alle Gesetzesvorhaben sollten demnach noch einmal darauf geprüft werden, ob sie zu zusätzlichen Belastungen für die Medienunternehmen führen. Generell sollten nach VAUNET-Vorstellungen auch Gesetze, die auf den ersten Blick gar nicht explizit den Mediensektor betreffen, auf Auswirkungen auf den Mediensektor geprüft werden. Es wird spannend, inwieweit man damit durchdringt – denn so häufig von der Politik auch das Hohelied auf das wertvolle Gut der Medienvielfalt angestimmt wird, so häufig verengen sich die Diskussionen dann auch auf die Zukunftssicherung von ARD und ZDF oder die Verlagshäuser. Dabei ist nicht von der Hand zu weisen, was Marco Maier, FFH-Geschäftsführer und Vorsitzender des Fachbereichs Radio und Audiodienste, sagte: Jeder Politiker, der seinem Lokalsender ein Interview geben will, muss auch dafür sorgen, dass es diesen Sender dann überhaupt noch gibt.