Wird Twitter über- oder unterschätzt? Tatsächlich wird Twitter von ungleich weniger Menschen genutzt als andere soziale Netzwerke. Und nur weil sich drei Leute auf Twitter beschweren, ist das noch lange nicht die Meinung eines großen Teils der Bevölkerung. Jan Böhmermann, der gerade eine Auswahl seiner Tweets der letzten elfeinhalb Jahre als Buch herausgebracht hat, warnt in einem Interview mit der „SZ“ trotzdem davor, Twitter kleinzureden. "Wir müssen Twitter als Realität akzeptieren wie das Telefon oder das Kino und damit umgehen, anstatt defensiv darauf zu beharren, dass das nicht relevant ist oder nicht stattfindet, wenn man nur wegsieht", so Böhmermann. Man dürfe Twitter nicht mit der echten Welt verwechseln, müsse sich aber der Wechselwirkungen bewusst sein.
Böhmermann: "Es stimmt, dass nur schätzungsweise fünf Prozent der Deutschen es regelmäßig nutzen, aber es sind die fünf Prozent, die das Sagen haben oder es gerne hätten. Es ist ein begrenzter Kreis aus Menschen in leitenden Funktionen, Multiplikatoren, Vorständen, die in diesem Medium ihre Positionen austauschen. Und deswegen kann auf oder durch Twitter tatsächlich etwas in Bewegung gesetzt werden, das in der Welt spürbare Auswirkungen hat."
In Bewegung setzen kann fraglos auch Jan Böhmermann dort Dinge. Er erreicht mittlerweile rund 2,2 Millionen Follower – eine Vielzahl der Reichweite seiner einstigen Sendung „Neo Magazin Royale“. Böhmermann: „Ich merke, wenn ich etwas retweete, dass Leute dann sehr darüber reden. Das ist mir aber auch unheimlich.“ Und weiter: „Ich komme aus redaktionellen Zusammenhängen und bin aus dieser Hybrid-Generation, die mit einem Bein in den alten Medien steckt und mit dem anderen in den neuen. Ich ahne, dass es kein Dauerzustand ist, dass jemand ohne redaktionelle oder sonstige Kontrolle die alleinige Macht über eine solche Reichweite haben darf. Das ist mir sehr bewusst."