Vor fast eineinhalb Jahren hat Maike Tatzig, Erfinderin, Executive Producerin und Spielleiterin der "Schillerstraße", Sat.1 verklagt. Hintergrund war das damals neue Impro-Format "Mord mit Ansage", in dem Tatzig eine Kopie der "Schillerstraße" sah (DWDL.de berichtete). Ihr Anwalt Ralf Höcker erwartete damals einen Präzedenzfall für die gesamte Branche. Nun ist ein erstes Urteil gefallen: Das Landgericht München hat die Klage von Tatzig gegen Sat.1 nach DWDL.de-Informationen abgewiesen und dem Sender vollumfänglich recht gegeben. Tatzig hat demnach keine Ansprüche nach dem Urheberrechtsgesetz und kann auch keine vertraglichen Ansprüche geltend machen. Außerdem habe Sat.1 nicht unlauter gehandelt, so die Richter. 

Mehr noch: Das Landgericht München verurteilte Tatzig zur Zahlung von rund 4026 Euro - das entspricht den Gerichts- und Anwaltskosten, die bei Sat.1 angefallen sind. Die Erfinderin der "Schillerstraße" muss zudem die Kosten des Rechtsstreits tragen. Das Urteil ist noch nichts rechtskräftig, beide Seiten haben die Möglichkeit in Berufung zu gehen. Tatzig kündigt das auch gegenüber DWDL.de an: Sie hoffe, dass das Oberlandesgericht "in einem Berufungsverfahren hoffentlich zu einem anderen Urteil gelangen wird". Auch ihr Anwalt Ralf Höcker sieht nach wie vor Chancen, den Prozess in einer höheren Instanz zu gewinnen. "Wir halten die ‘Killerstraße’ nach wie vor für eine Kopie der ‘Schillerstraße’ und empfehlen den Gang in die zweite Instanz", sagt er gegenüber DWDL.de. 


Mit der "Killerstraße" greift Höcker einen Punkt auf, dem man auch vor Gericht versuchte durchzusetzen. Einige Medien, auch DWDL.de, berichteten unter dieser Schlagzeile 2018 über "Mord mit Ansage", das übrigens von der ProSiebenSat.1-Produktionsfirma RedSeven Entertainment verantwortet wird. Andere Medien bezeichneten die damals neue Impro-Sendung als "inoffiziellen Nachfolger" der "Schillerstraße". Tatzig und Höcker sagen nun quasi: Schon allein dadurch sehe man, wie "Mord mit Ansage" in der Öffentlichkeit ankommt. "Mord mit Ansage" würde prägende Gestaltungselemente der "Schillerstraße" übernehmen. 

Tatzig verweist auf die Kombination verschiedener Elemente, die die "Schillerstraße" einzigartig machen würden. Dazu zählen laut der Moderatorin und Produzentin der Aufbau der Bühne, der Ablauf durch die Regieanweisungen, der Knopf im Ohr der Comedians sowie die Texteinblendungen für die Zuschauer. Die Richter sagen nun: Dieses bloße Grundkonzept der Sendung sei nur ein abstrakter Rahmen zur Gestaltung weiterer, gleichartiger Sendungen - und damit nicht nach dem Urheberrechtsgesetz zu schützen. "Zwar basieren die Comedy-Serien beide auf dem Prinzip der Improvisation. In ihrer Umsetzung weichen die Serien jedoch erheblich voneinander ab. Insbesondere die handelnden Charaktere und der jeweilige Handlungsverlauf sind gänzlich verschieden", so die Richter. 

Wo die Richter Unterschiede sehen

Während es bei der "Schillerstraße" einen festen Cast gab, insbesondere einen Mieter (erst Cordula Stratmann, später Jürgen Vogel), der in seinem Wohnzimmer wöchentlich Besuch empfing, stehen bei "Mord mit Ansage" fiktive Mordfälle im Fokus, die Protagonisten wechseln. "Gerade Handlung und auftretende Personen geben Fernsehserien indes ihre Prägung", heißt es vom Gericht. "Schillerstraße" erinnere eher an das Genre einer Weekly Soap, "Mord mit Ansage" dagegen behandele in jeder Folge einen abgeschlossenen Kriminalfall. Beide Formate würden so einen "hinreichend großen Abstand" zueinander haben. 

Auch Sat.1 hatte vor Gericht ähnlich argumentiert und unter anderem erklärt, die Ursprünge des Improtheaters würden sich bis in das frühe Griechenland zurückverfolgen lassen. Auch in Deutschland sei diese Kunstform seit den 80er Jahren beliebt. Der "Knopf im Ohr" sei zudem seit vielen Jahren gang und gäbe bei TV-Produktionen. Das sahen auch die Richter so. Sie argumentierten zudem, dass Studioaufbau und Anmoderation "naheliegende Gestaltungsmittel" für Comedy-Sendungen seien. Auch hier sah Tatzig Ähnlichkeiten. Sat.1 verwies zudem auf die Unterschiede der beiden Formate. "Mord mit Ansage" sei insgesamt schneller, hinzu kämen wechselnde Comedians und dadurch unterschiedliche Rollen. 

Neben dem fehlenden Schutz durch das Urheberrecht konnte das Gericht auch keinen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht ausmachen. Auch vertragliche Ansprüche gibt es laut dem Landgericht München keine. Hier liegt ein großer Streitpunkt: Ende 2012 haben Tatzig und Sat.1 einen "Vertrag über die Einräumung von Formatrechten" geschlossen. Darin wird festgestellt,  dass Tatzig das Format "Schillerstraße" entwickelt habe und über die "ausschließlichen Rechte an dem Format" verfüge, nachdem sie zuvor ihren Lizenzvertrag mit der früheren Produktionsfirma der "Schillerstraße", der Hurricane Fernsehproduktion, gekündigt hatte. Der Vertrag regelt die Einräumung der Formatrechte zum Zwecke des internationalen Formatvertriebs durch die von Sat.1 beauftragte Konzernschwester Red Arrow International. 

"Wir halten die ‘Killerstraße’ nach wie vor für eine Kopie der ‘Schillerstraße’ und empfehlen den Gang in die zweite Instanz."
Anwalt Ralf Höcker

"Hier erkennt Sat.1 die Schillerstraße als Format an. Für Deutschland will man sich daran aber nicht halten. Das ist ein Widerspruch", sagt Tatzig gegenüber DWDL.de. Von den Richtern heißt es dagegen: "Eine vertragliche Vereinbarung, welche es der Beklagten untersagen würde, die Fernsehserie herzustellen [...] wurde zwischen den Parteien indes nicht getroffen." So enthalte der Vertrag keine ausdrückliche Formatschutzklausel für Deutschland. In einem Teil eines der Verträge heißt es lediglich, dass für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland "keine Rechte an dem Format eingeräumt werden". Der Wortlaut des Formatlizenzvertrag Iasse damit nach Meinung der Richter offen, wie in Deutschland verfahren werde. 

Die Sache mit der "Killerstraße"...

"Das Urteil hat sich in der Form leider bereits im Juli während des mündlichen Verhandlungstermins im Landgericht München angekündigt. Ich war darauf vorbereitet, dass ich es im Bereich des Urheberrechts schwer haben würde, weil TV-Formate in Deutschland so gut wie gar nicht geschützt sind. Natürlich ist das einerseits gut, weil kreative Abwandlungen zu etwas tollem Neuem führen können, aber andererseits hatte ich gehofft, dass das Spielprinzip der Schillerstraße – Eine Bühne, kein Drehbuch, ein paar ahnungslose Comedians und ein Spielleiter, der per Knopf im Ohr zwischendurch ins Spiel eingreift -  in seiner Einzigartigkeit anerkannt werden würde", sagt Tatzig gegenüber DWDL.de. 

Rückendeckung bekommt Tatzig von ihrem Ehemann Marc Schubert, er war damals Produzent der "Schillerstraße" und sagt nun: "Sat.1-Chef Pflüger hat ‘Mord mit Ansage’ auf der Programmpressekonferenz als ‘Killerstraße’ beworben. Er hat nicht einmal so getan, als hätte sein Team irgendeine kreative Leistung erbracht. Sat.1 hat sogar einzelne Regieanweisungen abgekupfert. So etwas sollten deutsche Gerichte verbieten. Da wird kein Kreativer blockiert, sondern ein Nachmacher gestoppt." Die "Schillerstraße" verdiene den Schutz des Urheberrechts, so Schubert. 

Sat.1 sieht sich bestätigt

Bei Sat.1 zeigt man sich dagegen zufrieden mit dem Urteil. Eine Sendersprecherin sagt auf Anfrage von DWDL.de: "Das Landgericht München I hat erfreulicherweise die Klage gegen Sat.1 vollumfänglich als unbegründet abgewiesen und unter anderem unsere Auffassung bestätigt, dass zwischen der ‘Schillerstraße’ und dem von RedSeven entwickelten Format ‘Mord mit Ansage’ ein hinreichend großer Abstand besteht und der ‘Schillerstraße’ als Format kein urheberrechtlicher Schutz zukommt. Wir sehen unsere Rechtsauffassung durch das Urteil vollumfänglich bestätigt."

Die erste Runde in der rechtlichen Auseinandersetzung in dieser Sache hat Sat.1 also für sich entschieden. Die Baustellen rund um "Mord mit Ansage" werden trotzdem immer größer: Die aktuelle Staffel der Impro-Comedy kommt aus Quotensicht noch nicht so recht in Gang, die vier bislang ausgestrahlten Ausgaben erreichten am späten Freitagabend im Schnitt 7,5 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe. Setzt sich der Abwärtstrend fort, könnte es im kommenden Verfahren vor dem Oberlandesgericht um zwei Formate gehen, die nicht mehr im Sat.1-Programm zu sehen sind.