"2019 war ein Jahr, das uns als Gesellschaft gefordert hat. Themen des Jahres wie Klimaschutz, 30 Jahre Mauerfall oder Seenotrettung spiegeln sich in den Einreichungen des 56. Grimme-Preisjahres", so die Direktorin des Grimme-Instituts, Dr. Frauke Gerlach. "In diesem Jahr finden wir kategorienübergreifend Produktionen, die eine Antwort auf die Frage suchen, wie wir zusammenleben wollen." In der Kategorie Information & Kultur sind es dabei insbesondere die Themen Flucht und Migration, Rechtsextremismus, gesellschaftliche Ungleichheit, Klimawandel und ein unter Druck stehendes Europa, die besonders stark Niederschlag fanden, dazu viele Beiträge zum 30. Jahrestag des Mauerfalls.
23 Beiträge und Einzelleistungen wurden hier nominiert, darunter "Lucica und ihre Kinder", "Draußen", "Die Story im Ersten: Tote auf der Balkanroute" und der Dokumentarfilm "Dark Eden", der anhand des kanadischen Fort McMurrays den existenziellen Preis der fossilen Energie aufzeigt. Eine Nominierung für einen Spezial-Preis erhielten Nadia Kailouli und Jonas Schreijäg für ihre exklusive Recherche vom Seenotrettungsschiff Sea-Watch 3 in verschiedenen Formaten und Filmen sowie Britt Beyer, Vassili Silovic und Volker Heise für das Großprojekt "24h Europe - The Next Generation". Für die Besondere Journalistische Leistung nominierte die Kommission die Journalistinnen und Journalisten Olga Sviridenko, Edmund Willison, Hajo Seppelt, Jörg Winterfeldt und Shea Westhoff unter anderem für ihre Recherchen für die im Rahmen der ARD-"Sportschau" ausgestrahlte Dokumentation "Kampf ums Geschlecht", die Redaktion von "Monitor" für das "hohe Niveau ihrer kontinuierlichen und haltungsstarken Berichterstattung über Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus" sowie Oliver Mayer-Rüth, stellvertretend für das Team des ARD-Studios Istanbul, für seine facettenreichen Beiträge aus der Türkei.
In der Kategorie Unterhaltung fällt als erstes auf, dass die Nominierungskommission gerade mal neun Nominierungen vergeben hat - und das, obwohl insgesamt 19 möglich gewesen wären. "Die negative Entwicklung der vergangenen Preisjahre beim Unterhaltungsfernsehen setzt sich fort", fasst das Grimme-Institut zusammen. Bemerkenswert aber auch: Gleich drei der neun Nominierungen in diesem Bereich gehen aufs Konto von ProSieben, das damit für den traditionell öffentlich-rechtlich geprägten Grimme-Preis ein sehr starkes Jahr hinter sich hat.
Neben dem großen Show-Hit "The Masked Singer" gab es auch Nominierungen für "Late Night Berlin", das im Premieren-Jahr noch leer ausging, sowie für "Joko und Klaas Live - 15 Minuten". Die beiden Moderatoren können sich in der Sendung "Joko und Klaas gegen ProSieben" 15 Minuten Live-Sendezeit um 20:15 Uhr erspielen, die sie frei gestalten können, ohne dass der Sender Einfluss nimmt. Insbesondere die erste Ausgabe, in der sie die Sendezeit unter anderem der Kapitänin eines Rettungsschiffs im Mittelmeer und einem Obdachlosenhelfer überließen, sorgte für Schlagzeilen, nominiert ist aber explizit die ganze Reihe und damit auch die bemerkenswerte Freiheit, die der Sender hier seinen Protagonisten einräumt und die diese ganz unterschiedlich nutzen. Freiheit, die beispielsweise auch die Moderatoren des nominierten BR-Formats "Woidboyz on the road" haben, die sich ganz ungescriptet regelmäßig auf Roadtrips durch Bayern begeben und dort auf interessante Geschichten und Personen stoßen.
Während mit "Chez Krömer" ein alter Grimme-Bekannter zurückmeldet, das "Neo Magazin Royale" sich seine alljährliche Nominierung für den Eier-aus-Stahl-Beitrag zu den Hohenzollern verdiente, Tele 5 mit dem "Festival der Liebe" wieder für ein ausgefallenes Konzept nominiert ist und auch "Die Geschichte eines Abends" (diesmal mit Olli Schulz) schon Grimme-bekannt ist, fällt vor allem noch die Nominierung für "Prince Charming" ins Auge. Hier handelt es sich um die erste rein schwule Dating-Show, die die Mediengruppe RTL für ihren Streamingdienst TV Now produziert hat und die demnächst auch noch den Weg ins Free-TV finden wird.
Deutlich stärker aus dem Vollen schöpfen konnte die Nominierungskommission in der Kategorie Fiktion. Hier haben noch 23 Nominierte die Chance auf einen von fünf Grimme-Preisen. Auch hier gibt's aber Kritik an den TV-Machern: "Es zeigt sich, dass die Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Stoffen zurückgeht und die Macher und Macherinnen auf bewährte Genres wie den Krimi setzen", sagt Frauke Gerlach, Leiterin des Grimme-Instituts. Es kommt also auch nicht von ungefähr, dass gleich drei "Tatorte" und ein "Polizeiruf" nominiert wurden. Eine Nominierung gab's unter anderem auch für das ambitionierte "Love Europe Project", das in einem Film neun Episoden vereint, in denen Europa durch die Augen und den Alltag von Menschen verschiedenster Herkunft neu entdeckt wird.
Ein starkes Jahr war es abseits der Einzelfilme wieder für die Serien, gleich 37 Produktionen wurden gesichtet, fünf Nominierungen ausgesprochen. Turner setzt seinen sensationellen Lauf fort und erhält auch für die TNT-Comedy-Serie "Andere Eltern" eine Grimme-Nominierung, mit "Fett und Fett" des ZDF kam zudem eine weitere Comedy-Serie zu Grimme-Ehren. Die Sky-Serie "Der Pass", das Flüchtlings-Drama "Eden" sowie das erste TVNow-Original "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" sind ebenfalls nominiert. Dazu gab's eine Spezial-Nominierung für die Ausstattung der Bauhaus-Serie "Die Neue Zeit" und für den "Umgang mit der Musik als handlungsbestimmendes Element" auch die Netflix-Serie "Skylines". Eine weitere Spezialnominierung gab's für Heinrich Breloer für die langjährige, intensive Auseinandersetzung mit Bertolt Brecht.
Noch eine weitere Netflix-Produktion ist für einen Grimme-Preis nominiert: "How to sell drugs online (fast)", die bei Grimme allerdings in die Kategorie Kinder & Jugend gerutscht ist. Dort ist mit "Wir sind die Welle" sogar noch eine zweite Produktion des Streamingdienstes vertreten. Auch die Funk-Serie "Druck" findet sich hier wieder, "Der Rap-Hack - Kauf dich in die Charts" vom "Y-Kollektiv" sowie "Jäger und Sammler". Nemi El-Hassan erhielt für die Moderation von "Jäger und Sammler" zudem noch eine Spezial-Nominierung - ebenso wie die ZDF/Kika-Kindernachrichten "logo!" "für die in kontinuierlicher Qualität kompakte und verständliche Aufbereitung komplexer Zusammenhänge für die Zielgruppe", so die Begründung der Nominierungskommission.
Offenlegung: Der Autor dieses Textes war Mitglied der Nominierungskommission Unterhaltung
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