Nicht das lineare Fernsehen stand am Dienstag im Mittelpunkt des "TV-Gipfels" der ins Digitale verlegten Medientage München, sondern das Streaming. Das zeigte sich schon beim Blick auf die Diskutanten, die eben nicht von klassischen TV-Sendern kamen oder zumindest, wie Florian Hager, darum bemüht sind, ihre Häuser in die non-lineare Zukunft zu führen. Hager, der der seit einigen Monaten die ARD-Mediathek verantwortet, zeigte sich optimistisch, den Rückstand zu Streaming-Schwergewichten verringern zu können. "Wir sind ein bisschen late to the party, was die Zielgruppe angeht, aber durchaus in der Lage, in relativ kurzer Zeit Gas geben zu können", sagte er im Gespräch mit DWDL.de-Chefreporter Torsten Zarges.

In Anspielung auf eine am Wochenende bei DWDL.de erschienene Kolumne räumte Hager ein, im Streaming-Wettbewerb bislang das "Faultier aus Zoomania" zu sein. Doch von diesem Image will der stellvertretende Programmdirektor die ARD gerne befreien. Seine Ansage: "Wundert euch nicht, wir werden da relativ schnell aufholen." Die große Aufgabe sei es, die Kraft, die bislang in linearen Sendeplätzen steckt, in die Nonlinearität zu überführen. Dazu müsse man serieller werden, "auch im Dokumentarischen", so Hager. "Ich glaube, dass wir dafür die richtigen Weichenstellungen treffen. Bei uns dauert es leider immeretwas länger, aber dann kommt es mit Wucht."

Weiter sind ProSiebenSat.1 und Discovery mit ihrer Plattform Joyn, die zu Beginn der Corona-Krise - ebenso wie die Konkurrenz - eine wachsende Nutzung verzeichnete. "Wir hatten ziemlich großes Glück", sagte Joyn-Chefin Katja Hofem mit Blick auf vereinzelte Produktionsstopps. Letztlich sei man "mit einem blauen Auge davongekommen", auch weil man schnell dazu übergangen sei, "innovativ neue Konzepte auf die Beine zu stellen". Als Beispiel nannte Hofem die Realityshow "Coras House of Love", der im Januar "Claudia Oberts House of Love" nachfolgen wird. Generell will Joyn in Zukunft neben fiktionalen Projekten verstärkt auch in Realitys investieren, weil man sich damit ins Gespräch bringe.

Und auch die Schwergewichte Amazon und Netflix schielen längst nicht mehr nur auf Fiction. "Der Programmbedarf an Nicht-Fiktionalem ist gegeben, deswegen werden wir unser Programmangebot ausbauen", kündigte Kai Finke, Director Content Acquisitions & Co-Productions bei Netflix, auf den Medientagen München an. Generell habe Netflix die Anzahl deutscher Originals hochgefahren - von sieben im vorigen auf rund 20 in diesem Jahr. "Dadurch verschiebt sich auch der Anteil nicht-fiktionaler Programme", so Finke. Christoph Schneider, Managing Director DACH Amazon Prime Video, hat mit Dokus ebenfalls gute Erfahrungen gemacht und will darüber hinaus schon bald im Comedy-Bereich mit "Binge reloaded" und "LOL" nachlegen. Dass das zulasten des fiktionalen Portfolios gehen wird, glaubt er jedoch nicht.

Mit Partnerschaften gegen die Streaming-Riesen

Verglichen mit Netflix sieht Schneider das Angebot von Prime Video gut aufgestellt und freute sich über ein "sehr schönes Wachstum" - doch insbesondere bei den jüngeren Nutzern geht aus seiner Sicht noch mehr. "Netflix ist sehr stark bei den Young Adults", sagte Schneider, "da haben wir sicher noch ein bisschen Nachholbedarf." Und auch Netflix-Mann Kai Finke zeigte sich optimistisch, dass das Wachstum weitergehen wird, auch wenn die Zahlen im dritten Quartal einigermaßen enttäuschend ausfielen. "Das erste Halbjahr hat eine Entwicklung vorweggenommen, die wir ansonsten das ganze Jahr gemacht hätten", sagte Finke mit Blick auf Corona. "Wir glauben, dass wir bis zum Jahresende erfolgreich weiterwachsen - und auch darüber hinaus."

Aus Sicht der deutschen Anbieter bleibt indes die Frage, ob sie auf Dauer als Einzelkämpfer gegen die Macht der internationalen Player bestehen können. Zwar betonte Katja Hofem, dass es nicht so sehr darum gehe, auf die Lücke zu den amerikanischen Anbietern zu schauen. In Zukunft müsse man stattdessen mehr in Partnerschaften denken. "Das wird sich in den nächsten Wochen und Monaten intensivieren", sagte die Joyn-Chefin, ohne jedoch ins Detail zu gehen. "Unser Modell war von Anfang an das eines Aggregators." Und so sei Joyn weiterhin "offen für alle möglichen Arten der Koproduktionen". 

Sorgen bereiten Hofem jedoch die derzeitigen Corona-Zahlen, die seit einigen Tagen steil ansteigen. "Die aktuellen Entwicklungen lassen mich nachts manchmal schweißgebadet aufwachen", erklärte sie auf den Medientagen München. "Wenn jetzt nochmal ein Lockdown kommt, der uns das Produzieren nicht mehr möglich macht, müssen wir schon wieder Richtung Plan B denken." Das wäre tatsächlich für alle Marktteilnehmer eine schlechte Nachricht, auch wenn die Programm-Pipeline zumindest aktuell noch gut gefüllt ist.

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