Nachdem im Zuge der #metoo-Debatte zahlreiche Fälle von sexuellen Übergriffen in der Film-, Fernseh- und Theaterbranche offenbar wurden, wurde im Jahr 2018 eine von zahlreichen Verbänden, Produktionsfirmen, Sendern und Theater getragene gemeinsame "Vertrauensstelle" unter dem Namen "Themis" geschaffen, an die sich Betroffene wenden können. Am 1. Oktober 2018 nahm sie ihre Arbeit auf, nach eineinhalb Jahren zog man nun eine Zwischenbilanz: 255 Fälle von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz wurden Themis mitgeteilt. Die beiden Beraterinnen - eine Psychologin und eine Juristin - führten über 500 Beratungsgespräche.
In etwa 85 Prozent der Fälle waren Frauen von den Übergriffen betroffen, in fast allen Fällen gingen die Belästigungen oder MIssbräuche von Männern, nur in Ausnahmen von Frauen aus, in fast 80 Prozent der geschilderten Situationen zudem von Vorgesetzten oder höhergestellten Personen. Dabei handelte es sich mehrheitlich um akteulle Fälle, die zum Zeitpunkt ihrer Meldung nicht länger als zwei Jahre zurücklagen. Nur in Einzelfällen wurden Übergriffe gemeldet, die vor mehr als fünf Jahren stattfanden.
Die Mehrzahl der Fälle waren verbale und non-verbale sexuelle Belästigungen, wonach laut Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz (AGG) beispielsweise dauerhafte sexualisierte Anmachen, Beleidigungen mit sexuellem Inhalt, taxierende Blicke, zweideutige Gesten oder Posen, sexistische Bilder am Arbeitsplatz oder auch Androhungen beruflicher Nachteile bei sexueller Verweigerung gehören. In etwa zwei Fünftel der Fälle ging es um körperliche sexuelle Belästigungen, wie unerwünschte Berührungen, sexuelle Nötigung und körperliche Gewalt bis hin zu Vergewaltigungen.
Besonders bedenklich dabei, dass nur wenige der Fälle auch dem eigenen Arbeitgeber gemeldet wurden - bis März 2020 gerade mal neun Mal. "Wir haben es in der Branche also immer noch mit einer Kultur des Schweigens zu tun", sagt Themis-Vorstand Horst Brendel. "Wirkliche Änderungen erreichen wir aber nur, wenn Frauen und Männer auf die Vorfälle bei ihren Arbeitgeber*innen aufmerksam machen und eine Verhaltensänderung einfordern. Wir verstehen uns aber auch als Partner der Unternehmen und Institutionen der Kulturbranche und bieten Expertise zu Themen wie die Umsetzung des AGG, geeignete Präventionsangebote und Best Practice-Umgang mit spezifischen Situationen an."
Eva Hubert, ebenfalls Vorstand der Themis-Vertrauensstelle: "Die hohe Zahl an Anrufen zeigt, dass Themis in den von ihr betreuten Branchen ein hohes Maß an Vertrauen besitzt. Uns ist es gelungen, ein niedrigschwelliges Beratungsangebot aufzusetzen, mit dem wir sachkundige und branchenspezifische Unterstützung anbieten und Betroffenen helfen, eigenverantwortlich und selbstbestimmt Entscheidungen für den für sie richtigen Umgang mit dem Vorfall zu treffen. Dennoch ist in der Branche noch viel Arbeit zu tun, um einen echten Kulturwandel anzuschieben."
Kulturstaatsministerin Monika Grütters: "Das Ausmaß sexueller Belästigung und Gewalt im Kultur- und Medienbereich ist erschreckend. Mein Dank gilt allen Themis-Mitarbeiterinnen, die den Betroffenen zur Seite stehen. Ich war von Anfang an davon überzeugt, dass wir eine unabhängige Vertrauensstelle für diese Branchen brauchen. Aus diesem Grund ist mein Haus für die Anschubfinanzierung der Themis in Vorleistung gegangen und hat die Entwicklung dann intensiv begleitet. Dass wir damit ganz offensichtlich den richtigen Weg eingeschlagen haben, belegen die nun vorgelegten Daten zweifelsfrei. Meine Schlussfolgerung ist ganz klar: Wir brauchen einen grundlegenden Kulturwandel in allen Kreativbranchen! Deshalb ist es wichtig, dass sich noch mehr Verbände der Themis anschließen."