Den Fortbestand der Koalition zwischen CDU, SPD und Grünen in Sachsen-Anhalt hat CDU-Ministerpräsident Rainer Haseloff erstmal gesichert - womöglich aber auf Kosten eines Bruchs der Verfassung. Weil die Landtagsfraktion seiner eigenen Partei trotz zahlreicher Appelle - auch durch Haseloff - weiterhin darauf beharrte, dem neuen Rundfunkstaatsvertrag nicht zuzustimmen und damit gemeinsam mit den Stimmen der AfD für eine Ablehnung durch den Landtag zu sorgen, blies Haseloff die eigentlich bis zum Jahresende notwendige Abstimmung kurzerhand ab. De facto hat das die gleiche Wirkung wie die Ablehnung: Ohne Zustimmung aller Parlamente kann der neue Staatsvertrag nicht in Kraft treten - und damit auch nicht die darin vorgesehene Erhöhung des Rundfunkbeitrags um monatlich 86 Cent zum 1. Januar 2021.
Die Reaktion der öffentlich-rechtlichen Sender fiel so deutlich wie erwartbar aus: Am Nachmittag kündigten die ARD-Sender, das ZDF sowie das Deutschlandradio an, eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht einzulegen. Sie berufen sich auf die vom Grundgesetz garantiert Rundfunkfreiheit und die ihnen zustehende "bedarfsgerechte Finanzierung" der öffentlich-rechtlichen Sender. Über die Höhe des Rundfunkbeitrags wacht eine unabhängige Kommission KEF, von deren Empfehlung die Politik nur in sehr genau festgelegten Ausnahmefällen abweichen darf, wie das Verfassungsgericht in früheren Urteilen dargelegt hat. Ein solcher Fall wäre, wenn eine "angemessene Belastung" der Rundfunkteilnehmer überschritten würde. Ob das angesichts der ersten Erhöhung seit 2009 um 86 Cent der Fall ist, erscheint doch fraglich.
Der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow teilte am Nachmittag mit: "Ich bedauere das Ergebnis. Der gesamte Prozess zur Anpassung des Rundfunkbeitrags scheitert bundesweit an Sachsen-Anhalt, nachdem der Ministerpräsident die Gesetzesvorlage zurückgenommen hat. Im Verfahren wurde die Beitragsdiskussion mit der Auftragsfrage völlig vermischt, was wir nach der bisherigen Rechtsprechung als unzulässig betrachten. Weder Sachargumente noch die unabhängige Empfehlung der KEF spielten eine Rolle. Eine Verfassungsbeschwerde ist leider unausweichlich. Ohne die ausreichende, unabhängig ermittelte Finanzierung wird das Programmangebot, das in allen Regionen Deutschlands verwurzelt ist, darunter leiden."
ZDF-Intendant Thomas Bellut äußerte sich so: "Mit dem heutigen Tag ist klar, dass es in Sachsen-Anhalt keine Zustimmung mehr geben kann. Damit bleibt leider keine andere Möglichkeit, als das Bundesverfassungsgericht anzurufen. Ich hätte mir eine andere Lösung gewünscht und habe intensiv dafür geworben. Aber der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in diesem Verfahren ganz offenbar zum Spielball der Politik in einem Bundesland geworden. Genau das soll das staatsfern organisierte KEF-Verfahren verhindern, um die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern." Auch vom Deutschlandradio ist zu hören: "Die Rundfunkfreiheit ist in Deutschland ein Grundrecht und damit ein sehr hohes Gut. Das Verfassungsgericht hat in seinen Urteilen über die Jahrzehnte klargemacht, welche Rolle der Staat dabei spielt - und wo er Grenzen überschreitet" - was man jetzt für gegeben ansieht.
Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue: "Die von der KEF empfohlene Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent ist für Deutschlandradio erforderlich, damit wir unseren staatsvertraglich vorgegebenen Programmauftrag in vollem Umfang erfüllen können. Schon jetzt müssen wir einen strikten Sparkurs verfolgen, um mit unseren Angeboten auch in der digitalen Welt sichtbar zu sein. Ein Ausbleiben der Erhöhung würde sich daher unweigerlich auf die Programmgestaltung auswirken. Dies wäre insbesondere für unsere Hörerinnen und Nutzer sehr bedauerlich."
ZDF-Intendant Thomas Bellut, der den jährlich fehlenden Betrag allein fürs ZDF auf 150 Millionen Euro taxierte, wies auch auf die Auswirkungen auf die weitere Unternehmen hin: "Wenn die Beitragsanhebung nicht kommt, wird das auch die mittelständisch geprägte deutsche Produktionswirtschaft und die Kreativen treffen. Das ZDF könnte seine Wirkung als größter Auftraggeber auf diesem Markt nicht mehr wie bisher entfalten. Das träfe die ohnehin von der Pandemie gebeutelte Branche massiv und nachhaltig."
Die Arbeitsgemeinschaft öffentlich-rechtlicher Redakteursausschüsse zeigte sich in einer Stellungnahme "entsetzt". "Das Bundesverfassungsgericht hat die Staatsferne des Rundfunks stets als hohes Gut und Grundlage der Demokratie bezeichnet. Einer Einmischung in Programmangelegenheiten treten wir entschieden entgegen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk lebt von Meinungsvielfalt und Vertrauen. Beides darf nicht gefährdet werden. Gerade in einer Zeit, in der Fake-News und gezielte Falschinformationen die Meinungsbildung beeinflussen, müssen ARD, ZDF und Deutschlandradio gestärkt werden, um die Menschen mit unabhängiger und wahrheitsgetreuer Berichterstattung aus allen Teilen der Bundesrepublik und der Welt zu informieren."
Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes Frank Überall habe die Entscheidung mit "Empörung" zur Kenntnis genommen und teilt mit: "Der Ministerpräsident und die ihn stützende Koalition in Magdeburg mogeln sich aus der medienpolitischen Verantwortung für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Das ist ein politischer Offenbarungseid auf dem Rücken Tausender Journalistinnen und Journalisten in den Sendern."