Am Dienstag hatten Joko und Klaas mal wieder in ihrer Sendung "Joko & Klaas gegen ProSieben" gewonnen und sich damit wie gehabt 15 Minuten Live-Sendezeit am darauffolgenden Mittwoch erspielt. Schon im Laufe des Tages erklärte ProSieben, dass man diesmal ausnahmsweise in die Pläne eingeweiht worden sei, da die beiden Entertainer den Sender um Hilfe gebeten hätten. Man wolle die Idee unterstützen, erklärte Senderchef Daniel Rosemann mittags noch nebulös. Inzwischen ist klar, was damit gemeint war. ProSieben hat Joko und Klaas nämlich weit mehr als nur 15 Minuten zur besten Sendezeit zur Verfügung gestellt: Der Sender räumte den ganzen Abend bis in die tiefe Nacht frei.
Nach einem kurzen Intro durch Joko und Klaas zeigte ProSieben am Mittwochabend ab 20.15 Uhr eine stundenlange Doku zum Thema Pflegenotstand in Deutschland. Dass dies ein XXL-Projekt werden würde, war dabei zunächst nicht absehbar. Auf Anfrage wollte man sich in Unterföhring nicht in die Karten schauen lassen, wie lange die Doku laufen wird. Stunde um Stunde erklärte der Sender dann parallel auf Twitter, dass die eigentlich geplanten Sendungen entfallen - "aus Gründen". Stattdessen konnte man bei ProSieben die komplette Schicht einer Krankenpflegerin in Echtzeit begleiten. Es war das Universitätsklinikum Münster, wo Pflegerin Meike im Knochenmarktransplantationszentrum begleitet wurde, das noch während der Doku dann verriet, dass das Werk am Ende knapp sieben Stunden lang sein werde.
Das Ausmaß dieser Sonderprogrammierung und die enormen Sympathie-Bekundung von allen Seiten, selbst der Konkurrenz, für diese XXL-Sonderprogramierung waren noch nicht absehbar als die ursprünglich 15 Minuten lange Sendung um 20.15 Uhr startete. Joko und Klaas blieben vage, was die nächsten Minuten bringen würden. Nur so viel: Es würde die Abläufe im Sender auf den Kopf stellen, weil das folgende Projekt allen Regeln des Fernsehens widerspreche. Mehrmals erwähnten die beiden zu Beginn und im Laufe der Sendung immer wieder in kurzen Splitscreen-Auftritten die Deutsche Telekom und die Versicherungsgruppe Cosmos Direkt, die diese sonst werbefreie Sonderprogrammierung als Sponsoren unterstützen. Ein atemloses Programm ohne Zeit für Pausen - fast so wie die Schicht der begleiteten Pflegerin.
Werbefreie Doku dank zweier Partner
Die gezeigte XXL-Doku begann mit ihrer Erzählung an einem Donnerstag vor wenigen Wochen, um 6 Uhr morgens. Zu sehen ist, wie Pflegerin Meike ihr Auto im Parkhaus abstellt und sich den Weg durch die Krankenhaus-Flure bahnt, um sich für die anstehende Schicht umzuziehen. Dort erfährt man als Zuschauer überhaupt das erste Mal, wen man dort über eine Bodycam gerade begleitet. Die Kamera ist später bei der ersten Teambesprechung ebenso mit dabei wie bei dem gesamten Arbeitstag der Pflegerin. Eine XXL-Doku, die keinem Pause lässt.
Immer wieder kommen dazu in Einspielern Personen zu Wort, die in der Pflege arbeiten, und sprechen über die angespannte Situation ihrer Branche, nicht erst seit Corona. Auch das ist bemerkenswert, denn die Pflegerinnen und Pfleger zeigen nicht nur auf, wo es dringende Probleme gibt und was sie sich von der Politik wünschen, sie sprechen auch darüber, weshalb sie ihren Job lieben. Ohnehin erzählt die Doku über Stunden ein Loblied auf den Beruf am und für Menschen, kämpft damit gekonnt an zwei Fronten: Sie fordert mehr Unterstützung aus der Politik und wirbt für einen erstrebenswerten Beruf, der oft verzerrt dargestellt wird. Das macht diese XXL-Produktion nicht nur aufgrund des Überraschungseffekt sondern auch handwerklich sehenswert: Sie zeigt den realen Berufsalltag in einem ungekannten Umfang.
Auch die Konkurrenz gratuliert
Immer wieder blendet ProSieben im Laufe des langen Abends Tweets von Zuschauerinnen und Zuschauern zum Thema ein, die während der Sendung unter dem Hashtag #nichtselbstverständlich abgesetzt wurden. Und auch die Konkurrenz reagierte öffentlich auf diese Sonderprogrammierung, die Fernsehgeschichte schreibt. RTL gratulierte den Kollegen aus Unterföhring zu der "starken Aktion" und bescheinigte dem Sender ein "beeindruckendes Zeichen für die Pflege". Bei Arte twitterte man von "einem Stück deutscher TV-Geschichte". Und von RTLzwei gab es "Standing Ovations", der Sender twitterte: "Heute seid Ihr definitiv der Reality Sender Nr. 1". Tatsächlich haben ProSieben, Joko und Klaas einmal mehr alle überrascht mit den ursprünglich angekündigten 15 Live-Minuten. Und sie tun es mit jeder Minute mehr, in der die Doku läuft.
Spannend wird sicherlich auch sein, wie viele Zuschauer man mit dieser Aktion erreicht hat. Frühere Ausgaben der 15-minütigen Live-Sendung erreichten viele Zuschauerinnen und Zuschauer. Diesmal aber sind sieben Stunden ein gewagtes Experiment für das ProSieben sein geplantes Programm über den Haufen geworfen hat. Aber die Quoten sind nebensächlich: Schon die vielfältige und positive Resonanz in den sozialen Netzwerken zeigt unmittelbar den Wert dieses Abends. Und Fans der US-Serien, die ProSieben eigentlich für Mittwochabend angekündigt hatte, müssen einfach eine Woche länger auf neue Folgen warten. Mit ihnen hätte ProSieben nicht annähernd so viel Buzz erzeugt wie jetzt mit dieser Doku, die damit einerseits beweist wie relevant lineares Fernsehen auch bei jüngeren Zuschauerinnen und Zuschauern sein kann. Und andererseits zeigt sie auch, wie Privatfernsehen Public Value liefert - beispielsweise mit einem solchen siebenstündigen Schaufenster auf das drängende Thema Pflegenotstand.