Auch wenn sich TV Now gerne als "Local Hero" unter den Streaming-Diensten bezeichnet: In einem Punkt hatte man sich vom später gestarteten Unterföhringer Konkurrenten Joyn zuletzt ein wenig die Butter vom Brot nehmen lassen: Bei der eigenproduzierten Fiction. Während Joyn hier schon kurz nach dem Start "Colonia Dignidad", "Frau Jordan stellt gleich" oder "Check Check" vorweisen konnte und diverse weitere Serien angekündigt hat, bestand das Angebot an "TV Now Originals" im Bereich Fiction im ersten Jahr nur aus dem von RTL Crime geerbten Projekt "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" - für das es allerdings immerhin schon eine Grimme-Nominierung gab. Stattdessen konzentrierte man sich in Köln zunächst auf das, was RTL auch im Fernsehen schon richtig erfolgreich kann: Reality-Formate, die sich schneller umsetzen lassen.

Doch spätestens seit diesem Mittwoch ist klar, dass TV Now in der Fiction das Feld keinesfalls der Konkurrenz überlassen will. Dass man für die Präsentation der Pläne für die nächsten Saison im Umfeld der Berlinale ins Soho House geladen hatte, zeigte schon im Vorfeld, dass man sich hier nicht verstecken will, sondern einen selbstbewussten Auftritt wählt. Und tatsächlich hatten Frauke Neeb und Hauke Bartel, die seit dem Abschied von RTL-Fictionchef Philipp Steffens nun die gesamte Fiction der Mediengruppe RTL verantworten, nicht nur erstaunlich viele neue Produktionen im Gepäck, sondern vor allem solche, die nichts mehr mit der einstigen Strategie, Massenware für den Mainstreammarkt zu produzieren, gemeinsam haben.

Die überwiegende Zahl solcher Produktionen riss zuletzt bekanntlich nicht nur inhaltlich kaum jemanden vom Hocker, sondern brachte auch nicht die erhofften hohen Reichweiten. Also versucht man es nun im Zweifel lieber mit einer Miniserie mit klarem Konzept als mit einer Serie, die man über viele Staffeln erzählen kann. Schließlich gilt es nun auch für die Mediengruppe RTL, angesichts der enormen "Grundlautstärke", die etwa Vox-Chef Sascha Schwingel angesichts der vor allem durch die US-Streamingdienste inzwischen unübersichtlich großen Anzahl an Fiction-Produktionen ausgemacht hat, mit einzelnen Projekten so herauszustechen, dass Menschen bereit sind, dafür entweder sogar Geld zu zahlen - oder zumindest bei der Free-TV-Auswertung sich gegen einen werbefreien Streaming-Dienst und für RTL oder Vox zu entscheiden.

Elf Serien-Projekte wurden am Mittwoch in Berlin vorgestellt. So wird man mit Ferdinand von Schirach einen Justizskandal aufarbeiten, widmet sich der Dieselaffäre, reist in die 90er nach Palma und die 70er nach Bochum, die 20er in Berlin und die Münchner Schickeria von heute. Vom Kammerspiel und einem "Club der roten Bänder"-Spinoff über die schwarzhumorige Ensemble-Komödie mit den gestandenen Stars Iris Berben, Heiner Lauterbach, Walter Sittler, Adele Neuhauser und Michael Wittenborn bis hin zu neuen Comedy-Serien von Ralf Husmann sowie mit Christoph Maria Herbst hat man eine beachtliche Bandbreite angekündigt. Finanzieren lässt sich das für TV Now, weil man natürlich auch gemeinsame Sache mit den Sendern der Mediengruppe macht - ein Vorteil gegenüber reinen Streaming-Diensten, den man die Mediengruppe hier natürlich ausnutzen will. Damit der Anreiz, ein TV Now-Abo abzuschließen, trotzdem groß genug ist, sollen die Serien in der Regel mindestens sechs Monate vor TV-Auswertung bei dem Streaming-Dienst zu sehen sein.

Viel war an diesem Nachmittag in Berlin von Aufbruchstimmung, einem neuem Mindset und neuer Energie die Rede. Zu sehen gab es von den elf Projekten noch nichts, insofern kann man die Qualität der neuen Produktionen kaum beurteilen. Doch schon die Konzepte zeigen, dass die Streaming-Konkurrenz die Mediengruppe RTL auch im Bereich Fiction auf Trab gebracht hat. Und das kann ja nur positiv sein.

Die Projekte im Einzelnen

"Glauben"
(7x30 Minuten, Crime-Serie)

"Glauben" ist die neue Serie von Ferdinand von Schirach - wobei das Besondere ist, dass sie diesmal nicht auf einem Buch von Ferdinand von Schirach basiert, sondern dass er gleich die Drehbücher geschrieben hat. Sie basiert auf dem Jusitzskandal um die Wormser Missbrauchsprozesse in den 90er Jahren, an deren Ende alle Beteiligten freigesprochen wurden. Im Mittelpunkt steht ein Strafverteidiger, der einen von 26 Angeklagten in dem Kindesmissbrauchsprozess vertreten soll und der gegen Falschaussagen, fragwürdige Verhörmethoden und die Mühlen der Justiz selbst kämpfen muss. Die Geschichte wird dabei aber in die heutige Zeit übersetzt und soll die Mechanismen dahinter beleuchten.

Von Schirach: "Das Wesentliche dieser Verfahren war das Versagen aller gesellschaftlichen und rechtlichen Institutionen, der Presse und der Öffentlichkeit. Die allgemeine Empörung, der ungebremste Hass und die furchtbare Hysterie damals ist den heutigen gesellschaftlichen Zuständen sehr ähnlich. Es lag deshalb für mich nahe, aus den Wormser Missbrauchsprozessen eine Serie zu machen, die in der Gegenwart spielt und alle neuen Elemente aufnimmt, mit denen wir heute leben müssen." Über die Content Alliance von Bertelsmann will man "Glauben" dabei nicht nur als fiktionale Serie, sondern multimedial auswerten. Über einen Podcast bzw. Video-Podcast will man die wahre Geschichte des damaligen Justizskandals beleuchten. Ferdinand von Schirach will dafür mit Beteiligten von damals - Richter, Gutachter, Journalisten - führen. Auch eine Print-Begleitung über die Magazine von Gruner + Jahr stellte Sascha Schwingel auf der Bühne in Aussicht.

"Wolfsburg" (AT)
(6x50 Minuten, Event-Serie)

Mit dem Sechsteiler "Wolfsburg" greift TV Now den Dieselskandal rund um VW auf. Erzählt wird die Geschichte eines Entwicklungsingenieurs, der mit einem unkonventionellen Vorschlag zu Beginn seiner Karriere den Grundstein für den späteren Abgasskandal legt. Und weil dieser systematische Betrug in einem der größten deutschen Unternehmen ohenhin kaum fassbar ist, will Drehbuchautor Florian Oeller das ganze in humorvoller, vor allem unterhaltender Tonalität erzählen. Inszeniert wird die Serie von Dustin Loose, der auch schon bei "Rampensau" Regie führte. Auch diese Serie kommt von Moovie / Constantin Film und wird von Oliver Berben und Jan Ehlert produziert.

"Der König von Palma"
(6x45 Minuten, Event-Serie)

Die Serie war von RTL schon bei den letzten Screenforce Days in Aussicht gestellt worden und wird nun ebenfalls zuerst bei TV Now ausgewertet werden. Es wird das erste große Serien-Projekt für Henning Baum seit dem "Letzten Bullen". Er spielt darin einen Familienvater aus dem Ruhrgebiet, der samt seiner Familie Anfang der 90er aus Dortmund nach Mallorca auswandert, um einen kleinen Biergarten an der berühmten Playa de Palma zu eröffnen. Schnell erlebt der unscheinbare Laden einen kometenhaften Aufstieg. Doch die Adlers müssen immer mehr Grenzen überschreiten, um den Erfolg zu sichern. Bald finden sie sich in einem Strudel aus Bestechung, Erpressung und Gewalt wieder, dem sie nicht mehr entkommen können. Fürs Drehbuch zeichnen Veronica Priefer, Yves Hensel und Johannes Kunkel verantwortlich, letzterer fungiert für UFA Fiction auch als Produzent.

"Disko Bochum"
(6x45 Minuten, Event-Serie)

Noch weiter zurück geht's in der Serie "Disko Bochum", die in den 70er Jahren im Ruhrpott spielt und in der es zum Generationen-Clash kommt - ein patriarchialischer Vater mit Familienbetrieb trifft auf eine junge Generation im Aufbruch - und die wilden 70er "nach der Pille und vor Aids", wie Produzent Benjamin Benedict von UFA Fiction erläutert. Während der älteste Sohn Frank im familieneigenen Lebensmittelhandel mit anpackt, will die jüngste Tochter Johanna Pilotin werden - und sein Zweitgeborener Georg und seine andere Tochter Doro eröffnen im Keller eines geerbten Restaurants eine Diskothek. "Im Mikrokosmos der Familie Krämer spiegelt sich die damalige Zeit exemplarisch wider", heißt es zur Beschreibung. Und wie es der Titel schon nahelegt, soll die Musik auch eine wichtige Rolle spielen. Fürs Drehbuch zeichnen neben Benjamin Benedict, Judy Horney, Dorothee Fesel und Linda Brieda verantwortlich, zusätzlich im Writers Room dabei: Sonja Cöster und Julia Korbik.

"Die Zeugen"
(8x30 Minuten, Crime-Serie)

Deutlich ruhiger dürfte es bei "Die Zeugen" zugehen - denn diese achtteilige Serie wird als Kammerspiel inszeniert und spielt sich dementsprechend fast ausschließlich in einem Raum ab. Ausgangspunkt ist die These "Die Frage ist nicht, ob eine Erinnerung falsch ist, sondern wie falsch sie ist", die die Wissenschaftlerin Dr. Julia Shaw in ihrem Buch "Das trügerische Gedächtnis" aufstellte. Die Story: Ein kleines Kind wird mitten aus einem sehr gut besuchten Museum entführt - es gibt dementsprechend etliche Zeugen. Anhand der Zeugen-Aussagen soll nun versucht werden, das Geschehen zu rekonstruieren, den Grund für die Entführung zu ermitteln und das entführte Kind wiederzufinden. Zu den Befragungen wird die brillante Gehirnforscherin Dr. Jasmin Braun (nach dem Vorbild von Julia Shaw, die bei der Serie als wissenschaftliche Beraterin fungiert von Alexandra Maria Lara gespielt wird) hinzugezogen. Sie soll helfen, die Erinnerungen der Augenzeugen richtig zu interpretieren. Dies ist dringend notwendig, weil die Entführer noch einen Komplizen unter den Zeugen haben könnten, der Einfluss auf die Erinnerungen der übrigen Zeugen nimmt, um sie so zu manipulieren. Das Drehbuch stammt von Janosch Kosack und Jörg Lühdorff, der auch Regie führt. Christian Rohde produziert, Drehstart ist im Juli.

"Tonis Welt"
(8x45 Minuten, Dramedy)

Mit "Club der roten Bänder" gelang Vox beim Serien-Debüt ein Überraschungshit, nun gibt's für Fans ein Spin-Off. Im Mittelpunkt stehen Toni, der im "Club" die Rolle des Schlauen einnahm und das Asperger-Syndrom hat, sowie seiner ebenfalls aus der Serie bekannten Freundin Valerie, die das Tourette-Syndrom hat. Die Geschichte spielt ein Jahr nach dem Ende der Geschichte von "Club der roten Bänder". Nach dem Tod von Valeries Oma stehen die beiden vor der Entscheidung, das renovierungsbedürftige Haus auf dem Dorf zu kaufen und ein neues Leben zu beginnen. Ein Leben, in dem sich der spleenige, gewohnheitsliebende Toni nicht an gelernten Strukturen festhalten kann, sondern ganz auf sich und seinen eigenwilligen Charme gestellt ist. Toni ist fest entschlossen, Valerie zu beweisen, dass er nicht nur der Mann für ein gemeinsames Haus, sondern für ein ganzes gemeinsames Leben ist. Man kann den beiden zusehen, "wie sie aneinander wachsen und erwachsen werden", erklärt Toni-Darsteller Ivo Kortlang, der gemeinsam mit Amber Bongard und Leonard Lansink vor der Kamera steht. Gerda Müller von Bantry Bay fungiert als Produzentin, Tobias Ketelhut als Producer, das Drehbuch stammt von Elena Senft, Regie führt Felix Ahrens.

"Torstraße 1" (Arbeitstitel)
(6x45 Minuten, Event-Serie)

Torstraße 1 ist die Adresse des "Soho House" in Berlin, in das TV Now für die Präsentation auch eingeladen hatte. Und erzählt werden soll im zugehörigen Projekt "die Geschichte eines Hauses, die Geschichte Deutschlands und die Geschichte einer großen Liebe" - und zwar über mehrere Jahrzehnte hinweg. Es beginnt im Jahr 1927, wo sich Vicky und Harry in einem Tanzsaal kennenlernen. Er, ein scheinbar mittelloser Pianist, und sie, ein Mädchen aus der Provinz auf der Suche nach Arbeit. Es ist auch der Beginn einer großen Liebe, die immer unmöglich scheint und trotzdem alle Zeit überdauert. Conni Lubek schreibt das Drehbuch, Sherry Hormann führt Regie, Produzenten sind Uwe Urbas, Stefan Arndt und Michael Polle von X Filme Creative Pool.

Herzogpark
(6x45 Minuten, Dramedy)

Herzogpark ist der Name eines Münchner Stadtteils, in dem die höchste Dichte an Dax-Vorständen und Millionärs-Gattinnen herrscht, das Nobelviertel der Stadt, in dem Schein auf Sein trifft, altes Geld auf neues Geld - und wo viele hin möchten. Dort leben vier Frauen, für die das Hüten von Geheimnissen eine Lebensaufgabe geworden ist - gewissermaßen eine Überlebens-Aufgabe. Aber als ein Mord geschieht, droht das Unaussprechliche an die Oberfläche zu kommen und der Drang, die Geheimnisse zu schützen, wird der Motor, der die Frauen bis zum Äußersten und damit direkt in die Wahrheit treibt. Yoko Higuchi-Zitzmann von der Letterbox Filmproduktion, die neben Michael Lehmann als Produzentin fungiert, will eine Geschichte über die Mechanismen der Macht erzählen, mit starken Frauenfiguren, aber immer auch mit Humor und Augenzwinkern, wie sie in Berlin erläuterte. Als Beraterin ist die ehemalige "Bunte"-Chefredakteurin Patricia Riekel an Bord, die aus ihrem reichhaltigen Erfahrungsschatz schöpfen kann und verspricht, dass sich die Geschichten gar nicht allzu weit von der Realität entfernen werden. "Die Realität übersteigt meine Phantasie", so Riekel. Fürs Drehbuch verantwortlich ist Regina Dietl, Regie führt Oscar-Preisträger Jochen Alexander Freydank.

Tilo Neumann und das Universum
(8x30 Minuten, Comedy-Serie)

Christoph Maria Herbst spielt in der neuen Comedy-Serie einen Mann, der sein Leben völlig vor die Wand gefahren hat, sich eines Tages komplett abschießt und kurz davor steht, sich das Leben zu nehmen - bis er plötzlich eine Stimme hört. Und es ist niemand geringeres als das Universum, das da zu ihm spricht und - ihm einen Deal anbietet: "Hilf anderen und ich helfe dir." Tilo Neumann bleibt am Leben - und wird die Stimme fortan nicht mehr los. "Ich freue mich auf die Rolle des Lehrers, der mit komisch-kosmischer Hilfe fürs Leben lernen muss: von schmerzhaft bis euphorisch und wieder zurück. Tragikomik war selten so universell wie in dieser Serie", so Herbst. Produziert wird die Serie von Silke Pützer von Network Movie, das Drehbuch schreibt Sonja Schönemann.

Mirella Schulze rettet die Welt
(8x30 Minuten, Comedy-Serie)

Ralf Husmann geht in seiner neuen Comedyserie der Frage nach: Was wäre, wenn Greta Thunberg ein deutsches Mädchen wäre - und zwar die Tochter der Schulzes von Nebenan. Ihr Vater ist Fernfahrer und ihre Mutter arbeitet bei einem Chemie-Konzern, ihr älterer Bruder will unbedingt Pilot werden und ihre jüngere Schwester will möglichst bald bei den Kardashians einheiraten. Als Mirella beginnt, sich gegen den Klimawandel einzusetzen, bleiben nur 2 Möglichkeiten: Sie zur Adoption freigeben oder sich damit arrangieren, was gar nicht so einfach ist. "Vor gut 2.000 Jahren sollte ein Junge die Welt retten, deswegen haben wir heute Weihnachten, jetzt soll ein kleines Mädchen die Welt retten, deswegen haben wir nun diese Serie. Gerade wenn die Lage so ernst ist, brauchen wir auch Humor. Deswegen freue ich mich sehr auf Mirella Schulze und ihre Familie", so Husmann. Produzentin ist Nanni Erben von MadeFor.

Unter Freunden stirbt man nicht
(4x45 Minuten, Mini-Serie)

Die Serie handelt von einer Clique aus Personen fortgeschrittenen Alters, gespielt von Iris Berben, Heiner Lauterbach, Adele Neuhauser, Michael Wittenborn und Walter Sittler. Einer von ihnen steht kurz vor dem Gewinn des Nobelpreises - als er plötzlich stirbt. Also beschließen die anderen, seinen Tod fünf Tage lang bis zur Verleihung geheim zu halten - was einfacher klingt als es dann tatsächlich ist und ihre Freundschaft auf eine harte Probe stellt. Iris Berben hob in Berlin hervor, dass sie insbesondere der schwarze Humor und das politisch Unkorrekte an der Serie gereizt haben. Die Mini-Serie ist das erste Projekt von Keshet Tresor Fiction mit Christina Christ als Produzentin und basiert auf einer Keshet-Serie von Noa Yedlin. Das Drehbuch schrieb Claudius Pläging, Felix Stienz führt Regie.