Was dürfen die Öffentlich-Rechtlichen im Internet? Diese Frage erhitzt seit vielen Jahren die Gemüter vieler Menschen in der Medienbranche: ARD und ZDF fühlen sich durch viele Restriktionen oft unnötig gegängelt, privaten Rundfunkanbietern oder Verlagen gehen die Einschränkungen dagegen nicht weit genug. Was die Öffentlich-Rechtlichen derzeit dürfen (und was nicht), ist im Telemedienauftrag geregelt - dieser soll nun reformiert werden. Ein erster Entwurf zeigt: Die Bundesländer wollen ARD und ZDF in einigen wichtigen Punkten entgegenkommen. Doch aus der Branche kommt Kritik.

Mehr als 60 Stellungnahmen sind zum Reformentwurf der Bundesländer von Verbänden, Interessensvertretungen, privaten Medienunternehmen und Einzelpersonen eingegangen. An diesem Dienstag, den 8. August, findet eine persönliche Anhörung statt. In vielen Stellungnahmen wurde die Verweildauer von TV-Inhalten in den Mediatheken von ARD und ZDF angesprochen, aber auch das Thema Sendungsbezug und "presseähnliche Angebote" waren wichtige Punkte.


So warnt etwa die Produzentenallianz, dass der Reformentwurf nur die Interessen von ARD und ZDF berücksichtige - und nicht etwa auch die der Produzenten. Bei der Verweildauer in den Mediatheken etwa hätten die Sender gerne mehr Flexibilität und würden gerne weniger (schnell) depublizieren. In seiner derzeitigen Form sieht der Reformentwurf eine Streichung der 7-Tage-Regelung vor. Stattdessen sollen die Verweildauern in Telemedienkonzepten geregelt werden. In der Praxis sind schon heute viele Inhalte deutlich länger online verfügbar (DWDL.de berichtete). Erst Anfang dieses Jahres wurde beschlossen, Fiction-Inhalte auf DasErste.de länger verfügbar zu machen. Die Produzentenallianz ist gegen eine weitere Lockerung der Regelung - zumindest wenn es keine entsprechenden Vergütungen gibt. Dadurch würde es noch schwieriger, audiovisuelle Inhalte auszuwerten, argumentieren Alexander Thies, Vorsitzender des Gesamtvorstands, und Christoph E. Palmer, Vorsitzender der Geschäftsführung, der Produzentenallianz.

Ein großes Problem sehen Thies und Palmer bei teilfinanzierten Produktionen - also solchen Projekten, bei denen die Produzenten auch einen gewissen Betrag investieren, dafür im Gegenzug aber auch Rechte für die nachträgliche Auswertung eingeräumt bekommen. Wenn diese Produktionen künftig viel länger in den Mediatheken sind als bislang, sehen sie ihre Erlösmöglichkeiten schwinden. "Der Rechteteilungs-Markt für Produktionsbetriebe ist tot, wenn öffentlich-rechtliche Sender oder private Rundfunkanbieter in ihre Mediatheken stellen was und wie lange sie wollen. Dann kann man mit einem Film nicht mehr handeln. Auch die Auslandsvermarktung leidet, wenn Programme in den Mediatheken international abrufbar sind", sagt Palmer gegenüber DWDL.de.

Der Rechteteilungs-Markt für Produktionsbetriebe ist tot, wenn öffentlich-rechtliche Sender oder private Rundfunkanbieter in ihre Mediatheken stellen was und wie lange sie wollen.

Christoph E. Palmer, Vorsitzender der Geschäftsführung, der Produzentenallianz

Angekaufte Spielfilme und Serien, die keine Auftragsproduktionen sind, dürfen ARD und ZDF schon heute nicht online verfügbar machen. Hier sieht die Reform eine Ausnahme bei europäischen Werken vor - diese sollen künftig 30 Tage verfügbar gemacht werden dürfen. Die Produzenten lehnen das ab und fordern die Beibehaltung der aktuellen Regelung. Zusätzlich fordern sie eine Ausweitung des Verbots auch auf teilfinanzierte Produktionen. Da man damit aber wohl kaum die Unterstützung aller Bundesländer hätte, und das bräuchten die Produzenten, haben sie im gleichem Atemzug vorgeschlagen, dass das Verbot durch kollektive Vereinbarungen (etwa mit der Produzentenallianz) gekippt werden könnte. Das heißt: ARD und ZDF müssen sich mit den Produzenten im Vorfeld der teilfinanzierten Produktionen über die Modalitäten der Vergütung einigen, dann wären auch längere Standzeiten in den Mediatheken denkbar.

Für vollfinanzierte Produktionen hatte die Produzentenallianz Ende des vergangenen Jahres eine Vereinbarung mit dem ZDF getroffen. Diese sieht einen Gewinnzuschlag vor, wenn die Produktionen länger als 30 Tage in der ZDF-Mediathek bereitstehen. Der Gewinnaufschlag wird dann einmalig um bis zu einen Prozentpunkt erhöht, die Kappungsgrenze liegt bei 1,5 Millionen Euro. Eine ähnliche Vereinbarung erhofft man sich wohl auch mit der ARD, mit der man schon ein Jahr zuvor die sogenannten "Eckpunkte 2.0" beschlossen hatte. Damals wurde im Rahmen der teilfinanzierten Produktionen ein Schichtenmodell entwickelt, mit dem Sender und Produzenten anhand eines einheitlichen Katalogs die Verwertungsrechte aufteilen können. Alexander Thies erklärte damals, dass Produzenten dadurch in eine "dynamische, unternehmende und verwertende Rolle" kommen würden. Die Befürchtung jetzt: Sollten die teilfinanzierten Projekte auch länger als bislang in den Mediatheken stehen, würde das die nachträgliche Auswertung erschweren. "Wenn wir keine Regelung bei der Teilfinanzierung finden, läuft das im Kern sehr gute Modell, auf das wir uns im ARD-Eckpunktepapier 2.0 verständigt haben, beim Thema VoD ins Leere", sagt Palmer gegenüber DWDL.de.

RTL gegen längere Standzeiten für Bundesliga-Inhalte

Ebenfalls gelockert werden sollen die strikten Regelungen beim Online-Abruf von sportlichen Großereignissen sowie bei den Spielen von 1. und 2. Fußball-Bundesliga. Hier müssen ARD und ZDF die entsprechenden Inhalte schon nach 24 Stunden löschen, geplant ist eine Ausweitung dieser Frist auf sieben Tage. Und während die Öffentlich-Rechtlichen frohlocken, kommt von der Mediengruppe RTL scharfe Kritik. "Mit dieser Aufweichung würde der Gesetzgeber mittelbar in die Rechtevergabe eingreifen, da sich ARD und ZDF nunmehr auf einen 'Online-Auftrag' in diesem Bereich berufen könnten", heißt es von der Sendergruppe. Sendungen wie etwa das neu gestartete "100% Bundesliga" von Nitro würden "damit komplett entwertet"

Beim Thema Sendungsbezug sieht der derzeitige Reformentwurf eine Lockerung vor, demnach wäre dieser nur noch bei presseähnlichen Angeboten einzuhalten. "Öffentlich-rechtliche Sender können damit endlich auch unabhängig von linearen Angeboten innovative Angebote nur für das Internet entwickeln, solange sie nicht 'presseähnlich' sind", sagt Leonhard Dobusch, Mitglied des ZDF-Fernsehrates. Das grundsätzliche Verbot presseähnlicher Angebote soll weiterhin Bestand haben. Dagegen schießen unter anderem ver.di sowie der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB): "Nach Ansicht von ver.di ist das zu Grunde gelegte Konzept der Presseähnlichkeit fragwürdig und sachlich nicht begründbar. Das Internet ist nicht allein ein weiterer Verbreitungsweg für Print- und audiovisuelle Inhalte, sondern ein eigenes Medium, das grundsätzlich alle Darstellungsformen umfasst", heißt es in der Stellungnahme von ver.di. Die Frage der Presseähnlichkeit sei nicht zielführend und daher zu streichen, fordert die Gewerkschaft. Vom DGB heißt es: "Der Begriff der 'Presseähnlichkeit' wird auch durch den neuen Entwurf nicht eindeutig definiert. Der DGB hält ihn auch für untauglich und den Gegebenheiten des Internets und der Onlinekommunikation für nicht angemessen."

Auch Verlage kritisieren geplante Änderungen

Im Bereich der Presseähnlichkeit sehen auch der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) Handlungsbedarf - naturgemäß aber in eine völlig andere Richtung als von den Gewerkschaften vorgeschlagen. "Die Novellierung des Telemedienauftrags im Rundfunkstaatsvertrag sollte dazu genutzt werden, den verfassungsrechtlich garantierten Schutz der Presse sicherzustellen", heißt es von den Verbänden. Ein grundsätzliches Verbot von presseähnlichen Angeboten von ARD und ZDF sei, unabhängig vom Sendungsbezug, "dringend notwendig und längst überfällig". Stattdessen bleibe die Neuformulierung für ein Verbot presseähnlicher Angebote noch hinter dem aktuellen Schutzniveau zurück, beklagen die Verlage. BDZV und VDZ kritisieren, dass ARD und ZDF auch presseähnliche Angebote erlaubt werden, wenn der Sendungsbezug gegeben ist. "Das ist eine Umkehr des aktuellen gesetzlichen Grundsatzes, der lediglich besagt, dass nichtsendungsbezogene presseähnliche Angebote unzulässig sind."

Schon diese wenigen Beispiele zeigen: Die Reform des Telemedienauftrags ist kompliziert. Lobbyisten von beiden Seiten versuchen die Politiker von ihren Ansichten zu überzeugen. Am Dienstag ist ein wichtiger Tag für die Interessensgemeinschaften und Verbände, um ihre Bedenken und Wünsche noch einmal persönlich vorzutragen. Entschieden wird aber noch nichts. Beobachter des Prozesses gehen davon aus, dass sich die Ministerpräsidenten der Länder frühestens im Oktober mit einer Neufassung beschäftigen werden, Ende des Jahres oder Anfang 2018 könnte es einen finalen Reformentwurf geben. Bis dahin wird im Hintergrund noch viel gearbeitet und um einzelne Aspekte und Formulierungen gefeilscht.

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