Bei kaum einem anderen Dritten Programm der ARD klafft die Lücke zwischen Selbstwahrnehmung und Programmrealität derzeit so weit auseinander wie beim RBB. Im vergangenen Jahr hat der Sender sich im Fernsehen ein neues Schema verordnet und den Zuschauern im Sendegebiet in einer groß angelegten Kampagne erklärt, „Bloß nicht langweilen“ zu wollen. Passieren soll das mit einer Mischung aus Formaten, die ziemlich offensichtlich von dem inspiriert sind, was in anderen Dritten funktioniert (ein Regionalquiz, ein Verbrauchermagazin), und Modernisierungsmaßnahmen bei Design und Struktur, die längst überfällig waren.
Die Nachrichten um 21.45 Uhr tragen seitdem den einheitlichen Namen „RBB 24“ (nicht mehr „RBB aktuell“); bei „Abendschau“ und „Brandenburg aktuell“ sind die (verjüngten) Moderatorenteams jetzt nicht mehr hinter Tischen festgetackert, sondern bewegen sich freier durchs modernisierte Studio. „Der RBB verändert sich“, stellte Intendantin Patricia Schlesinger am Donnerstag in Berlin anlässlich der Jahres-Programmpressekonferenz des Senders fest und gab sich überaus zufrieden mit dem bisher Erreichten.
Dabei sind viele der kecken Versprechen aus der Werbung längst noch nicht eingelöst, zu oft sieht das Programm noch nach einer Light-Version der Vorbild-Dritten aus, in Sachen Unverwechselbarkeit besteht für den Hauptstadtsender nach wie vor großer Nachholbedarf.
Auch bei den Zuschauerzahlen hat sich wenig verändert – um ganz genau zu sein: gar nichts. 2018 kam das RBB Fernsehen im Sendegebiet auf 5,9 Prozent Marktanteil, exakt soviel wie im Jahr zuvor (DWDL.de berichtete). Genau das wertet Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus allerdings als Erfolg. Viele Dritte – u.a. NDR, WDR, MDR, SWR – hätten das vergangene Jahr mit schlechteren Werten abgeschlossen als im Vorjahr. „Wir sehen, dass der Trend im Jahr 2018 eher rückläufig war, vor allem durch das Supersportjahr. Dass sich das auf uns nicht ausgewirkt hat, finde ich super. Meine Erwartung ist natürlich, dass wir in diesem Jahr besser abschneiden werden.“
Am Schema soll sich dafür erstmal nichts weiter ändern. Formate wie das eher blasse „Super.Markt“ und das programmgewordene Konzeptchaos „Abendshow“ bleiben auf Sendung; auch der „Talk in Berlin“ mit Jörg Thadesuzs soll trotz überschaubarer Aufmerksamkeit dreimal die Woche weitergehen. Schulte-Kellinghaus sagt: „Wir wollen zeigen, dass wir auch nach 22 Uhr noch frisches Programm zu bieten haben.“ (Also: zumindest ab Februar, wenn keine Best-Ofs mehr laufen.) Es werde aber weiter am Format gearbeitet. „Unsere Hoffnung ist, noch stärker als bisher den Tag in der Region zu beleuchten.“ Unter den Erwartungen blieben hingegen die Neustarts „Erlebnis Geschichte“ und die Mittwochs-Ausgabe von „Täter – Opfer – Polizei“, die nicht fortgeführt werden.
„Unser erstes Ziel ist, qualitativ gutes Programm zu machen. Natürlich wollen wir damit viele Menschen erreichen. Und wir sind damit ehrgeiziger als 5,9 Prozent“, erklärt Schulte-Kellinghaus. „Aber es dauert, bis sich gutes Programm durchsetzt. Ich hätte gerne die 6 vorm Komma stehen gehabt – dass es knapp weniger geworden ist, macht mich aber nicht nervös.“ Intendantin Schlesinger betont: „Ich weiß aus Gesprächen mit unseren Zuschauern, dass viele genau wahrnehmen, was wir alles verändert haben. Das wird registriert.“
Mehr eigene Fiktion fürs Dritte
Fürs neue Jahr stehen nun vor allem eine Reihe an Projekten aus Dokumentation und Fiktion an – für den neu geschaffenen Programmbereich hat Schlesinger eigens Martina Zöllner vom SWR geholt, die dort bereits in vergleichbarer Position tätig war (DWDL.de berichtete). „Wir haben den Ehrgeiz, einmal im Jahr mit einer Miniserie im RBB Fernsehen zu punkten“, kündigt Schlesinger an. Ein erstes Projekt ist in Entwicklung. Dazu werden gerade die Bücher für eine Comedyserie geschrieben, die mit acht mal 30 Minuten wahrscheinlich zum Ende des Jahres im Programm zu sehen sein wird.
Astrid Frohloff bereitet ein neues Reportage-Format vor, das sich „Constructive Journalism“ auf die Fanhen geschrieben hat: Der Pilot wird sich aller Voraussicht nach dem Berliner Verwaltungssumpf widmen, den Fronoff als Presenterin vor der Kamera – nun ja: vermutlich nicht trockenlegen, aber zumindest ergründen will. Um sich anschließend im europäischen Ausland umzusehen, wie es besser geht, und die Frage zu stellen, wie sich Berlin davon inspirieren lassen könnte.
Als Nachfolger von „24h Berlin“ zeigt „24h Europa – the next Generation“ am 4. Mai 2019 über 24 Stunden eine Tag in Echtzeit aus den Augen junger Europäer (mit Arte, SWR und ARD alpha). Zöllner verspricht zudem, mit dem auf den Mittwochabend gerückten Dokuformat „RBB Reporter“ „journalistischer im klassischen Sinne“ werden zu wollen; in drei bis vier Monaten sollen erste konkrete Ergebnisse im Programm zu sehen sein.
Erstmals Mittwochsfilme fürs Erste
Anfang April widmet sich die Fortsetzung der historischen Dokureihe „Schicksalsjahre einer Stadt“ den 70er Jahren, eine dritte Staffel (zu den 80ern) wird pünktlich zum Mauerfall-Jubiläum im Herbst gezeigt; und Staffel 4 (90er) ist gerade beschlossen worden.
Auch im Ersten will der RBB künftig wieder verstärkt Präsenz mit eigenen Inhalten zeigen. Geplant ist unter anderem eine neue Hauptstadtserie für den Vorabend, die an das Prinzip von „Wapo Bodensee“ angelehnt sein soll – Ausstrahlung frühestens 2020. Mit „Wendezeit“ (Arbeitstitel) steuert der RBB zudem einen Mittwochsfilm in Überlänge (120 Minuten) bei, der im Jahr 1989 in West-Berlin spielt und die Geschichte einer Doppelagentin erzählt, die von der Stasi bei der CIA eingeschleust wird. („Deutschland 83/86“ lassen grüßen.) Als dokumentarischer Spielfilm wird der Fall von Hatun Sürücü verfilmt, der jungen Frau, die von ihrem Bruder auf offener Straße erschossen wurde, weil die Familie ihren „westlichen Lebensstil“ missbilligte. In „Der Entertainer“ geht es um Aufstieg und Absturz von Harald Juhnke als legendärem TV-Conférencier. Beide Filme sollen ebenfalls auf dem Mittwochs-Sendeplatz laufen.
Fürs Dritte wiederum bereitet Thomas Baumann, der gerade die redaktionelle Leitung der politischen Talkformate im RBB Fernsehen übernommen hat (DWDL.de berichtete), den Start eines neuen „Bürgertalks“ vor, in dem künftig regelmäßig kontrovers über Sorgen und Nöte der Menschen im Sendegebiet diskutiert werden soll.
RBB 88,8 startet neu, Fritz wird digitaler
Gleichzeitig krempelt Programmdirektor Schulte-Kellinghaus zwei RBB-Radiowellen um: Zum 4. Februar erhält Radio Berlin 88,8 einen neuen Namen und sendet künftig als RBB 88,8; das Musikprogramm wurde überarbeitet, dazu kommen neue Moderatoren. Das jüngere Fritz (neuer Claim: „It’s Fritz“) möchte derweil zur „Digitalmarke“ werden, um die 14- bis 29-Jährigen besser zu erreichen, und neben der vereinfachten linearen Struktur mit längeren Sendestrecken eine neue App und verstärkt Online-Formate entwickeln – „wie Funk für Berlin-Brandenburg, nur mit einem eigenen UKW-Sender dazu“, formuliert Schulte-Kellinghaus.
„Die Herausforderung liegt daran, viele Dinge parallel anzugehen – das gilt fürs Fernsehen wie fürs Radio“, erklärt Schlesinger. „Meine Prognose ist: Lineares Fernsehen in seiner jetzigen Form wird es sicher noch zehn Jahre geben – das werden wir aufrecht erhalten. Gleichzeitig müssen wir ins Netz. Wir müssen herausfinden, wie wir dort gefunden werden und Qualität in einer Form anbieten können, die auch genutzt wird. Das ist die große Aufgabe für die Zukunft.“