Sie sei „antiquiert“ und „eine überholte Währung“, urteilte der Vorstandsvorsitzende der ProSiebenSat.1 Media SE über die Einschaltquoten. „Das System hat sich überlebt.“ Diese Aussagen in einem Interview mit der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ beschäftigen seitdem die Branche, wie ein DWDL.de-Branchenecho zeigt. Bei diversen Marktteilnehmer haben wir nachgehakt, um ihre Sicht auf die überraschend deutlichen Worte von Max Conze zu erfahren. Und es zeigt sich: Es gibt Zuspruch wie auch Gegenrede und eine AGF, die sich in Diplomatie übt.



Thomas Koch© TKD Media
Auch Thomas Koch, Chairman bei TKD Media und alter Media-Haudegen, schickt auf DWDL.de-Anfrage zunächst diplomatisch vorweg: „Die AGF muss als anerkannte Währung vom gesamten Markt akzeptiert und gültig sein. Dazu gibt es keine Alternative.“ Doch er sagt auch: „Max Conze hat vollkommen recht. Das weiß jeder im TV-Business. Er spricht es halt aus. Dabei wären kanalübergreifende Quoten keine Katastrophe, vor der sich traditionelle Sender fürchten müssten“, meint Koch. Es würde ihnen seiner Meinung letztlich helfen.

Die Weiterentwicklung der AGF-Reichweitenmessung hakt seit Jahren auch deshalb, weil im Gesellschafterkreis Uneinigkeit darüber herrscht, ob man die Ergebnisse einer neuen, konvergenten Reichweitenmessung überhaupt wissen will, geschweige denn, wie man mit ihnen umgeht. Koch macht den Sendern Mut: „Wir würden sehen, dass eine relativ einkommenschwache, jugendliche Minderheit netflixt und wie wenige Menschen Facebook-Videos gucken. Conze lehnt sich gegen dieses virtuelle Paralleluniversum auf, das derzeit, wie z.B. Google, in die AGF drängt, um sich deren Daten zu bemächtigen. Hier kann man der AGF nur raten, die Deutungshoheit über die eigenen Daten nicht in die Hände der US-Player zu geben.“

"Wir brauchen - für große, aber erst recht für kleine Sender - präzise, kanalübergreifende, tagesaktuelle Zahlen"
Thomas Koch, TKD Media

Weiter noch: „Wir würden außerdem sehen, dass die Zielgruppen, die alle erreichen wollen - die kaufkräftigen Zuschauer mittleren Alters, die Haushalte versorgen und mit prall gefüllten Einkaufswagen an den Kassen stehen -, fast unverändert Fernseh-Formate der traditionellen Sender bevorzugen. Hierüber brauchen wir - für große, aber erst recht für kleine Sender - präzise, kanalübergreifende, tagesaktuelle Zahlen.” Die Dringlichkeit dieser Forderung unterstreichen weitere Media-Kollegen auf DWDL.de-Anfrage.

Klaus-Peter Scharpf© Mindshare
“Herr Conze drückt auf eine sehr direkte Art aus, was der gesamte Markt erwartet: zeitnah eine konvergente Videowährung. Die Ungeduld wächst und auf dem AGF-Forum wurden keine Zeitpläne veröffentlicht. Das war sicher eine verpasste Chance“, beklagt Klaus Peter Scharpf, Managing Director Business Planning bei Mindshare, aber gibt auch zu bedenken: „Auf der anderen Seite arbeitet die AGF mit Hochdruck an der Konvergenz-Währung. Und es stellt sich die Frage, welche Alternativen es gibt, die eine vergleichbare Markt-Akzeptanz erreichen könnten.”

Klaus Nadler, Carat© Carat
Diese Alternativlosigkeit zum Status Quo der Einschaltquoten-Messung, stützt eine Messung, die gleichzeitig kaum noch jemand als zeitgemäß betrachtet. Klaus Nadler, CEO von Carat Deutschland, erklärt auf DWDL.de-Anfrage: “Im Kern stimme ich der Aussage von Herrn Conze zu: Durch die Veränderung des Marktstandards kann die TV-Nutzung nicht mehr adäquat abgebildet werden. Dennoch bin ich der Meinung, dass man nicht gleich das gesamte System infrage stellen muss. Vielmehr sollte der bestehende Standard weiterentwickelt werden – und zwar so, dass er den Nutzergewohnheiten gerecht wird.”

"Bis dato gibt es keine zufriedenstellende Lösung der Konvergenzwährung."
Thomas Deissenberger, Geschäftsführer Sky Media

Das beklagt auch Sky Deutschland schon länger öffentlich. Der Pay-TV-Anbieter ist zwar inzwischen Gesellschafter der AGF, aber erklärtermaßen unzufrieden und nach eigenen Angaben oftmals ratlos angesichts der Messergebnisse, „In einem fragmentierten TV-Markt mit immer attraktiveren On-Demand-Angeboten sowie einem stark veränderten Nutzungsverhalten ist eine Konvergenzwährung unerlässlich. Bis dato gibt es keine zufriedenstellende Lösung der Konvergenzwährung und wir fordern erneut schnelle, pragmatische Ansätze zur Lösung“, erklärt Thomas Deissenberger, Geschäftsführer Sky Media.

Thomas Deissenberger© Sky
Deissenberger weiter: „Anfang 2015 haben wir unser eigenes Reichweitenmessmodell vorgestellt. Es bildet nicht nur die lineare TV-Nutzung, sondern auch die Nutzung der non-lineare Angebote ab. Dadurch sehen wir tagtäglich, wieviel Nutzung auf non-lineare Inhalte entfällt. Ein konkretes Beispiel – die 5. Staffel von House of Cards, zeigt die Abweichung besonders eklatant: Die Erfolgsserie hat nur 11 Prozent ihrer Reichweite im TV gemacht - 89 Prozent der Nutzung entfiel auf non-lineare Abrufwege.“ Die von der AGF ausgewiesene Mediennutzung lasse das noch völlig außen vor.

„Die Anpassung der Gewichtungsmodelle zum 1. Januar 2019 ist der erste Schritt in die richtige Richtung und zwingend notwendig - diese Veränderung wird bereits seit geraumer Zeit von uns gefordert“, sagt der Sky Media-Chef. „Dadurch erwarten wir eine erste Annäherung der TV-Quote an die Realität. Weitere, schnelle Verbesserungen sind jedoch notwendig, vor allem, um kleinere Nischen- und Spartensender realitätsgetreu abzubilden.“

Wie hilfreich ist es im Werbeverkauf, wenn der Vorstandsvorsitzende einer der beiden großen deutschen Sendergruppen die gemeinsame Währung in Zweifel zieht? Da schaltet auch Thomas Deissenberger in den Verteidigungsmodus: „Als Gesellschafter der AGF distanzieren wir uns von jeglicher Diskreditierung. Wir arbeiten partnerschaftlich mit der AGF an der Verbesserung der ausgewiesenen Reichweiten. Dabei werden wir nicht müde, zu betonen, wie wichtig eine realitätsgetreue Reichweitenabbildung für uns als Werbezeitenvermarkter ist.“