Im ORF lief gerade "Vienna Blood", da wurde der Titel des Mehrteilers zur bitteren Realität. Eine Terrorattacke erschütterte am Montagabend die österreichische Hauptstadt - und man kann nur erahnen, wie turbulent diese Stunden für die Nachrichtenredaktion des ORF gewesen sein müssen. Doch binnen kurzer Zeit stellte der öffentlich-rechtliche Sender Österreichs eine umfassende Live-Berichterstattung auf die Beine, mit seinem Anchor Armin Wolf im Studio, der trotz der sich überschlagenden Ereignisse nicht nur als Moderator fungierte, sondern auch als Ruhepol; stets bemüht, dem Publikum die unübersichtliche Faktenlage näherzubringen.
"Sie können mir live bei der Arbeit zusehen", sagte Wolf irgendwann - selbst nicht ahnend, was der Abend bringen würde. Zwischen Reporter-Schalten und Interviews blieb Wolf auch dann ruhig, wenn die Technik streikte oder die Telefonverbindung zusammenbrach. Und immer wieder fand der Journalist die Zeit, um die Nachrichtenlage auf Twitter zu checken. Keine leichte Aufgabe, denn dort, aber auch in anderen sozialen Netzwerken, machten schnell Falschmeldungen die Runde, aber auch Handyvideos von Augenzeugen, die Schüsse der Angreifer auf Menschen in der Wiener Innenstadt zeigten.
Der ORF zeigte nur wenige Videos, verwies stattdessen immer wieder auf ein Upload-Portal der Behörden. Anders gingen die Boulevardmedien vor, allen voran der kleine Nachrichtenkanal oe24.TV, der schon in der Vergangenheit immer wieder negativ aufgefallen war, etwa, weil man sich unerlaubt der Bilder des deutschen Newssenders ntv bediente. Die Verbreitung der Augenzeugenvideos markierte einen neuerlichten Tiefpunkt - und einen neuen Rekord zugleich: Alleine am Montagabend seien rund 300 Beschwerden gegen die Berichterstattung von oe24 und die dahinter stehende Mediengruppe Österreich beim Österreichischen Presserat eingegangen.
So viele Beschwerden habe es noch nie über einen Anlassfall gegeben, erklärte der Presserat in der Nacht gegenüber dem "Standard". Bei dem Presserat handelt es sich um ein Selbstkontrollorgan der österreichischen Medienbranche, doch nicht alle Vertreter erkennen dessen Ehrenkodex an. "oe24" und "Österreich" tun dies zwar, hätten Entscheidungen des Presserats über Verletzungen im eigenen Haus jedoch "bisher nicht wahrnehmbar" veröffentlicht - "es sei denn, diese Verletzungen werden bei anderen Medien festgestellt", merkte der "Standard" an.
Wolfgang Fellner, umstrittener Herausgeber von "Österreich" und "oe24" erklärte am Montagmorgen, seine Seite zeige die Videos nach Kritik etwa auf Twitter nicht mehr, und verweist darauf, dass auch internationale Medien diese Videos "dutzend- ja hundertfach" gezeigt hätten, darunter "Bild" in Deutschland. Ethische Einwände hat Fellner offenbar nicht. "Das ist ein Terroranschlag. Ich glaube schon, dass es zum Verständnis des Terroranschlags dazu gehört, wie der Todesschütze agiert hat", wird er vom "Standard" zitiert. Sein Medium habe "in keinem einzigen Fall eine Identität verletzt", die Videos hätten "primär den Schützen" gezeigt, "wie der um sich feuert".
Chefredakteure entschuldigen sich via Twitter
Daneben zeigte auch das Online-Portal der Tageszeitung "Krone" zahlreiche Augenzeugenvideos - etwa eines, das Schüsse eines Attentäters auf eine Person zeigte, deren Identität jedoch unkenntlich gemacht wurde. Clemens Oistric, Chefredakteur des Online-Portals der Gratiszeitung "Heute" entschuldigte sich indes noch in der Nacht, weil man ein Gerücht über eine Geiselnahme in einem Lokal publiziert habe, das sich letztlich als Falschmeldung herausstellte. "Wir wollten warnen - die Info war unbestätigt und hat sich als falsch herausgestellt", erklärte er auf Twitter. "Wir haben sie richtig gestellt und entschuldigen uns dafür."
Auch Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Falter" und gefragter Gesprächspartner am Montagabend, schrieb daraufhin eine Entschuldigung. "Im Stress der Nacht und auch im Schock der Ereignisse vor der Haustüre habe auch ich die Nachricht eines Polizisten an mich verbreitet. Die Quelle war seriös, die Nachricht war zum Glück falsch. Sorry."
Im ORF wurde Moderator Armin Wolf indes am späten Abend durch seinen Kollegen Tarek Leitner ersetzt, nach fast zwei Stunden, in denen quasi im Blindflug durch die Sondersendung der "Zeit im Bild" führte. Und auch wenn sich vieles von dem, was er sagte, im Laufe des Abends wiederholte, so zeigte der ORF sehr eindrucksvoll, wie es gelingen kann, auch in einer unsicheren Breaking-News-Situation eine ansehnliche Live-Schiene zu fahren, die den Voyeurismus nicht bedient.