Der "Mountain of Entertainment" war in der Nacht zu Donnerstag eine über die Maßen strapazierte Phrase, die sich niemand bei ViacomCBS verkneifen konnte, als es im Rahmen des Investor Day mehr als zwei Stunden lang um den Start des neuen Streamingdienstes Paramount+ mit der bekannten Bergspitze des traditionsreichen Hollywoodstudios im Logo ging, der kommende Woche Donnerstag in den USA und einigen internationalen Märkten mit Schwerpunkt Lateinamerika startet. Wie auch schon die anderen beiden Hollywoodstudios mit eigenem Streamingdienst, Disney und WarnerMedia, stützt man das Versprechen für die Zukunft auf die eigene Hollywood-Historie.
Und wie schon HBO Max bei WarnerMedia, so verkörpert der neue Streamingdienst auch bei ViacomCBS die Hoffnung, den gerade erst in dieser Form geschaffenen Medienriesen mit all seinen Marken, Firmen und Kreativen hinter einem neuen Flaggschiff-Produkt zu vereinen, in dem das bisherige Streamingangebot CBS All Access aufgehen wird. "A new Day, a new beginning. This is not your fathers Viacom and it's not my fathers either", erklärte Chairwoman Shari Redstone, Tochter des im vergangenen Jahr verstorbenen US-Medienmagnat Sumner Redstone, zuletzt Mehrheitsgesellschafter von ViacomCBS.
Doch in vielerlei Hinsicht positioniert sich Paramount+ gänzlich anders als die US-Konkurrenz von HBO Max oder bereits international agierenden Wettbewerbern wie Amazon, Netflix und Disney+ und viel erinnert an die Strategie der Mediengruppe RTL Deutschland bei der Positionierung von TVNow, bald RTL+. Man könnte sagen: Paramount+ ist der Mainstreamer unter den US-Angeboten. Einerseits, weil neben dem berüchtigten "Mountain of Entertainment" auch Live-Sport und Breaking News wichtige Säulen des Angebots sein sollen und man damit mehr Genres bedienen will.
Andererseits, weil Paramount+ je nach Tarif auch auf Werbung setzen will. Zum Start in den USA kostet der Streamingdienst 9,99 Dollar und ist dafür werbefrei, doch ab Juni soll alternativ ein Basis-Tarif für 4,99 Dollar angeboten werden, bei dem Abonnentinnen und Abonnenten auch Werbespots zu sehen bekommen sowie weniger Live-Sport, kein Live-Signal von CBS und einen eingeschränkten Zugriff auf die Entertainment-Library haben. Ohnehin glaubt ViacomCBS an die Mischung werbefinanziertem und Abo-finanziertem Streaming, also AVoD und SVoD: Mit der stetigen Weiterentwicklung der werbefinanzierten Streamingplattform Pluto TV auf der einen und den Premium-Marken Showtime und BET+ auf der anderen Seite, die beide erhalten bleiben.
Wo "Content is king" zuhause ist
Und die Inhalte? "Content is king", auch so eine strapazierte Phrase der Branche, wird übrigens dem verstorbenen Sumner Redstone zugeschrieben. Und klar ist: Die angekündigten Formate, Filme und Serien waren für viele Beobachter die wichtigsten Neuigkeiten der Nacht. Die US-Sitcom "Frasier", die von 1993 bis 2004 lief, erhält eine Neuauflage mit Kelsey "Frasier" Grammer. Eine ursprünglich für Showtime angekündigte Serie zum Videospiele-Universum "Halo" wird stattdessen Anfang 2022 bei Paramount+ starten und "Star Trek" wird in vielfältiger Form, auch in Form einer Serie für Kids, aufbereitet.
Zu den weiteren fiktionalen Highlights, die ViacomCBS in der Nacht ankündigten, gehört mit "The Offer" eine Serie über die Entstehung des Filmklassikers "Der Pate", sowie Serien zu den Filmtiteln "Grease", "Flashdance" und "Love Story", eine Neuauflage von "Criminal Minds" mit einem Fall pro Staffel und einer TrueCrime-Verlängerung der Marke. Die neuen Eigenproduktionen treffen auf ein Archiv von 30.000 Stunden TV-Content, davon 7000 Episoden von Kinderprogrammen und mit 2500 Spielfilmen, davon hunderte von Miramax, das umfangreichste Filmangebot aller Streamingdienste, was künftig durch explizit für Paramount+ produzierte Filme sowie Zweitverwertung von Kinofilmen ergänzt werden soll.
Je nach Titel sollen die möglicherweise auch schon 30 oder 45 Tage nach deren Kinostart zum Streamingdienst wandern, was das übliche Kino-Fenster von 90 Tagen massiv kürzen würde. Zu den im Heimatmarkt schneller via Paramount+ ausgewerteten Filmen gehören etwa die noch in diesem Jahr startenden Filme "A Quiet Place, Part 2" und "Mission: Impossible 7". Aber nicht nur die Film-Vielfalt soll den Dienst abheben, auch im Genre Reality sieht man sich als führend und feiert MTV als Erfinder des Genres mit "The Real World", was 1992 zum ersten Mal über den Sender ging.
Fast 30 Jahre später gibt es bei "The Real World: Homecoming" ein Revival mit dem Cast der allerersten Staffel und jeden Monat soll ein neues Reality-Format folgen, darunter mit "Queen of the Universe" auch eine internationale Drag Queen-Suche. Dazu kommt ein großer Fundus von Staffeln bekannter Reality-Formate wie "RuPauls Drag Race" (auch mit neuem Spinoff exklusiv für den Streamingdienst), "Big Brother", "Amazing Race", "Jersey Shore", "Love Island" und "Survivor". Sendermarken wie MTV oder BET sollen mit eigenen Bereichen bei Paramount+ eine Heimat finden.
Im Bereich Sport und Nachrichten sind neben Live-Programm auch Eigenproduktionen geplant, etwa "Inside the NFL" oder eine Streaming-Schwester für das bekannteste CBS-Magazinformat "60 Minutes" unter dem bahnbrechenden Titel "60 Minutes+". Dokumentationen zu Sport, auch europäischem Fußball sowie zeitnah zu außergewöhnlichen Events wie dem Sturm aufs Capitol in Washington, sollen diese Genres über Live-Sport und Breaking News hinaus stärken. Und nicht nur bei der Präsentation sondern auch im Programm von Paramount+ werden James Cordon und Trevor Noah zu sehen sein. Letzterer macht zusätzlich zur "Daily Show" bei Comedy Central eine neue wöchentliche Show für den Streamingdienst. Noch mehr Quatsch verspricht ein neuer "Beavis & Butt-Head"-Film.
Internationaler Rollout in Etappen - und mit Partnern
Insgesamt sollen über alle Genres, inklusive den Kinderprogrammen, wo u.a. ein neuer "Spongebob"-Film, eine Neuauflage von "iCarly" und neue "Rugrats" entstehen sollen, noch in diesem Jahr 36 neue Originals bei Paramount+ starten. In Deutschland wird davon vorerst nichts ankommen: Neben den USA startet Paramount+ mit einem je nach Land abgewandelten Angebot zunächst in Lateinamerika, Skandinavien und später dieses Jahr in Australien. Dabei setzt ViacomCBS international auf einen Mix aus Angeboten direkt an Konsumenten sowie Deals mit Distributionspartner, die Paramount+ ihren Abonnentinnen und Abonnenten als Mehrwert anbieten.
Eine solche Partnerschaft wäre auch in Deutschland denkbar: Vor Wochen schon war auch kurzzeitig schon mal ein als Paramount+ gekennzeichneter Bereich beim Telekom-Streamingangebot Magenta TV zu entdecken. Ein Fehler, angeblich. Vorerst zumindest sei kein Marktstart in Deutschland geplant, hieß es daraufhin auch auf Nachfrage bei Viacom. Ein gangbarer Weg wär es jedenfalls, der weniger Ressourcen verbrauchen würde als komplett eigenständig zu starten und auf eigene Faust Abos zu generieren, erst recht, da ein mit den USA vergleichbares Live-Programmangebot hierzulande fehlen würde. Der deutsche Mainstreamer, wie sich TVNow respektive RTL+ gerne bezeichnet, braucht sich also nicht sorgen.
Mit dem Mix aus AVoD und SVoD, dem Mix aus Live-Sendern und Archiv, mit einem umfassenderen Angebot durch die zusätzlichen Genres Live-Sport und News sowie dem stärker besetzten Genre Reality neben der bei jedem Streamingdienst ja üblichen Vielzahl angekündigter fiktionaler Projekte, beschreitet Paramount+ in seinem Heimatmarkt einen interessanten Mittelweg. Ob die sogenannten Cordcutter in den USA, die ihren klassischen Kabelanschluss kündigen, jedoch nach einem solchen Hybridmodell suchen werden, bleibt abzuwarten. Eine einheitliche Internationalisierung erschwert es auch.