Nachdem WDR-Fernsehfilmchef Gebhard Henke Ende April wegen angeblich sexueller Übergriffe vom Sender freigestellt worden war, meldeten sich via "Spiegel" sechs Frauen, die Henke belasteten. Darunter war auch Charlotte Roche, die Henke sexuelle Belästigung vorwarf (DWDL.de berichtete). Nun hat sich die Moderatorin und Schauspielerin in einem Interview mit der "Zeit" noch einmal im Detail zu den Vorwürfen geäußert und erklärt, wieso sie sich erst jetzt, rund fünf Jahre nach dem Vorfall, an die Öffentlichkeit getraut hat.
Gegenüber der "Zeit" sagt Roche, dass die Filmrechte für ihr zweites Buch "Schoßgebete" damals gerade verkauft worden seien. Der WDR war an der Finanzierung beteiligt. Das ist wichtig, weil durch den "Spiegel"-Artikel noch der Eindruck entstand, Roche sei auf Henke getroffen, als der Deal noch nicht fixiert war. War er aber schon - das ließ Henke vor wenigen Wochen auch über seinen Anwalt mitteilen. Dennoch verspürte Roche damals Druck: "Die Filmrechte waren verkauft, die Förderung des Films durch den WDR war abgemacht. Ich hatte keine Angst, dass das Projekt platzen könnte." Sie sei an dem Abend aufgeregt gewesen, denn die Verfilmung sei für sie eine "Riesensache" gewesen.
Bei einem Werkstattgespräch in einem Kölner Kino sei sie Henke vorgestellt worden, dabei habe er seine Hand auf ihren Po gelegt, während er mit seiner anderen Hand die Schauspielern begrüßte. "Ich kenne Situationen, in denen Männer ihre Hand bei der Begrüßung auf meinen Rücken legen und sie langsam runterrutschen lassen. Das ist unangenehm, aber geht nicht weiter als bis zum unteren Rücken, da ist die Grenze", sagt Roche. "Doch die Hand von Henke lag ganz fest auf meinem Po und blieb auch da. Vorne wurde die ganze Zeit weitergeschüttelt. Dabei redete er mit mir." Sie dachte zunächst an ein Versehen. "Ich dachte, das kann doch keine Absicht sein, und dann auch noch vor so vielen Menschen. Man verteidigt automatisch den Täter."
Sie habe sich auf der Veranstaltung eigentlich sicher gefühlt, deshalb sei sie perplex gewesen. "Ich weiß noch, dass ich dachte: Wenn ich den Mann von mir wegstoße und schreie, was ein normales Verhalten wäre, dann verursache ich damit den Eklat des Abends." Zu Hause habe sie dann mit ihrem Mann über den Vorfall gesprochen, demnach habe man auch über eine Anzeige bei der Polizei nachgedacht. Die Frage sei nur gewesen, wer ihr glauben würde. "Stehe ich am Ende womöglich als Verliererin da, weil Aussage gegen Aussage steht? Wir haben auch überlegt, wie das aussieht, wenn man ausgerechnet als Autorin von Sexbüchern, das war ja mein Stempel zu der Zeit, sexuell belästigt wird. Würde dann jemand sagen, du schreibst doch sexuelle Bücher, warum soll man dich dann nicht belästigen?" Man habe sich letztendlich dazu entschlossen, nichts zu machen, das sei im Nachhinein die "falsche Entscheidung" gewesen, so Roche.
Sie habe Henke seit dem Vorfall nicht wieder gesehen und auch nicht darüber gesprochen, sagt sie im "Zeit"-Interview. "Ich habe mich geschämt, dass ich nichts gemacht habe. Das passt ja auch gar nicht zu mir, geschweige denn zu meinem Image." Als sie von anderen Vorwürfen gegen Henke hörte, sei ihr alles aus dem Gesicht gefallen. "Mir wurde klar, dass ich möglicherweise nicht die Einzige bin, die von ihm belästigt wurde. Ich bin an die Öffentlichkeit gegangen, damit sich auch andere Frauen trauen, ihre Geschichte zu erzählen. Und weil ich damit den Fehler wiedergutzumachen versuche, dass ich vor fünf Jahren nicht reagiert habe." Roche sagt, sie fühle sich schuldig, so lange geschwiegen zu haben. Sie selbst glaubt, durch ihre Aussagen keine beruflichen Nachteile zu erfahren. "Aber mein Name ist jetzt auf ewig mit dem Namen Henke verbunden. Wenn man mich googelt, kommt das jetzt. Das widert mich an. Ich bin es ja gewohnt, auch mit krassen Themen in der Öffentlichkeit zu stehen. Aber ich wollte nie ein Opfer sein."
Kritik äußert Roche an einem Offenen Brief, den nach Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Henke einige Medienfrauen verfasst haben. Darin machten sie sich für den WDR-Fernsehfilmchef stark und erklärten, sein Umgang mit ihnen sei immer korrekt gewesen. 16 Frauen aus der Branche haben den Brief unterschrieben. "Im Vergleich zu den vielen Hunderten Frauen, mit denen er beruflich zu tun gehabt haben muss, sind das lächerlich wenige Frauen", sagt Roche nun. "Ich freue mich für sie, dass ihnen nichts passiert ist. Aber womöglich hat die Opfer dieser Brief richtig eingeschüchtert. Was soll das, so einen Brief zu veröffentlichen? Wenn man selber Opfer eines Übergriffs geworden ist, dann denkt man wirklich: Schande über euch! Ihr sollt euch schämen!" Inzwischen hat Roche mit WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn und dem Personalchef des Senders über die Vorwürfe gegen Henke gesprochen. "Und ich habe das Gefühl, die wollen das wirklich aufklären", sagt sie.