Rachel, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu acht Emmy-Nominierungen für "Unorthodox"...
Ja, die Emmy-Nominierungen waren der Wahnsinn, was für ein Nachmittag. Ich bin sehr froh über dieses einzigartige, sehr spezielle vierteilige Juwel, das ein echtes Power-Team toller Frauen, angeführt von Anna Winger, umgesetzt hat. Ich habe noch nie so viel positives Feedback zu einer Serie bekommen wie bei „Unorthodox“. Das war schon das erste Geschenk in der Woche nach der Veröffentlichung, die Nominierungen der Television Academy dann die vorläufige Krönung.
Bereuen man da ein bisschen, dass die Geschichte nach nur vier Teilen beendet ist?
(lacht) Nein, wir lieben unser „Unorthodox“ so, wie es ist. Und dabei wollen wir es auch belassen. Vielleicht tröstet die Aussicht darauf, dass wir eine ganze Bandbreite von neuen deutschen Serien haben, die in den kommenden Monaten starten werden.
Genau darüber wollen wir sprechen. Was sind die nächsten Neustarts?
Heute startet „Biohackers“ in Deutschland und weltweit mit Jessica Schwarz, Luna Wedler und Benno Fürmann aus der Feder von Christian Ditter, den wir mit dieser Produktion aus Los Angeles wieder zurück nach Deutschland geholt haben. Es ist eine rasant erzählte, dramatische Thrillerserie. Am 17. September folgt schon Anke Engelke in „Das letzte Wort“, die in dieser sechsteiligen Dramedy-Serie den plötzlichen Tod ihres Ehemannes zu bewältigen versucht. Sie findet Ihre eigenen Worte erst auf der Beerdigung wieder und beschließt kurzerhand selbst Trauerrednerin zu werden. Und dann kommt im Herbst „Barbaren“, was inhaltlich und auch optisch wirklich nicht weiter von „Das letzte Wort“ entfernt sein könnte.
Wie kommt man darauf, eine Serie über die Schlacht im Teutoburger Wald zu drehen?
Was mich an „Barbaren“ so fasziniert, ist der neue Blickwinkel auf die historischen Ereignisse der Varusschlacht. Wir kennen die römische Perspektive, weil von den Römern Schriften überliefert sind. Nicht aber von der germanischen Seite. Das Team bei Gaumont hat eng mit Historikern zusammengearbeitet, gleichzeitig aber auch eine tolle Geschichte mit tiefen Charakteren entwickelt. Entstanden ist eine wirklich große und mutige Serie. Umso größer war hier auch unser Sprung ins kalte Wasser in jenem verrückten Sommer 2018.
Wie meinen Sie das?
Der Pitch zu „Barbaren“ im Sommer 2018 basierte gerade mal auf fünf Seiten. Es war also eine nicht ganz risikofreie Entscheidung der Serie grünes Licht zu geben. Ich hatte auch erst kurz davor die Verantwortung für die deutschen Serien bei Netflix übernommen. Das war der Sommer, nachdem „Dark“ veröffentlicht wurde und wir sehr viele Gespräche mit deutschen Kreativen für neue Projekte geführt haben. Vieles von dem, was in den kommenden Monaten starten wird, waren Ideen aus jener Zeit. Auch „Unorthodox“ und „How to sell drugs online (fast)“ waren Teil dieser ersten Offensive, die wir im Herbst 2018 angekündigt haben. Mich hat die Vielfalt der mutigen Ideen begeistert, die dann auch zu einer Menge Produktionsaufträge sehr unterschiedlicher Projekte und mit vielen für uns neuen Partnern geführt hat. Das ist, was mir an Netflix so großen Spaß macht: Wir haben keine Angst davor, Risiken einzugehen. Und natürlich bin ich allen unseren Partnern sehr dankbar, die sich mit uns auf diese Reise gewagt haben.
Sie sprechen die im Herbst 2018 angekündigten Serien an. Dazu gehörte auch "Tribes of Europa". Wie steht es um dieses Projekt?
Während „Barbaren“ eine unserer größten Produktionen der zweiten Hälfte dieses Jahres ist, ist „Tribes of Europa“ unsere ambitionierteste Serie für Anfang 2021. In einem dystopisch aussehenden Nachkriegseuropa, zerfallen in unzählige Kleinststaaten, befinden sich mehrere sogenannte Stämme im Kampf um die Vorherrschaft über den zerstörten Kontinent. Ein postapokalyptischer Western in den Ruinen Europas mit vielen großartigen jungen Schauspielern, darunter Emilio Sakraya, aber auch bekannten Netflix-Gesichtern wie Oliver Masucci. Nach "Dark" ist es die nächste große Produktion unserer langjährigen Partner Wiedemann & Berg.
Wenn Sie mit erprobten Partnern wie Wiedemann & Berg Zusammenarbeiten fortsetzen, hat man als jemand, der noch nie mit Netflix gearbeitet hat, noch die gleichen Chancen?
Ich freue mich sehr, dass wir enge Beziehungen zu unseren Produktionspartnern haben und weiterhin gemeinsam mit den meisten von ihnen neue Projekte entwickeln. Aber natürlich wollen wir bei Netflix auch mit neuen Talenten zusammenarbeiten. Das bedeutet übrigens auch, dass wir Stimmen vor und hinter der Kamera Gehör verschaffen wollen, die bislang vielleicht noch keine Chance dazu hatten.
Stichwort Diversity und Sichtbarkeit?
Das gilt in vielerlei Hinsicht, natürlich aber vorrangig darum, dass sich die Lebenswirklichkeit unserer Mitglieder auch in ihrer ganzen Vielfalt in den Geschichten und Charakteren wiederfinden muss, die wir erzählen. Das Vorhaben braucht natürlich auch Diversity hinter den Kulissen. Nicht nur hinter „Unorthodox“ steckt geballte Frauen-Power, sondern auch bei vielen anderen Produktionen, an denen wir arbeiten. Und wir freuen uns auf Shows wie “Tribes of Europa” oder die dritte Staffel von “How To Sell Drugs Online (fast)”, in der wir uns darauf fokussiert haben, mehr Vielfalt auf den Bildschirm zu bringen.
"Bei der diesjährigen Berlinale haben wir unseren Wunsch nach mehr Diversity im Casting Nachdruck verliehen."
Mit Wiedemann & Berg haben Sie die Zusammenarbeit fortgesetzt. Ist mit der btf über die dritte Staffel von "How to sell drugs online (fast)" noch mehr geplant?
Es wird definitiv mehr von der btf bei Netflix geben. Aber im Augenblick kann ich dazu noch nichts sagen (lacht). Philipp und Matthias sind fantastische Partner für uns. Aber nochmal zum Thema Diversity, das mir auch persönlich extrem wichtig ist: Bei der diesjährigen Berlinale haben wir das Gespräch mit so vielen Casting-Kollegen gesucht wie nur möglich und haben unseren Wunsch nach mehr Diversity im Casting Nachdruck verliehen. Das geht so weit, dass wir aktiver über Straßen-Casting nachdenken müssen und noch häufiger in die Schauspielschulen gehen wollen. Das ist eine Herausforderung, die mich kontinuierlich antreibt, weil ich überzeugt davon bin, dass wir mit richtigen Entscheidungen und unserer internationalen Reichweite einen kleinen Beitrag dazu leisten können, dass die Welt auf dem Screen die Welt da draußen besser abbildet.
Bleiben wir beim Selbstverständnis, weil Sie seit Sommer 2018 als Director German Original Series eines der begehrtesten Budgets im Markt verantworten und Sie trotzdem noch nicht jeder im Markt kennen wird. Deshalb die Frage: Wer ist Rachel Eggebeen?
Meine Karriere begann in Hollywood, wo ich die erste Hälfte meiner bisherigen Karriere dann auch beim Film war. Mich hat damals schon das Arbeiten mit den Filmemachern fasziniert, die etwas zu erzählen hatten. Ich habe in diesen Jahren sehr eng mit genialen Storytellern wie Michael Mann, Steven Soderbergh und George Clooney gearbeitet. Mein Interesse lag ganz klar auf von Charakteren getriebenen Filmen. Während meiner Zeit bei Paramount Vantage haben wir zum Beispiel “There will be blood”, “No country for old men” und “Into The Wild” veröffentlicht.
Wann kam dann der Sprung zur Fernsehproduktion?
2009 kam dann das Angebot für Shonda Rhimes zu arbeiten. Das war zu einer Zeit in der es in Hollywood noch nicht üblich war, dass man dem großen Kino den Rücken zuwendet, um Fernsehen zu machen. Aber ich konnte wirklich nicht widerstehen, weil mich die Aussicht darauf reizte, von Charakteren getriebene Geschichten im Fernsehen länger erzählen zu können als beim Kinofilm. Denken Sie nur daran, bei wie vielen tollen Filmen man so gerne länger bei den Charakteren geblieben wäre. Mit Shonda Rhimes hatte ich natürlich die Meisterin der Serien erwischt, um von ihr zu lernen. Ich war Producerin und Entwicklungschefin in ihrem Team, habe “Scandal” von Anfang bis Ende begleitet und mit Pete Nowak “How to get away with murder” entwickelt. Von Shonda und ihrer Partnerin Betsy Beers lernen zu können, war eine großartige Erfahrung für mich. Von dort bin ich zu Fox21 gewechselt, wo wir auf Serien für Streamingdienste und PayTV-Sender fokussiert waren, sozusagen eine Spezialeinheit innerhalb von Fox. Dort haben wir einige tolle Serien wie „Homeland“, “American Crime Story” und „Sons of Anarchy“ gemacht.
Wie führte Ihr Weg dann zu Netflix?
In jene Zeit fiel die Öffnung des Serienmarktes für internationale Produktionen und ich hörte von dieser damals noch kleinen Truppe bei Netflix, die nach Serien aus aller Welt und nicht nur aus Hollywood suchten. Und ohne länger nachzudenken, bin ich an Bord gesprungen und mit meiner Familie nach Amsterdam gezogen. Das war 2017. Ich habe Produktionen in Italien, der Türkei, Schweden, Polen und Deutschland betreut und vor zwei Jahren hat sich dann mein Fokus verlagert. Seitdem arbeite ich daran, unser deutsches Portfolio an Eigenproduktionen im Serienbereich auszubauen.
Sie betonten mehrfach die Bandbreite von Netflix-Produktionen. Das bedeutet aber auch: Wenn Sie sich nicht wiederholen wollen, ist die Suche nach neuen Stoffen heute gezielter als 2018. Wonach suchen Sie gerade?
Ein besonderer Fokus für uns liegt gerade auf der Suche nach zeitgenössischen, gesellschaftlich relevanten Projekten, sowohl im Drama- als auch im Komödien-Bereich. Das kann also ein emotionaler Thriller, zum Beispiel mit Action sein, aber genauso gut ein Crime-Drama basierend auf wahren Begebenheiten oder auch ein herzerwärmendes Familien-Drama. Bei Komödien sind wir an Familien- und Workplace-Geschichten interessiert.
Das klingt zunächst aber weiter sehr weit gefasst...
Wichtig ist uns dabei immer, dass es in den Konzepten etwas wirklich Neues gibt also eine absolut ungesehene Welt, eine starke, moderne Prämisse - und, dass unsere Serien bestmöglich besetzt und mit vielschichtigen, besonderen, gerne auch diversen Figuren umgesetzt werden. Wir freuen uns sehr, dass Steffi Ackermann unser starkes Team, bestehend aus Eva van Leeuwen, Alice Dill und Lisa Kreimeyer ergänzt um diese Projekte zu finden und zu entwickeln. Das ist eine große und spannende Aufgabe.
Rachel, herzlichen Dank für das Gespräch.