Sat.1 trennt sich vom Reisemagazin "Grenzenlos - Die Welt entdecken" ebenso wie vom nächtlichen Talk "Dinner Party" sowie den "Focus TV"- "Spiegel TV"-Reportagen - also jenen Sendungen, die bislang aufgrund der Drittanbieter-Regelungen zu festgelegten Sendezeiten finanzieren und ausstrahlen musste, ohne irgendeinen Einfluss auf die Inhalte nehmen zu dürfen. Um zu verstehen, warum dieser Zwang nun entfallen ist, muss man schon bis ins Jahr 2012 zurückgehen - und in die Absurditäten der föderalen Medienaufsicht abtauchen.
Nachdem sich die Senderverantwortlichen über viele Jahre hinweg geärgert hatten, dass bei der Auswahl der verpflichtend zu übertragenden Programme von Drittanbietern durch die rheinland-pfälzische Landesmedienanstalt LMK stets die gleichen Anbieter zum Zug kamen, entschied sich Sat.1 damals kurzerhand, die Medienanstalt zu wechseln und die Lizenz bei der MA HSH, also der Behörde von Hamburg und Schleswig-Holstein, zu beantragen, was von der gemeinsamen Kommission ZAK, in der alle Medienanstalten vertreten sind, auch genehmigt wurde.
Das wollten weder die LMK, noch die hessische LPR, die die Aufsicht über das Regionalfensterprogramme in ihren Ländern führte, akzeptieren und beschritten den Rechtsweg. Sie scheiterten erst vor dem Verwaltungsgericht, dann vor dem Oberverwaltungsgericht und ließen sich sich, nachdem man acht Jahre die Justiz und die eigenen Anwälte beschäftigt hatte, vom Bundesverwaltungsgericht bescheinigen, dass die Klagen von Anfang an schon mangels Klagebefugnis gar nicht zulässig waren.
Nach diesem Urteil in letzter Instanz wurde zum 15. August 2020 nun also, mit acht Jahren Verzögerung, der Wechsel der lizenzgebenden Medienanstalt zur MA HSH vollzogen. Damit ist nun auch nicht mehr die Sat.1 SatellitenFernsehen GmbH Programmveranstalterin, sondern die ProSiebenSat.1 TV Deutschland GmbH - für die man 2012 die Lizenz bei der MA HSH beantragt hatte. Da Sat.1 die alte Lizenz zurückgegeben hat, ist auch die damit verbundene Vergabe der Drittanbieterlizenzen "gegenstandslos", wie die LMK einräumte. Da bislang aber noch die schriftliche Urteilsbegründung des Gerichts fehlte, strahlte Sat.1 bis auf Weiteres die Drittanbieter-Programme weiterhin aus. Nun liegt sie vor - und erlaubt offensichtlich, sich von diesen Formaten zu trennen.
Sat.1 könnte sie zwar auch weiterhin aus freien Stücken weiterproduzieren, ein Blick auf die Quoten zeigt aber schnell, warum der Sender daran kein Interesse hat: "Grenzenlos" drückt am Samstagvorabend den Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen auf im Schnitt wenig mehr als drei Prozent und insgesamt nur knapp eine halbe Million Zuschauer. Auch die "Dinner Party", die in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch um kurz nach Mitternacht im Programm ist, kommt im Schnitt nur auf weniger als vier Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen.
Neue Sendeplätze für die letzten Folgen
"Es besteht für uns bereits seit August 2020 keine Verpflichtung mehr zur Fortsetzung der Drittsendeprogramme", bestätigte Sat.1-Sprecherin Sandra Scholz gegenüber dem Medienmagazin DWDL.de. "Wir werden die bereits vorproduzierten Folgen zu den bislang geltenden Konditionen abnehmen und vergüten beziehungsweise die Abbruchkosten übernehmen und uns eng mit den Produzenten abstimmen und so sicherstellen, dass ihnen durch das Ende der Fensterprogramme keine unmittelbaren finanziellen Nachteile entstehen."
Allerdings verschwinden die Sendungen nicht sofort komplett vom Bildschirm: Der Sender hat sich mit den Produktionsfirmen nun darauf verständigt, die bereits produzierten Folgen zu den vereinbarten Vergütungen noch abzunehmen und auch auszustrahlen - allerdings nicht mehr auf den gewohnten Sendeplätzen. Während die restlichen sieben Folgen von "Focus TV" ab der kommenden Woche auf den späten Montagabend um 23:10 Uhr rücken und damit nach "Akte" zu zeigen, wandert die "Dinner Party" ins Nachtprogramm von Montag auf Dienstag. Hiervon stehen aber ohnehin nur noch drei Folgen aus. "Grenzenlos" wiederum wechselt für die übrigen acht Folgen zu Sat.1 Gold, wo das Reisemagazin dienstags gegen 23:45 Uhr laufen wird. Dienstags verlängert Sat.1 dagegen seinen Serien-Abend, samstags gibt's eine weitere Folge von "Auf Streife" zu sehen.
Bitter ist diese Nachricht vor allem für die Produktionsfirmen, die ihre eigentlich noch bis ins Jahr 2022 laufenden Lizenzen los sind - und damit sehr sichere Einnahmen, völlig unabhängig von jeglichem Quotenzwang. Dies betrifft im Falle der "Dinner Party" die inzwischen zu Banijay gehörende Kölner Produktionsfirma Good Times, im Falle von "Grenzenlos" handelt es sich um TellVision.
Eine neue Verpflichtung zur Ausstrahlung von Drittanbieter-Programmen droht Sat.1 einstweilen nicht - inzwischen liegt der Marktanteil der Sendergruppe beim Gesamtpublikum deutlich unter 20 Prozent und damit dem maßgeblichen Schwellenwert. Schon bei der letzten Vergabe von 2017 bis 2022 gab es einen Rechtsstreit darüber, ob Sat.1 denn nun zur Ausstrahlung verpflichtet sei - denn im Zeitraum direkt davor lag ProSiebenSat.1 ebenfalls schon unter der 20-Prozent-Marke. Allerdings beriefen sich die Landesmedienanstalten auf einen anderen Zeitpunkt zum Beginn des Verfahrens und errechneten so einen Marktanteil von 20,04 Prozent. Während des Rechtsstreits hatte Sat.1 2017 die Ausstrahlung von "Grenzenlos" und "Dinner Party" schon einmal für mehrere Monate pausiert.