Im Kanzleramt ist ein Brief von Christian Schertz eingetroffen. Der Rechtsanwalt vertritt Jan Böhmermann und droht der Bundeskanzlerin eine Klage an, sofern sie ihre öffentliche Bewertung des umstrittenen "Schmähgedichts" über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht zurücknimmt. Der "Tagesspiegel" zitiert aus dem Schreiben, wonach Angela Merkel (CDU) vorgeworfen wird, mit ihrer Kritik an Böhmermanns Gedicht eine "juristische Bewertung des Werkes meines Mandanten vorgenommen" zu haben, die einer Verurteilung gleichkomme.
Weil Merkel für eine solche Einordung nicht zuständig gewesen sei, sei ihr Verhalten rechtswidrig gewesen, so die Argumentation der Böhmermann-Lagers. Der Vorwurf wiegt schwer: Merkel habe den Grundsatz der Gewaltenteilung verletzt und sich als "höchste Vertreterin der Exekutive" zu dieser Rechtsfrage öffentlich geäußert. Dadurch habe sie "erhebliche Folgen ausgelöst". Innerhalb einer Woche erbittet Schertz nun eine Erklärung von der Kanzlerin.
Mit ihrer Wertung des "Schmähgedichts" als "bewusst verletzend" war Angela Merkel im Frühjahr 2016 in die Kritik geraten. Später räumte sie ein, sich über ihre Äußerung zu ärgern. Auf diese Weise sei nämlich der Eindruck entstanden, dass ihre persönliche Bewertung etwas zähle. "Das war im Rückblick betrachtet ein Fehler", erklärte Merkel.
Erst vor wenigen Wochen hatte das Kanzleramt nach einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg Angaben darüber machen müssen, ob die Kanzlerin das "Schmähgedicht" gesehen hat, bevor sie es öffentlich kritisierte. Demnach habe Merkel das Gedicht bei "Bild.de" zur Kenntnis genommen, ehe sie sich darüber äußerte (DWDL.de berichtete). Auf Facebook stellte Böhmermann damals dazu klar: "'Bild.de' hatte damals das 'reine' Schmähgedicht aus der ZDF Sendung herausgeschnitten. Für Laien und den flüchtigen Leser konnte so der Eindruck entstehen, dies sei die gesamte gesendete Erdogan-Nummer gewesen."